DON CARLOS (frz. Fassung)
Aktuelle Spielpläne
Forum
Opernführer
Chronik
Home
Verdi-Portal

Wiener Staatsoper
7. Oktober 2020
(5-aktige französische Fassung von 1867)

Dirigent:Bertrand de Billy

Phillippe II, König von Spanien - Michele Pertusi
Don Carlos, Infant von Spanien - Jonas Kaufmann
Rodrigue, Marquis von Posa - Igor Golovatenko
Grand Inquisiteur - Roberto Scandiuzzi
Ein Mönch (Kaiser Karl V) - Dan Paul Dumitrescu
Elisabeth de Valois - Malin Byström
Eboli, Prinzessin - Eve-Maud Hubeaux
Thibault - Vrgiie Verrez
Herold - Robert Bartneck
Le Comte de Lerme -
Robert Bartneck
Stimme vom Himmel - Johanna Wallroth
Coryphée - Johannes Gisser

Moderatorin (Autodafé) - Ulrike Hübl


Lange, große Oper
(Dominik Troger)

Die Wiener Staatsoper hat den pandämiebedingten „Verwirrungen“ Stand gehalten und die geplante Wiederaufnahme der fünfaktigen französischen Fassung des „Don Carlos“ durchgezogen: eine beispielgebende Leistung. Fünf Vorstellungen wurden angesetzt – nachstehend einige Eindrücke von der vierten Vorstellung.

Es steht wahrscheinlich außer Zweifel, dass die fünfaktige Fassung des Werkes die dramaturgisch sinnvollere ist – aber geht einem bei der vieraktigen Fassung wirklich etwas ab? Die Frage ist vielleicht ein bisschen „ketzerisch“, aber gerade in Anbetracht der erneuten Begegnung mit der fünfaktigen französischen Urfassung schleicht sie sich fast zwangsläufig ein. Könnte das Interesse an dieser Fassung nicht doch ein vornehmlich „historisches“ sein? Aber das spricht nicht dagegen, sie hin und wieder hervorzuholen – was an der Staatsoper dankenswerter Weise seit dem Jahr 2004 in einigermaßen regelmäßigen Abständen passiert.

Dass man diese Fassung in Wien überhaupt hin und wieder hervorholt, hat aber eigentlich mit der Inszenierung zu tun. Denn würde eine Serie konzertanter Aufführungen der Sache nicht auch gerecht werden? Die bekannte vieraktige italienische Fassung befindet sich ohnehin szenisch im Repertoire – und die Liebe des Wiener Publikums zur „grand opéra“ ist schon seit Jahrzehnten „überschaubar“. Die Inszenierung von Peter Konwitschny, die 2004 von Hamburg übernommen und für Wien adaptiert worden ist, sorgt aber nach wie vor für Interesse und polarisiert. Sogar an diesem Abend hat sich für die pantomimische Einlage zu Verdis Ballettmusik im dritten Akt noch ein Buhrufer gefunden, dem „Posas Pizza“ nicht geschmeckt hat. Müssen nicht auch Opernhäuser im Gespräch bleiben? Die Staatsoper kann derart alle paar Jahre erneut auf einen „erprobten Skandal“ zurückgreifen. Das ist zumindest gut für die mediale Aufmerksamkeit und sichert ihr zudem löbliche Erwähnungen in opernhistorischen und publikumssoziologischen Untersuchungen.

Über diese Pantomime („Ebolis Traum“) kann man sich ereifern oder darüber lachen, aber sie ist sehr gut gearbeitet – und wenn das Staatsopernorchester die Verdi’sche Ballettmusik so brillant exekutiert wie an diesem Abend, dann wird eine ergötzliche „Einlage“ daraus, die einen auch ihren Hang zur „Verklatschspaltung“ des spanischen Hofes akzeptieren lässt. Was hat man in der letzten Zeit nicht alles über einen spanischen König in den Zeitungen lesen müssen?!

Aus meiner Sicht ist nicht „Ebolis Traum“ das eigentliche Problem dieser Produktion, sondern die Autadafé. Der peinlichen Fernsehansagerin kann man jetzt nicht mehr entkommen, ebenso wenig dem Zug von König und Ketzern durch die Foyers des Hauses, weil diese Szenen wegen COVID aufgezeichnet wurden und direkt in die Vorstellung eingespielt werden. Das Werfen der Flugzettel von der Galerie hat man beibehalten. Dieser laute, aber lauwarme Sektempfang, den dramaturgisch der anarchisch-revolutionäre Geist einer vergangenen Epoche durchweht, wirkt inzwischen abgelebt und selbstgerecht. Die diesem Bild immanente Religionskritik wird ohnehin negiert – und dabei ist Religion wieder zu einem spannenden Thema geworden (wenn auch nicht die Katholische). Insofern haben sogar erfolgreiche Inszenierungen ihre „Halbwertszeit“.

