DON CARLOS
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Kammeroper
28. November 2018
Premiere
Bearbeitung für Kammerorchester


Dirigent: Matteo Pais

Inszenierung, Bühne & Licht: Sébastien Dutrieux
Bühne: Agnes Hasun
Kostüme: Constanza Meza-Lopehandia

Wiener KammerOrchester

Filippe II - Dumitru Madarasan
Don Carlos - Andrew Owens
Rodrigo - Kristján Jóhannesson
Großinquisitor / Stimme
d. Kaisers - Ivan Zinoviev
Elisabeth - Jenna Siladie
Eboli - Tatiana Kuryatnikova
Thibault - Ilona Revolskaya


Don Carlos in der Schuhschachtel
(Dominik Troger)

Die Wiener Kammeroper spielt jetzt Giuseppe Verdis „Don Carlos“. Man hat die Chöre gestrichen, das ganze Autodafé-Bild dazu, spielt eine Kammermusikfassung und jagt junge Sängerinnen und Sänger in Partien, für die schon große Häuser nur schwer eine adäquate Besetzung finden. Wenn dann noch die Regie versagt, ist das Scheitern vorprogrammiert.

Die Kammeroper fungiert seit einigen Jahren als Studiobühne des Theaters an der Wien. Die räumlichen Möglichkeiten sind in dem ehemaligen Ballsaal sehr begrenzt. Im Vergleich zur Wiener Staatsoper ist die Kammeroper eine Schuhschachtel. Wenn man den „Don Carlos“ in einer Schuhschachtel spielen möchte, muss man ihn gehörig amputieren, damit man ihn hineinbringt. Und diese Amputation wurde – wie oben nachzulesen ist – im Vorfeld dieser Produktion auch eifrig betrieben.

Nun kann man behaupten, diese Amputation wäre im Sinne der Aussage vertretbar. Man wolle hier den „Familienkonflikt“ zeigen, sozusagen die psychologischen Verwerfungen offenlegen zwischen dem Sohn und der geliebten Stiefmutter, zwischen dem Sohn und dem zwänglerisch-religiösen Vater, zwischen der Königin und einer Rivalin um die Gunst des Sohnes – oder was auch immer. Aber selbst dann bleibt die Amputation ein höchst zweifelhaftes Unterfangen, nicht nur deshalb, weil sie das Werk in formaler Hinsicht zerstört – sondern weil sie die Figuren aus dem höfischen Kontext herauslöst, weil sie die historische Verortung minimiert, weil es hier eben nicht nur um zwischenmenschliche Beziehungen geht, sondern auch um die Frage nach einer politischen und moralischen Verantwortung, die den „Familienzwist“ weit hinter sich lässt.

Dieser Einwand betrifft aber nicht nur die formale und inhaltliche Ebene, er betrifft auch die künstlerische Seite: Kann ich mit einer Kammermusikfassung Verdis Musik überhaupt gerecht werden? Genügt es mir, ein junges Ensemble so weit zu bringen, dass es die Partien technisch bewältigt? Warum wähle ich dann noch als zusätzliche Erschwernis die fünfaktige französische Fassung und beschränke mich nicht auf die gängige vieraktige italienische Fassung? Fragen über Fragen, die diese Neuproduktion der Kammeroper nicht beantwortet.

Die Inszenierung von Sébastian Dutrieux war jetzt auch nicht gerade der „Burner“. Dutrieux ließ die Oper in einem Einheitsbühnenbild spielen: ein düsteres Zimmer mit ein paar rotplüschig bepolsterten Sesseln, die wahrscheinlich „gehobenes“ Interieur andeuten sollten, mit einem Fenster und einem Eingang im Hintergrund, der in einen Garten führte, sowie einer Türe links. Die Personenregie blieb ziemlich statisch, bis auf paar gestische „Verrenkungen“ (etwa bei Posas Tod) und stellte den „Don Carlos“ unter das Primat einer „Tschechow’schen Langeweile“. Manches, wie die „Entsorgung“ von Posas Leiche, wirkte geradezu unbeholfen (der Körper wird unter Mühen in eine Zimmerecke gezogen und dort liegengelassen). Der Großinquisitor sah mehr nach Dracula aus, als nach einem Ordensmann – ein geradezu bizarre Assoziation.

