DON CARLO
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Wiener Staatsoper
16.6.2012
Premiere
(4-aktige italienische Fassung )

Dirigent:Franz Welser-Möst

Regie: Daniele Abbado
Bühnenbildkonzeption: Graziano Gregori
Bühne: Angelo Linzalata

Kostüme: Carla Teti
Licht: Alessandro Carletti

Filippo II - René Pape
Don Carlo - Ramón Vargas
Rodrigo - Simon Keenlyside
Großinquisitor - Eric Halfvarson
Ein Mönch, Kaiser Karl V - Dan Paul Dumitrescu
Elisabetta - Krassimira Stoyanova
Eboli - Luciana D'Intino
Tebaldo - Ileana Tonca
Contessa d'Aremberg - Fabiola Verga-Postatny
Conte di Lerma / Herold - Carlos Osuna
Stimme vom Himmel - Valentina Nafornita


Don Carlo im Bunker
(Dominik Troger)

An der Staatsoper hatte Samstagabend die vieraktige italienische Fassung von Verdis „Don Carlo“ Premiere. Angeblich war die alte Inszenierung bereits abgespielt. Nun, die neue stört so wenig wie die alte – ist aber noch schlechter. Musikalisch hatte der Abend ein hohes Niveau.

Die Aufführung begann mit zehnminütiger Verspätung. Die den Ring entlang strömende Regenbogen-Parade, die einmal im Jahr mit überlauten Bassklängen die Ohren der Anrainer und die Bausubstanz der Wiener Innenstadthäuser einem medizinisch beziehungsweise bautechnisch höchst fragwürdigen Belastungstest unterzieht, sorgte für einige Verkehrsprobleme. Der Direktor persönlich trat auf die Bühne und bat um Verständnis für eine kurze Nachfrist, um in der Anreise gestörten Besuchern noch ein pünktliches Erscheinen zu ermöglichen. Die Vorstellung begann deshalb erst um 19:10.

Wer es also geschafft hatte, sich ohne Gehörschaden durch die Lärmkulisse der Regenbogenparade in die Staatsoper zu retten, den erwartete durchaus musikalischer Genuss – aber von der kreativen Optik des bunten Umzugs hätte diese düstere, quasi „semi-konzertante“ Inszenierung von Daniele Abbado (Bühnenbildkonzeption / Bühne Graziano Gregori / Angelo Linzalata) nur profitieren können.

Abbado liefert im Programmheft zur Aufführung auch gleich seine Sicht der Dinge, die da heißt: „Das Stück ist hoffnungslos negativ.“ Er widerspricht sich zwar ein paar Zeilen später, in denen er plötzlich doch „Hoffnung“ ortet, aber der bunkerartige, graudüstere Bühnenquader, der deutlich von der Rampe nach hinten versetzt als Spielfläche diente, ließ erst keine Illusionen aufkommen. Zwar wurde dieser kahle Raum hin und wieder mit Lichteffekten belebt, die Wände konnten sich heben und senken und beispielsweise die Hinterbühne freigeben, aber im Grunde genommen haben Abbado und sein Bühnenbildner damit gleich das Scheitern der Inszenierung vorprogrammiert. Denn so ein leerer Raum will auch bespielt (!!!) werden.

Das mindeste, was man also erwarten durfte, war – abseits von optischen Geschmacksfragen – eine psychologisch ausgefeilte Personenregie. Gerade der „Don Carlo“ bietet viele Möglichkeiten für eine „Familienaufstellung“ des Herrscherhauses, es gibt so effektvolle Bühnenmomente wie eine staatstragende Ketzerverbrennung und den Auftritt eines fiesen Großinquisitors. Da ließe sich doch einiges arrangieren? Leider ist Abbado nicht mehr gelungen, als eine quasi semi-konzertante Bühnensituation, mit Auf- und Abtritten, nicht immer schlüssigen Stellungswechseln der in gängigen Opernposen verharrenden Protagonisten und ein bisschen Chor nach da und nach dorthin.

