DON CARLO
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Wiener Staatsoper
26. September 2024

Dirigent: Philippe Jordan

Regie, Bühne, Kostüme: Kirill Serebrennikov
Co-Kostümbildnerin: Galya Solodovnikova
Choreographie: Evgeny Kulagin
Licht: Franck Evin
Video: Ilya Shagalov
Musik-Dramaturgie: Daniil Orlov

Filippo II - Roberto Tagliavini
Don Carlo - Joshua Guerrero
Rodrigo - Étienne Dupuis
Großinquisitor - Dmitry Ulyanov
Ein Mönch - Ivo Stanchev
Elisabetta - Asmik Grigorian
Eboli - Eve-Maud Hubeaux
Tebaldo - Ilia Staple
Conte di Lerma / Herold - Hiroshi Amako
Stimme vom Himmel - Ileana Tonca


„Szenische Nullnummer“
(Dominik Troger)

Die erste Staatsopern-Premiere der neuen Saison wurde mit vielen Buhrufen „bedankt“. Kirill Serebrennikov hat Giuseppe Verdis „Don Carlo“ zu einer zeitgeistigen Kritik an den ausbeuterischen Praktiken der Textilindustrie umgemünzt. Im kühlen Ambiente des „Instituts für Kostümkunde“, das von Ökoaktivisten gestürmt wird, versandete Verdis Oper zur einer Nullnummer heutigen Regietheaters – aber auch musikalisch war es keine Sternstunde.

Diese Neuproduktion ist in der Tat ziemlich erklärungsbedürftig, ihr Bezug zur Oper „Don Carlo“ von Giuseppe Verdi schon dermaßen „konstruiert“, dass so ziemlich alles auf der Strecke bleibt, was den Gehalt dieser Oper ausmacht. Entsprechend schwer ist es, in dieser Inszenierung die von Verdi entwickelten Charaktere und ihre Handlungsmotive zu erkennen – und die marginalisierende und banalisierende Personenregie bot dabei keine Hilfestellung. Es ist also wenig überraschend, wenn sich bei mir bald der Eindruck einer kollektiven Lustlosigkeit einstellte – doch vielleicht ist das meinerseits zu „subjektiv“ interpretiert.

Es wäre allerdings unfair, wollte man nicht den Versuch wagen, sich ein wenig in die Gedankenwelt des Regisseurs „einzufühlen“. Kirill Serebrennikov hat die Handlung in das besagte „Institut für Kostümkunde“ verlegt, das „origineller“ Weise in Saint-Just angesiedelt ist. Das helle Bühnenbild wirkt kühl, bietet eine Mischung aus Labor und Büro. In grauen Schränken mit riesigen Laden werden Kostüme gelagert: mit großem Aufwand nach historischen Vorlagen erstellte Nachbildungen von Gewändern des 16. Jahrhunderts. Diese Gewänder werden von Statisten getragen, manchmal auch von den Sängerinnen und Sängern. Das Aus- und Anziehen der Gewänder – nackte Statisten, die man dann fürsorglich ein- und auskleidet – ist ein ganz wesentliches, sich wiederholendes, und zunehmend in Langeweile verebbendes Element der Inszenierung.

Diese Gewänder wirken im sterilen Bühnenambiente wie museale Artefakte, sie dienen dem Regisseur der historischen „Verlinkung“ – ebenso wie die gleich einem kulturgeschichtlichen Vortrag immer wieder projizierten biographischen Hinweise zu den Hauptpersonen der Oper. Mit viel Aufwand wird hier ein historisch bedingter, soziokultureller „Subtext“ bemüht, der den Sängerinnen und Sängern in ihrer Rollenfindung aber wenig weiterhilft. Immerhin dürfen sie hin und wieder in die Kostüme schlüpfen, wie zum Beispiel Filippo in der Autodafé-Szene. Doch insgesamt betrachtet blieb die Gesamtwirkung dieser mit viel Aufwand erstellten Kostüme mehr peripherer Natur.

Entscheidend ist, dass das Institutsambiente als Handlungsraum wesentliche Elemente von Verdis Oper „verschluckt“, und dass die Inszenierung es nicht geschafft hat, die Figurenkonstellation samt Hierarchiebenen abzubilden. Weder werden Filippo als Herrscher noch der Großinquisitor als machtvoller Strippenzieher greifbar. Die Frage nach dem Machtanspruch der Kirche bleibt ebenso unbeanwortet, wie der Gefühlskonflikt Elisabettas: Ist sie die Geliebte dieses ausstrahlungslosen „CEO“ – und was spielen überhaupt Don Carlo und Eboli in dieser „Firma“ für eine Rolle?

Der Herr Marquis war allerdings klar positioniert – und die Rollenzuschreibung, die Kirill Serebrennikov Posa verpasst hat, hält man kaum für möglich: Posa entwickelt sich vom Securitymann zum „Ökoaktivisten“, der (Zitat aus dem Programmheft): „die dysfunktionale Überproduktion und den Überkonsum von Textilien und Bekleidung unter den Bedingungen der kapitalistischen Massenkultur und -gesellschaft“ thematisiert. Diese Rollendeutung hat für die Produktion fatale Folgen, die das Publikum schon nach der Autodafé zu ersten starken Missfallensbezeugungen inspiriert haben. Posa stirbt übrigens nicht: Er wird bei seinem „Tod“ von einer seltsam uniform gekleideten Gruppe vereinnahmt, für deren Zuordnung im Rahmen der Inszenierung mir die Phantasie fehlt.

