DON CARLO
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Wiener Staatsoper
11. und 15. Juni 2017

Dirigent: Myung-Whun Chung

Filippo II - Ferruccio Furlanetto
Don Carlo - Ramón Vargas
Rodrigo - Plácido Domingo
Großinquisitor - Alexandru Moisiuc
Ein Mönch, Kaiser Karl V - Ryan Speedo Green
Elisabetta - Krassimira Stoyanova
Eboli - Elena Zhidkova
Tebaldo - Margaret Plummer
Contessa d'Aremberg - Fabiola Varga
Conte di Lerma / Herold - Carlos Osuna
Stimme vom Himmel - Hila Fahima


Plácido Domingo als neuer Posa
(Dominik Troger)

Plácido Domingo hat 1967 in Wien mit dem Don Carlo in Giuseppe Verdis gleichnamiger Oper debütiert. Fünfzig Jahre später tritt er auf derselben Bühne als Rodrigo an. Es ist also keine Überraschung, wenn die aktuelle „Don Carlo“-Serie an der Wiener Staatsoper „historisch“ genannt werden darf.

Plácido Domingo erfreut sich nach wie vor großer Beliebtheit und großen Publikumsinteresses. Er hat seiner Karriere durch den Wechsel in das Baritonfach einen neuen Schwung verliehen. Er kann dabei auch auf die unverwüstliche Neugierde des Publikums und der Medien rechnen. Der Rodrigo ist jetzt das neueste Stück in Domingos olympischer Opernrollensammlung.

Dass der Sänger nach wie vor weiß, wie er sein Publikum begeistern kann, steht außer Zweifel – und dass sich seine Stimme gemessen an Karrieredauer und Alter nach wie vor in einer guten Verfassung befindet. Es mag allerdings, je nach Tagesform, eine deutliche Tendenz zur Kurzatmigkeit geben, es mag zunehmend an Spannkraft fehlen. Außerdem erfordert sein Wechsel ins Baritonfach vom Publikum einige Kompromissbereitschaft: Denn beginnen sich seine Rollenporträts inzwischen nicht alle ein wenig zu ähneln? Aber solange Domingo nach wie vor nach Domingo klingt, ob als Tenor oder als Bariton, scheint sein Erfolg gesichert.

Bezogen auf die beiden „Don Carlo“-Vorstellungen am 11. und am 15. Juni ist anzumerken, dass man Domingos Posa nicht mit den Leistungen „echt“ baritonaler Rollenvertreter aufwiegen sollte. Domingos nach wie vor tenoral geprägtes Timbre macht aus Posa schon von Haus aus einen etwas tiefer singenden Don Carlo – und weil Posa und Carlo nicht nur Freundschaft miteinander pflegen, sondern auch des öfteren zusammen auf der Bühne stehen, werden die durch die Stimmfarbe angezeigten Unterschiede im Rollencharakter für meinen Geschmack zu stark eingeebnet. Aber das ist eben einer der erwähnten Kompromisse, die eingefordert werden.

In der Aufführung vom 11. Juni wirkte Domingo im ersten Bild angespannt, und im Verein mit dem angestrengt klingenden Tenor von Ramón Vargas und dem Orchester unter Myung-Whun Chung, das auch erst in die Spur kommen musste, ergab das schon einen ziemlich „holprigen“ Gesamteindruck. Ab der Szene mit Filippo kam Domingo besser in Fahrt und holte sich nach der Pause mit dem „Per me giunto“ und der anschließenden Sterbeszene seine „Medaille“ ab. Insgesamt vertraute er auf einige gut gesetzte, nach wie vor kraftvolle Spitzentöne – und ansonsten auf einen nicht mehr sehr differenzierend agierenden „Einheitsstil“. In der Aufführung vom 15. Juni schien mir Domingo über den gesamten Abend etwas kurzatmiger und gesanglich eine Spur weniger präsent zu sein.

Rein auf die Sängerinnen und Sänger bezogen war die Aufführung vom 11. Juni wahrscheinlich die „packendere“. Das mag auch damit zu tun haben, dass Ramón Vargas am Sonntag sich im Laufe des Abends einigermaßen frei gesungen hat, während ihn am 15. Juni (nach wieder mit Anstrengung absolviertem ersten Bild) eine kurze Irritation im Duett mit Elisabeth zur Vorsicht gemahnt haben dürfte. Sein Tenor klang den ganzen Abend über geraut, und die Mühe, die ihm so mancher Spitzenton kostete, war ihm deutlich anzuhören. Das Feuer der Begeisterung ließ sich derart schwer entfachen, Vargas punktete vor allem mit Verlässlichkeit.