Zugegeben, man ist bei Inszenierungen längst ein „gebranntes Kind“ und die orangegewandeten Müllmänner des „Titus“ hätte man nicht gerne im „Don Carlo“ wiedergefunden. Aber ist es so schwierig einen Mittelweg zu finden zwischen dem „Trashtheater“ meist deutscher Regieprovenienz und einem verstaubten, unansehnlichen „Opernambiente“, in dem die Sänger ganz auf sich allein gestellt sind? Ein großer Teil des Premierenpublikums war jedenfalls der Meinung, dass man einem Regisseur heutzutage schon dankbar dafür sein muss, wenn seine Inszenierung möglichst wenig „stört“. Es gab am Schluss sogar einige Bravorufe für Daniele Abbado und keine einzige Missfallensbezeugung.

Aber ich gebe zu, wenn man nachbohrt, ergeben sich vielleicht neue Perspektiven. Die Kostüme waren zwar unverständlicher Weise auf das frühe 19. Jahrhundert getrimmt, und Posa war für diesen illustren Rahmen der spanischen Highsociety so schäbig angezogen, dass man ihn mit sogar von der Schwelle der Palastküche vertrieben hätte – aber es könnte sein, dass dieses aus Jagd- und Freibeutergewand gemischte Outfit den revolutionären unangepassten Geist des Marquis symbolisieren sollte – und das wäre dann in der Tat sogar schon eine interpretatorische Eigenleistung der Regie gewesen.

Die zum maurischen Lied sich läppisch gebärdenden Hofdamen wird man damit aber genauso wenig „erklären“ können wie den misslungenen Auftritt des Großinquisitors. Unscheinbar, auf der Bühne vom König fast respektlos (!) hin und hergeschoben, wie ein Bettelmönch niedrigsten Ranges ausstaffiert, da bietet dann sogar ein Eric Halfvarson, den man von früheren „Don Carlo“-Aufführungen als mächtigen, grauenerregenden (!!!) Religionsüberwacher in Erinnerung hat, nur mehr ein blasses Abbild seiner selbst. (Sein Bass ist freilich schon in die Jahre gekommen, aber das erklärt nicht die stark reduzierte Wirkung seines Auftritts. Hier versagte die szenische Umsetzung fundamental.)

Ähnliches muss von der Autodafé berichtet werden, mit einem „Festzug“, der auf Mittelalterfesten Furore machen würde (obwohl, da müsste man noch ein paar Statisten mehr anheuern) und mit einer wenig sinnvollen Platzierung der Ehrenloge – sie wird links seitlich einfach vorgeschoben – und weiteren Seltsamkeiten: Der Auftritt von Don Carlo und den flandrischen Abgesandten erfolgt im Rücken (!) des Königs. Dieser marschiert gerade auf der inzwischen offenen Bühne Richtung Hintergrund (dort sieht man eine goldene Wand oder ein Portal – und von der Galerie aus leider nicht mehr – insofern blieb unklar, was der König dort überhaupt zu suchen hatte) während die Gesandtschaft sich rechts vorne aus der Zuschauermasse löst. Dass sich der König umdrehen muss und zum Infanten zurückkommt macht diese Szene schwerfällig und nimmt ihr den Überraschungseffekt. Die Ketzer werden zur Verbrennung einfach auf einen „Haufen gelegt“, und im Hintergrund werden Flammen entzündet. Man kann darüber streiten, ob die Lösung, die an einen Pfahl gebundenen Ketzer pyrotechnisch zu illuminieren – wie es in früheren Staatsopernproduktionen der Fall war – zwingend ist, aber für solche herausfordernde Aufgaben holt man sich ein Regieteam, dem dann (hoffentlich!) etwas Überzeugendes einfällt.

Noch zwei Anmerkungen zur Bühne. Die Sicht von der Galerie auf die Hinterbühne war manchmal deutlich eingeschränkt – besonders ärgerlich im Finale, wo man nur mehr erahnen konnte, was der Mönch jetzt mit Carlo anstellt. Falls es dort im tiefsten Bühnenhintergrunde irgendwelche „erhellende“ Projektionen gegeben haben sollte, dann hat man sie von der Galerie aus nicht gesehen. Die Bauweise der Bühne scheint die Stimmen zu stützen, die laut klangen – fast schon leicht „übersteuernd“. Überhaupt war die Aufführung akustisch offenbar nicht ideal aus austariert, das Blech viel zu dominant, das Orchester und phasenweise der Chor zu laut.

