DON CARLO
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Wiener Staatsoper
29.6.2012

(4-aktige italienische Fassung )

Dirigent:Franz Welser-Möst

Filippo II - René Pape
Don Carlo - Ramón Vargas
Rodrigo - Simon Keenlyside
Großinquisitor - Eric Halfvarson
Ein Mönch, Kaiser Karl V - Dan Paul Dumitrescu
Elisabetta - Krassimira Stoyanova
Eboli - Luciana D'Intino
Tebaldo - Ileana Tonca
Contessa d'Aremberg - Fabiola Verga-Postatny
Conte di Lerma / Herold - Carlos Osuna
Stimme vom Himmel - Valentina Nafornita


Saisonfinale an der Staatsoper, 1. Teil
(Dominik Troger)

Am vorletzten Staatsopernabend der Saison 2011/12 stand noch einmal die Neuproduktion von Giuseppe Verdis „Don Carlo“ auf dem Programm. Die hochsommerlichen Temperaturen hätten vielleicht zu einer anderen Abendgestaltung eingeladen, aber die drohende Sommerpause vor Augen zog es einen dann doch ins Haus am Ring.

Und was ist die Quintessenz dieser fünften Aufführung der Premierenserie? Dass die Szene den Eindruck vermittelte, die Premiere habe nicht vor 14 Tagen, sondern vor 14 Jahren (!) stattgefunden? Ja, auch das. Aber eigentlich hat mich die Aufführung in ihrer Gesamtheit ein wenig ratlos zurückgelassen.

Die Staatsoper hat zeitgleich zu dieser Neuinszenierung im Rahmen der Europäischen Musiktheater Akademie eine zweitägige Veranstaltung zum Thema „Die Kunst Verdi zu singen“ abgehalten. Offenbar gibt es hier „Herausforderungen“, die aufzuzeigen allein schon ein Verdienst sein könnte. Nun wird jeder Opernliebhaber ohnehin „seinen“ Verdi im Kopf und im Herzen tragen, insofern sind nachstehende Zeilen nur als Versuch zu werten, aus ganz persönlicher Sicht einige Charakteristika dieser Neuproduktion herauszuarbeiten.

So fällt insgesamt an der musikalischen Wiedergabe dieses „Don Carlo“ eine mehr grelle, „nüchterne“ Beifärbung auf. Den Sängern (bis auf Ramón Vargas) fehlt es im Timbre ihrer Stimmen an einer weicheren Abschattierung – oder sie kommt kaum zur Geltung, weil eher forciert gesungen wird, wodurch sich die Gefühle schärfer und womöglich weniger nuanciert artikulieren.

Das geht Hand in Hand mit dem Spiel des Orchesters, das eher blechlastig und mit reduzierter klanglicher Fülle in den Streichern ebenfalls einen mehr nüchternen teils schon „scharfen“ Effekt macht. Pointiert – und an den Staatsopern-Premieren dieser Saison orientiert – könnte man anmerken, der musikalische Leiter habe hier Verdi einen Janacek übergestülpt. Die Bandbreite sinnlicher, lautmalerischer Elemente wird eher unterdrückt, sie reduziert sich auf ihren technischen Gehalt – das Beispiel der Orchestereinleitung zum dritten Akt habe ich bereits in der Premierenbesprechung genannt, betrifft aber die ganze Aufführung. Die Angst vor „Kitsch“ reduziert das Malen romantisch-mystischer Färbungen in den Klosterszenen ebenso wie den Willen, Verdis „Mitleidsethos“ mit einem Schuss Sentimentalität besonders in den Vordergrund zu stellen. Dazu kommt ein meist unentdeckt bleibendes Kammerspiel der Gefühle, das vor einem funkelnden imperialen und düster-religiösen Hintergrund abläuft, der in seinem prunkenden „Brokat“ aber auch nicht ausgerollt wird.

Ein weiteres Problemfeld scheint der musikalische Vortrag an sich: Er erzählte keine Geschichte, er negiert viele Stimmungswechsel, die in den langen Dialogen der Oper passieren, in dem der Übergang vom einen zum nächsten erst gar nicht besonders betont wird. Hier ist die musikalische „Rhetorik“ zu wenig akzentuiert, werden teils auch Nebenstimmen im Orchester hervorgehoben, die nicht das grundlegende emotionale Fundament der Oper legen, sondern dieses mehr beunruhigen und bedrohen. Dort, wo das bedrohliche Element (etwa Großinquisitor) deutlich in Erscheinung tritt, kann es dann nicht mehr überraschen. Ein Beispiel dafür ist auch die Stelle in der Szene Posa-Filippo, wenn der Marquis die Ruhe eines Kirchhofs beschwört. Es mangelt insofern an der ausbalancierten Gegenüberstellung zwischen „Individuum“ und „Politik“, zwischen Kammerstück und imperialer Hofwelt, zwischen gesungenem „Wort“ und der von Verdi musikalisch bloßgelegten „Seele“.