Elena Zhidkova hatte die heiklen Passagen des Schleierlieds sehr gut im Griff und sie sang an beiden Abenden mit ihrem leicht metallisch angehauchten und zur Attacke fähigen Mezzo eine packende, von Liebes- und Lebensenergie sprühende Eboli. Der Schluss des „O don fatale“ zum Beispiel war mitreißend, holte das Publikum ab, und stürmte gleichsam mit ihm zur Don Carlo-Rettung von der Bühne. Zhidkova ließ Eboli als begehrenswerte und begehrende Frau erscheinen, und sie war fähig, Machtwillen ebenso auszudrücken wie einen unter höfischer Etikette lodernden Verführungswillen.

Das erotische Spannungsverhältnis zwischen Eboli und Elisabetta, zwischen Nebenbuhlerin und reizvoller Unschuld, kommt in dieser insgesamt wenig überzeugenden Inszenierung von Daniele Abbado kaum heraus. Schon das unvorteilhafte, sehr einfach gehaltene Kleid Elisabettas, setzt die Königin in Nachteil, fällt im Vergleich zur repräsentativeren Gewandung Ebolis viel zu stark ab. Die mir vom ersten Auftritt an zu selbstbewusste Rollenzeichnung der Elisabetta durch Krassimira Stoyanova habe ich schon anlässlich der Premierenserie angemerkt. Stoyanovas Sopran ist in den letzten Jahren etwas schwerer geworden, hat die lyrische Keuschheit seiner Piani gegen eine charmante, vibratogestützte Reife getauscht, ohne aber zu viel an Flexibilität einzubüßen. Höhepunkt war an beiden Abenden die Arie im vierten Akt, als „tragödische Mischung“ aus Leidenschaft und Selbstverzicht. Der Abend am Sonntag ist ihr nach meinem Eindruck in Summe überzeugender gelungen, am Donnerstag klang die Stimme etwas unstet.

Ferruccio Furlanetto ist als Filippo eine Institution – mit seiner mächtigen, schon etwas gerauten Bassstimme beherrschte er die Bühne. Nach der Pause ließ Furlanetto beim „Ella giammai m'amò!” das Publikum intensiv an den Liebesqualen des Königs teilhaben. Furlanetto entwickelte diese Arie aus einer Art von somnambulen Selbstgespräch, gestaltete sie zum Ausdruck einer tief empfundenen Krise, in der dem König das „Sie liebt mich nicht” wie ein über ihn verhängtes Todesurteil bewusst wird. Der ganze „Monolog” wurde zudem im Spannungsbogen perfekt auf dieses Finale berechnet – und aus ihm schöpfte sich dann psychologisch konsequent das weitere Verhalten Filippos gegenüber dem Großinquisitor und gegenüber Elisabetta. Leider konnte der Großinquisitor von Alexander Moisiuc diesem Filippo bei weitem nicht das Wasser reichen – aber auch die Besetzung des Mönches mit dem reibeisenstimmigen Ryan Speedo Green und des Herolds mit Carlos Osuna war nicht gerade ein Zeichen großen Fingerspitzengefühls seitens des Besetzungsbüros.

Das Orchester unter dem auswendig dirigierenden Myung-Whun Chung klang leicht poliert, und spielte mit Eleganz. Die zweite Vorstellung gelang in der Abstimmung mit der Bühne besser als die erste Vorstellung, in der Chor und Orchester anfangs wenig miteinander harmoniert hatten. Myung-Whun Chung schien sich mehr auf das Begleiten zu verlegen, entfachte aber auch einiges an Lautstärke. Die ideale Abmischung schien hier noch nicht gefunden, auch wenn vieles, vor allem auch solistische Passagen oder sonst weniger gut heraushörbare Details in der Instrumentierung Wohlgefallen erregten.

Am Sonntag wurde der Abend vom Publikum mit 20 Minuten langem Schlussapplaus bedacht, die Vorstellung am 15. Juni brachte es dank einer unermüdlichen, an der Orcherstergrabenbrüstung aufgereihten Schar von Domingo-Fans sogar auf 23. Minuten. Als Placido Domingo einen über den Orchestergraben geworfenen Blumenstrauß spontan aus der Flugbahn fischte und auffing, haben sich er und das Publikum wahrscheinlich gleich um dreißig Jahre jünger gefühlt. „Wohin, wohin seid ihr entschwunden, o Jugendzeit, o Liebesglück?“ – aber das ist eine andere Oper, auch wenn man darüber schwer melancholisch werden könnte ...