„Langeweile im Kostüminstitut“
(Dominik
Troger)
Die
zweite Aufführungsserie des im Oktober neu auf die Staatsopernbühne
gestellten „Don Carlo“ führt das Publikum wieder in die Räume des
„Instituts für Kostümkunde“. Die Besetzung ist zum Teil ident mit der
Premiere, Elīna Garanča und Nicole Car geben als frisch
eingeschulte „Textilhistorikerinnen“ die Eboli und die
Elisabetta.
Auch
bei der Zweitbegegnung mit dieser Neuproduktion verblüfft, wie gut es
Kirill Serebrennikov gelungen ist, in seiner Inszenierung die
emotionalen Energien dieser Oper zu neutralisieren und den Figuren ihr
Charisma zu nehmen. Dem ganzen Ensemble hängt diese Inszenierung wie
ein riesiger, natürliches Spiel und Ausdruck hemmender Klotz am
sprichwörtlichen Bein. Davon konnten sich auch Elīna Garanča und Nicole
Car nicht wirklich „freispielen“.
Textilwissenschaftlerin Elīna Garanča stand
natürlich gleich einmal vor der Herausforderung, im Sinne einer
„höfischen Unterhaltung“ Ebolis „Maurisches Lied“ vortragen
zu müssen. Dessen feinsinnige Schleiererotik kam in diesem
Bühnenambiente natürlich überhaupt nicht zur Geltung – und die Sängerin
schien auch gesanglich erst einmal ihren Arbeitsmantel ablegen zu
müssen, den sie in diesem Institut natürlich zu tragen hat. (Man
bedenke nur, was ein einziges eingeschlepptes Kleidermottenräupchen an
den dort aufbewahrten textilen Kulturgütern für einen Schaden anrichten
könnte!!)
Nach der Pause warf Garanča beim „O don fatale“
alles in die Waagschale ihres funkelnden Mezzos und sorgte für einen
der raren Höhepunkte der Aufführung. Grundsätzlich blieb aber abseits
der angewandten Textilienkunde die Frage offen, ob einer etwas satter
grundierten Stimme mit etwas mehr Tiefgang die Partie nicht gelegener
käme.
Auch die Elisabetta der Nicole Car wurde mit starkem Beifall bedacht, ihr „Tu che le vanità“
sorgte für den zweiten Höhepunkt des Abends. Aber ist Cars Sopran diese
große Arie nicht doch noch eine Spur „zu groß“? Da ein bisschen zu viel
Kraft in den Ton gelegt, dort die sanften Lyrismen mit ein bisschen zu
viel „Härte“ ausformuliert? Außerdem ist die Spannung zwischen der
Äußerlichkeit spanischen Hofzeremoniells und den inwendig lodernden
Leidenschaften doch essentiell für die Wirkung, die eine Elisabetta
erzielen müsste: dieses rührende Absterben ihrer Seele, eingesperrt im
glänzenden Korsett des Hofstaates. Aber wie soll das in dieser
Inszenierung zur Geltung kommen?
Joshua Guerrero ist schon
in der Premiere ein angestrengt klingender Don Carlo gewesen, er
mühte sich in den lyrischen Passagen und versuchte andernorts mit viel
Forte einige Wirkung zu erzielen. Außerdem bleibt seine Funktion in
diesem Institut nach wie vor rätselhaft. Vielleicht ist er als
Praktikant angestellt? Posa kämpft als „Grüner“ gegen den
„Textilimperalismus“ und bewacht als Security das Institut. Étienne Dupuis
passte gut in diese Funktion, mit nüchternem Bariton sang er sich
leicht geraut und „pragmatisch“ durch den Abend: eine Stimme für
Aktivisten, nicht für Feinschmecker.
Roberto Tagliavini ließ
als Filippo seine schöne Bassstimme strömen, aber es fehlte die
herrscherliche Autorität, das hörbar gemachte Ringen in des Monarchen
Seele. Sein Aufritt mit der Aktentasche degradiert den König ohnehin
zum Buchhalter. Vom blassen, großinquistorischen Chefwissenschaftler
des Vitalij Kowaljow wurde er auch nicht herausgefordert. Dan Paul Dumitrescu
hat bereits vor zwanzig Jahren in der Premiere der französischen
Fassung den Mönch gegeben. Er sang mit einer gemütlichen
Würde, stimmlich konnte er die verstrichenen „Institutsjahre“ nicht
ganz vergessen machen. Der Tebaldo von Ilia Staple fungierte als beflissene „Teamassistenz“, und Ileana Tonca steuerte die „Stimme aus dem Off“ bei. Der Chor machte seinen Job, was bleibt ihm auch anders übrig.
Das Orchester unter Philippe Jordan
verwöhnte teils mit angenehmem Schönklang, ohne dabei die Vorstellung
mit viel Leben zu erfüllen. Am Schluss gab es viel Applaus, vor allem
für Eboli und Elisabetta, und es wurde etwas länger geklatscht als die
üblichen „fünf Minuten“. Besucht wurde die zweite Vorstellung der
laufenden Serie.