Bei Verdi gibt es in dieser Oper mit dem Mönch alias Karl V. außerdem immer noch eine Hoffnung, eine übergeordnete, dem menschlichen Ringen enthobene „Wahrheit“, die für die einzelnen Charaktere eine humanitäre Basis bildet. Aber dieser „Don Carlo“ wurde für meinen Geschmack im Ausdruck zu stark und holzschnittartig an pessimistischen, existentialistisch eingefärbten Menschenbildern des 20. Jahrhunderts geschärft – und das ergibt in Summe ein doch eher eindimensionales Verdi-Bild.

Auf Ramon Vargas treffen diese Ausführungen nur bedingt zu, weil, von der weicheren Anlage seiner Stimme ausgehend, er es möglicher Weise einfacher hat, die wechselnden Emotionen des Infanten zu transportieren, seine Liebessehnsucht, dieses „Kretinhafte“, beim Streben nach politischer Einflussnahme. Hier passt der Gegensatz des Gefühlsmenschen zur rigiden Umwelt – die im Filippo II des René Pape einen sehr autoritären Reibebaum findet. Leider wird Vargas deutlich zum Forcieren genötigt und hat mit den Spinto-Höhen seine Mühe. An diesem Abend klang sein Tenor im ersten Bild schon richtig abgespannt, erfrischte sich aber im trauten Zwiegespräch mit Elisabetta und kam schließlich überzeugender in Fahrt, als bei der Premiere.

René Pape, der Sänger des Filippo, ist dort großartig, wo er sich als Herrscher inszenieren kann, wo es darum geht, eine autoritäre Fassade der Macht zu zeigen, etwa wie bei seinem ersten Auftritt und dem Abstrafen der Hofdame oder wenn er jovial Posa zum Gespräch „bittet“. Die „Beziehungs“-Krise Filippos ist aber nicht nur eine, die aus verletztem Stolz oder aus lapidarer Eifersucht erwächst – und deshalb müsste deutlicher spürbar werden, wie der König selbst leidet, wie er als Mensch auch um seine (!) menschlichen Schwächen weiß, und wie er um menschliche Würde und Verhalten ringt. Zu hinterfragen wäre hier zum Beispiel sein Auftreten in der Szene mit dem Großinquisitor, dem sich Pape in einem fast schon revolutionär-ketzerischen Aufbegehren gegenüberstellt. Hier mangelt es an Zwischentönen, Ehrfurcht und Angst, die der König empfindet, ebenso wie tiefe Abscheu – und es wird in diesem ungleichen Machtspiel (der Großinquisitor hat alle Trümpfe in der Hand) nicht deutlich, dass Filippo unter dem „Redeschwall“ des Kirchenmannes förmlich zerbricht. Im Grunde genommen ist Filippo nur eine hilflose Marionette, dessen Fleisch an den Fäden des Hofzeremoniells und der Kirche zappelt: dass die Marionette über ihren Zustand Bescheid weiß, erzeugt „Tragik“.

Verhält es sich mit Elisabetta nicht ähnlich? Krassimira Stoyanova spielt und singt die Rolle für meinen Geschmack zu selbstbestimmt. Nun ist schon das Timbre ihres Soprans nicht wirklich warm oder „sentimental“ zu nennen. Dadurch wird Elisabettas Wesen noch stärker in die Richtung einer stolzen Unnahbarkeit und Keuschheit gedrängt. Interessant ist in diesem Zusammenhang ihre Begegnung mit dem König im dritten Akt, ihr einfordern von „Giustizia“. Stoyanova fordert Gerechtigkeit mit dem Selbstbewusstsein einer emanzipierten Frau des 21. Jahrhunderts. Es ist damit nicht gesagt, dass sich Elisabetta dem König vor die Füße zu werfen habe – aber mehr Demut scheint angebracht, um die Machtverhältnisse in dieser Beziehung klar zu stellen und um den Leidensweg ihrer „Seele“ zu verdeutlichen.

Es geht nicht darum, ob diese beispielhaften und nicht für alle Personen des Stücks weitergeführten Gedankengänge „richtig“ sind, sondern sie sollen zeigen, was an Feinheiten des Ausdrucks und der Darstellung möglich wäre, welcher Reichtum an Gefühlen und psychologischen Nuancen dieses Werk bestimmt. Die Interpreten wurden aber – so mein Eindruck – weder im darstellerischen noch im musikalischen Ausdruck wirklich gefordert. So „billig“ darf sich eine Staatsopern-Neuproduktion des „Don Carlo“ nicht geben, die eine im „handwerklichen Sinn“ viel subtilere Einstudierung hätte erwarten lassen.

Insgesamt betrachtet ging diese letzte Aufführung der Premierenserie „flüssiger“ über die Bühne als die Premiere – und wurde recht stark bejubelt. Der Schlussapplaus dauerte 10 Minuten, auch der Stehplatz war sehr gut besucht.