Die Autodafé wird szenisch zu einer Ausstellungseröffnung im „Institut“ umfunktioniert: die kostbaren spanischen Kostüme werden präsentiert. Der Auftritt von Don Carlo und den flandrischen Abgesandten wird von Ökoaktivisten unterstützt, die plakativ gegen das „Kostümestablishment“ demonstrieren und die Ausstellungseröffnung stören. Die Bühne ist für diese Szene schlecht gebaut, es gibt zu wenig Platz im Vordergrund, und die Regie hat Mühe, die Protagonisten effektvoll in Szene zu setzen. Im Zentrum stehen die alten Kostüme der „herrschenden Klasse“ wie „Ketzer“ aus- und aufgestellt, die dann nicht einmal einer Autodafé gemäß verbrannt werden. Damit hätte man szenisch doch ein bisschen „zündeln“ können?!

Diese Ökoaktivisten werden im dritten Akte als „Volk“ noch einmal das Institut stürmen und die Staatsopernbühne mit Bekleidungsramsch vollmüllen. Während die Bühnenarbeiter vor Elisabettens großer Arie das verstreute Gewand von der offenen Bühne räumten, ergab sich im Publikum eine längere, lautstarke Meinungsverschiedenheit mit Zwischen- und Buhrufen. Dirigent Philippe Jordan kalmierte die Situation mit einem „Friedensangebot“, in dem er sein großes weißes Taschentuch auf den Dirigentenstab steckte und Richtung Publikum schwenkte.

Aber auch musikalisch war es kein Abend für Verdi-Feinschmecker. Die Stimme von Asmik Grigorian ist bei aller Ausdrucksstärke der Elisabetta entwachsen. Zwischen Attacke und streichholzdünnen Piani flüchtete sich die Sängerin mit ihrem immer wieder zu beansprucht klingenden Sopran in eine, am Charakter der Figur gemessen, viel zu forsche Gefühlsemphase. Assistiert wurde sie dabei vom Don Carlo des Joshua Guerrero, der überhaupt nur mit Lautstärke Verdis Vorgaben nacheiferte und sich, wo dergleichen nicht geboten war, mehr mit Krampf als Genuss durch Carlos schmerzensvolle Liebesergüsse kämpfte. Roberto Tagliavini besitzt eine schöne Basstimme, konnte sie und sich wegen der Regie aber nicht mit „königlichem“ Format präsentieren. Eve-Maria Hubeaux forcierte sich ähnlich Don Carlo durch die Partie der Eboli, von der Regie ebenso allein gelassen.

Étienne Dupuis führte einen etwas rau timbrierten Bariton ins Feld, der mehr dem „nüchternen“ Bühnenambiete angepasst war, als dass er schmelzvollen Gesang verströmt hätte. Dupuis hatte immerhin eine szenisch klar umrissene Aufgabe, der er aber etwas „hemdsärmelig“ nachzukommen schien (aber er musste auch ein T-Shirt mit dem Aufdruck „Liberta“ tragen.) Der Großinquisitor von Dmitry Ulyanov blieb stimmlich blaß, war ebenfalls ein Opfer der Inszenierung. Nett der Tebaldo von Ilia Staple, der Mönch von Ivo Stanchev ging als Figur ziemlich unter. Der Staatsopernchor war der Aufführung ein bewährter Rückhalt. Mehr Leidenschaft wäre seitens des ausdifferenzierten Orchesters kein Fehler gewesen, schon das Freundschaftsduett hätte mehr Schwung gut vertragen. Aber – wie angemerkt – die szenische Umsetzung beeinträchtige insgesamt schwer den musikalischen „Appetit“ und ein langatmiger von szenischer Unvereinbarkeit geprägter Gesamteindruck blieb fast die ganze Vorstellung über vorherrschend.

Was hat also Verdis „Don Carlo“ mit der Textilindustrie des Jahres 2024 zu tun? Nichts! Ein geschicktem Marketing verpflichteter „Scharlatanismus“ hat den Opern- und Theaterbetrieb seit vielen Jahren bis in höchste Stellen unterwandert. An diesem Premierenabend hat sich ein großer Teil der Staatsopernbesucher dagegen zur Wehr gesetzt. Schon zur Pause gab es viele Buhrufe, in der „Umbaupause“ bei offener Bühne vom dritten zum vierten Akt (gespielt wird die vieraktige Fassung) gab es wie erwähnt lautstark ausgetragene „Meinungsverschiedenheiten“. Beim Schlussapplaus traf das Regieteam ein Buhorkan. Die Sänger wurden mehr oder weniger stark gefeiert – wobei sich das eigentliche Stammpublikum beim Beifall eher zurückhielt. Der Applaus dauerte um die acht, neun Minuten lang.

PS: Schon ganz am Beginn, als sich der Vorhang gerade geöffnet hatte, tönte süffisant eine Stimme aus dem Publikum, um das Bühnenambiente zu „würdigen“ – und sprach ein lautes „Schön!“. Die Pointe wurde verstanden, wie zustimmendes Gelächter bewies.

PPS: Die Vorgänger-Inszenierung von Daniele Abbado stammte aus dem Jahr 2012 und ist wirklich kein „Geniestreich“ gewesen, hat aber im Wesentlichen die Geschichte erzählt. Aber seitens der Direktion wird bei der „Erneuerung“ des Repertoires eine künstlerische „Augen-zu-und-durch“-Politik betrieben, die vor allem darauf berechnet scheint, dass die Ressource des touristischen Publikums für das Haus quasi ebenso „unerschöpflich“ ist wie die staatlichen Subventionen.

Anmerkung: Die aktuelle Fassung vom 28.9.24 14 Uhr unterscheidet sich von der ursprünglichen Version durch einige kleinere Korrekturen und Anpassungen.