Über die sehr gute Personenführung und durchdachte Dramaturgie braucht man nicht zu diskutieren, sogar das helle Bühnenbild mit vielen niedrigen Türen fügt sich gut darein. Die „Bodenturnübungen“ von Posa und Carlos übersieht man am besten – ebenso ein paar kleinere Mätzchen: Was macht Eboli nur auf der Bühne, wenn der Großinquisitor den König examiniert? Der blinde Mann kommt sogar unvermutet auf ihrem neckischen schwarzen Abendkleid zu stehen. Eboli versucht, es an sich zu ziehen, was ihr aber nicht gelingt. Wie peinlich, schließlich könnte der Großinquisitor sie bemerken! Es gibt viele Inszenierungen, die bestehen nur (!) aus solchen läppischen Einfällen, also hat man es mit diesem „Don Carlos“ doch noch ganz gut getroffen.

Musikalisch hat vor allem das Orchester unter Bertrand de Billy überzeugt. Nicht dass es gelungen wäre, alle Längen glattzubügeln – vor allem der erste Akt konnte eine gewisse „Entbehrlichkeit“ nicht abstreifen, aber das lag auch an den Sängern. Denn gesanglich wurde einem die aktuelle Herausforderung wieder deutlich vor Augen geführt: Wer hat derzeit die Stimme und (!) das Format für diese Rollen? Ein Jonas Kaufmann hat das Format, aber die Stimme hatte offenbar nicht mehr die lyrische Wendigkeit für die Liebesgefühle des jungen Infanten im ersten Akt. Doch das blieb ein punktueller Einwand, den er mit kräftigem Tenor schnell zu verscheuchen wusste. In der Hitze des Gefechtes scheint dieser sich jedenfalls wohler zu fühlen, gibt es keine heiklen Momente beim Tonansatz, kommt seine dunkelglühende Farbe zu guter Wirkung. Interessant ist auch hier ein Vergleich: Ramon Vargas war der Carlos der Premiere. Vargas hat wahrscheinlich stärker die Verletzlichkeit der Bühnenfigur betont, ihr „Wollen“ und „Nicht-Können“, zerrissen von unerfüllter Liebe und Selbstverwirklichung. Kaufmann verlieh dem Infanten mit seinem stark baritonalen Organ von vornherein eine recht „gesunde“, eine „Kämpfernatur“, die revolutionäres Feuer durchdringt.

Aber wie soll man die Elisabeth der Malin Byström einschätzen? Eine jugendliche Bühnenerscheinung, ansprechend und mit Ausstrahlung – aber wie viel von dieser Jugendlichkeit hat ihr flackriger Sopran verströmt? Enge Spitzentöne, kaum ein Piano, forcierte, aufgesetzte Höhen – wird das einer Elisabeth de Valois gerecht? Oder handelte es sich nicht vielmehr wieder um einen Sopran, der sich zu früh an für ihn zu dramatischen Partien „verzehrt“ hat? Bei Eve-Maud Hubeaux ist es noch nicht so weit. Sie bot eine in Aussehen und Spiel attraktive Eboli. Das Schleierlied wurde sehr gut vorgetragen und als Geschichte gestaltet (anhand dieser Szene kann man die Vorzüge dieser Inszenierung gut ablesen). Aber die Stimme wirkte im großen Haus etwas schmal, für die große Arie fehlte ihr ein wenig die glühende Durchdringungskraft.

Der Posa (Igor Golovatenko) zeigte vielversprechende Anlagen, vermochte mich aber nicht durchgehend zu fesseln, offenbar mehr lyrisch veranlagt sang eine schöne Sterbeszene, in der herausfordernden Begegnung mit Philippe blieb er eher blass. Der König wurde von Michele Pertusi gegeben, der im Vorfeld der Wiederaufnahme eingesprungenen ist: Ein Kompromiss, der über weite Strecken recht gut zu akzeptieren war, in der großen Arie blieben Stimme und Sänger aber merklich unter den Erwartungen. Roberto Scandiuzzi war kein Großinquisitor „zum Fürchten“, Virgine Verrez einen mich mäßig überzeugender Thibault. Und mit dem schrulligen Mönch von Dan Paul Dumitrescu gab es sogar einen „Überlebenden“ von der Premiere zu bestaunen, die inzwischen längst zur Operngeschichte geworden ist.

Die genannten Details haben einen insgesamt eher positiven Gesamteindruck aber nicht verhindert: Die Inszenierung funktioniert auch als Theater sehr gut und ermöglichte es den Sängerinnen und Sängern immer wieder für Spannung zu sorgen, auch wenn stimmlich nicht der „Zenit“ erreicht wurde. Der Schlussapplaus wird an die zehn Minuten gedauert haben. Eine Vorstellung folgt noch am Sonntag.