Das Ensemble legte sich kräftig ins Zeug und forcierte, als müsste es in der Lautstärke gegen das Staatsopernorchester antreten. Diese Lautstärke war für den gesanglichen Gesamteindruck nicht gerade förderlich. Sollte man nicht Werke spielen, in denen die Repräsentanten des Jungen Ensembles im Theater an der Wien sich von der besten (!!) Seite zeigen können? Und müsste man nicht jedem jungen Tenor zurufen: Hände Weg vom Don Carlos! Natürlich steht es einem jungen Bass an, dass er die berühmte Arie des Philippe zum Beispiel im Rahmen eines Studien-Abschlusskonzertes zum Besten gibt. Man wird dann sagen: ja das hat Potential, diese Stimme hat Schwärze, ein Rohdiamant, der noch Feinschliff braucht. Aber hätte der junge Sänger die Persönlichkeit, um die Figur durch eine ganze Aufführung zu „tragen“?

Nun waren die Bässe aber wirklich der überzeugendste Teil dieses Premierenabends: Dumitru Madarasan als Philippe mit vielversprechender Schwärze ausgestattet und einem kräftigen Organ, das sich als Barbier-Basilio so richtig ins Zeug legen könnte, beim Philippe aber noch an interpretative Grenzen stieß. Auch der Großinquisitor von Ivan Zinoviev hinterließ einen positiven Eindruck. In der Konfrontation der beiden kam sogar Spannung auf. Der Thibault von Ilona Revolskaya verbreitete natürlichen Charme und war auch stimmlich nicht so gefordert – außerdem durfte sie zum Schleierlied den Chor singen.

Problematischer stand es schon um Elisabeth und Eboli: Jenna Siladie mit einem leicht metallischen Sopran und wenig Pianofreudigkeit ausgestattet, die Eboli der Tatiana Kuryatnikova immer wieder mit einem zu schweren, schnellen Vibrato in der Stimme, obwohl ihr gerade das Schleierlied in Anbetracht der Umstände eigentlich ganz gut gelang. Elisabeth wirkte insgesamt etwas steif, die Eboli pflegte eine kokette, nicht sehr glaubwürdige Eifersucht. Der Posa von Kristján Jóhanesson: stimmlich einförmig und wenig elastisch, zu viel Respekt vor der Partie und zu wenig Ausdruck. Und Andrew Owens als Don Carlos, noch von den Anfangsjahren des Theaters in der Wien in der Kammeroper in guter Tenorerinnerung, hustete schon nach ein paar Takten in die Kulisse, kämpfte vor der Pause heroisch gegen eine Indisposition, wurde nach der Pause angesagt – und rettete den Abend mit Anstand und viel Einsatzfreude. Das Wiener KammerOrchester unter Matteo Pais konnte mit der reduzierten Orchesterfassung auch nicht wirklich glänzen. Aber man spürte das Bemühen, Spannung zu erzeugen, vor allem nach der Pause.

Der Jubel am Schluss ging wohl auf das Konto von Angehörigen und Studienkollegen der Protagonisten, sei also als hilfreiche „familiäre“ und psychologisch wichtige Aufmunterung verstanden. Schließlich sind die Sängerinnen und Sänger die leidtragenden dieser absurden Programmplanung. Aber der Sängermarkt ist so gedrängt, dass es sich niemand leisten kann, „nein“ zu sagen, will sie/er sich nicht die eigene Karriere vermasseln. Das ist keine gute Ausgangsposition – auch nicht für das zahlende (!!) Publikum, dem dann solche unausgegoren wirkende Produktionen „serviert“ werden.