Die Sängerinnen und Sänger erfüllten im Wesentlichen die hohen Erwartungen – unabhängig von persönlichen Geschmacksfragen und Vergleichen mit der Vergangenheit. Solche Vergleiche gehen, so man sie anstellt, ohnehin fast immer zum Nachteil der Gegenwart aus. Gerade bei Verdi scheint es aber derzeit einen Mangel an hochkarätigsten Kräften zu geben. Das spürte man auch ein wenig an diesem Abend – wird jüngere Semester aber nicht tangieren.

In der Titelpartie fand Ramón Vargas (nach einem etwas forciert gesungen ersten Bild) ab dem Gespräch mit der Königin im Garten immer besser in die Partie. Die Spitzentöne kamen etwas angestrengt. Vargas ist mit seinem leicht breiten, farbenreichen Tenor für meinen Geschmack bei der französischen Fassung eigentlich besser aufgehoben. Darstellerisch wirkt er meist ein bisschen unbedarft, das war an diesem Abend nicht anders.

Sein Freund Posa fand in Simon Keenlyside einen modernen Singschaupieler, der in dieser Produktion aber nicht wirklich viel zu spielen hatte. Keenlyside war trotzdem auffallend präsent, punktete mit einer schön gesungenen Kerker- und Sterbeszene und ist für meinen Geschmack doch nicht so ganz der ideale Verdibariton, im Timbre vielleicht eine Spur zu hell und zu wenig sinnlich. Aber was heißt schon „ideal“?

René Pape gab einen autoritären Filippo II., mit viel Bühnenpräsenz. Die Zwischentöne, die Verzweiflung, das persönliche Ringen dieser Figur kamen nicht so ganz heraus: ein gesanglich zwar großartiger Filippo, der sich mit Nachdruck Aufmerksamkeit zu verschaffen weiß, aber nicht die Abgründe seiner Seele empor holt? Vielleicht liegt das auch am Timbre, das doch eher heller und nicht mit schwarzer Abgründigkeit gefärbt ist. Die Regie hat ihm zudem nicht weitergeholfen.

Krassimira Stoyanova gab eine selbstbewusste Elisabetta, die auch in ihrer langen Arie im vierten Akt nicht die Duldnerin herauskehrte. Das war vielleicht der Höhepunkt des Abends, präzise durchgestaltet und gesungen. Ihr Sopran scheint mir in der letzten Zeit etwas nachgereift, seine klare Lyrik färbt jetzt schon dramatischeres Potential.

Die Eboli wurde von Luciana D’Intino nicht zum ersten Mal an der Staatsoper gesungen. Ihr satter, laut tönender Mezzo hat nicht an Feingefühl zugelegt, produzierte aber ein imposantes „O don fatal“. Feinschmeckerohren werden ihre aufgesetzte Höhe und inzwischen noch deutlich abgesetztere Tiefe nicht so goutiert haben. Darstellerisch hatte diese Eboli kaum etwas zu bieten.

Über den Großinquisitor wurde schon weiter oben kurz referiert. Dan Paul Dumetrisco ist auch in der italienischen Fassung ein passender Mönch und Karl V. Und auch die übrigen Mitwirkenden fügten sich ins durchwegs hohe gesangliche Niveau dieser Aufführung.

Das Orchester unter Franz Welser-Möst spielte zügig, und hob für meinen Geschmack die Streicher zu wenig, die Bläser dafür umso stärker hervor. Das schmetterte vor allem und fand nicht zu federnder imperialer Eleganz. Welser-Möst betonte teils interessante Details, die aber nicht unbedingt die Emotionalität des musikalischen Vortrags beförderten. Die ganze Einleitung zum dritten Akt beispielsweise klang recht nüchtern, ohne raumgreifender Emphase. An Spannung mangelte es aber nicht – im Gegenteil, die Zuspitzung schien mir phasenweise schon zu stringent.

Der Schlussapplaus dauerte eine gute Viertelstunde lang. Keenlyside und Stoyanova waren die Hits beim Applaus, lagen leicht vor Pape und Vargas.

Fazit: Musikalisch hörenswert, szenisch unbedeutend.

PS: Angeblich gab es einige Buhrufe, die ich aber nicht gehört habe.