ATTILA
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Theater an der Wien
Premiere
7. Juli 2013

Musikalische Leitung: Riccardo Frizza
Inszenierung: Peter Konwitschny
Ausstattung: Johannes Leiacker
Licht: Manfred Voss

ORF Radio-Symphonieorchester Wien
Arnold Schönberg Chor
Kinderchor Gumpoldskirchner Spatzen

Attila - Dmitry Belosselsky
Ezio - George Petean
Odabella - Lucrecia Garcia
Foresto - Nikolai Schukoff
Leone - Stefan Cerny
Uldino - Andrew Owens


Nachtkritik: "Zu wenig Verdi und viel zu viel Konwitschny"
(Dominik Troger)

Das Theater an der Wien wurde am Sonntagabend nicht von den Hunnen gestürmt, aber nach der Pause ging es bei der Premiere von Verdis „Attila“ schon ein bisserl „rund“. Die Buhs am Schluss gossen Öl in das Feuer von Provokationsmotor Peter Konwitschny – und das Theater an der Wien darf sich darüber freuen, weil es dem Regisseur seine erste „originäre“ Wiener Produktion ermöglicht hat.

Doch dieser „Provokationsmotor“ ist schon ziemlich ins Stottern geraten, lebt von Wiederholungen und wärmt vor allem eine Masche immer wieder auf: viel Klamauk auf der Bühne, um mit leichten Scherzchen das eigene Klientel zu unterhalten und die „Gegner“ aus der Reserve zu locken. Wenn es im Publikum dann ein bisschen „Tohuwabohu“ gibt, ist die gewollte mediale Aufmerksamkeit garantiert. So steigert man den eigenen Wert für die Opern-Event-Gesellschaft. Außerdem wird eine einfache und unanfechtbare Botschaft als Alibi vorangetragen: zum Beispiel „Verdis Attila ist ein Antikriegsstück“. Dann kann die übliche Show abgezogen werden, und wer dagegen aufmuckt wird für „unzurechnungsfähig“ erklärt.(1) Dass die Musik und eine sinnfällige Darstellung und Ausdeutung der Opernhandlung dabei zu kurz kommen, versteht sich von selbst.

Nun ist Verdis „Attila“ (Uraufführung 1846 in Venedig) nicht gerade ein Werk, bei dem der Meister mit viel psychologischem Feinschliff gearbeitet hat. Aber es repräsentiert Verdis „Sturm und Drang“ mit energiegeladener Musik und mit einem Cabaletta-Feuerwerk, das – entsprechende Sänger vorausgesetzt – ein Opernhaus „in Brand“ stecken könnte. Die historisierende Handlung um Attila und seinen vom Papst abgewendeten Zug auf Rom hat zwar den leicht mottigen Charme eines Kostümfilms – aber dazu kann man stehen, weil die Musik mit ihrem heroisch zündenden Gestus diese Geschichtskulisse bestens auffüllt. Immerhin wird von Verdi passender Weise auf die Gründung Venedigs Bezug genommen, und dass die Zeitgenossen allerhand Politisches zur erhofften Einigung Italiens aus der Oper herausgelesen haben, hat Verdi sicher nicht geschadet. Zugegeben, es ist leicht, solche Sujets zu „verblödeln“ – und davon hat Konwitschny reichlich Gebrauch gemacht, hat er doch schon im Vorfeld erklärt, das ihn das Ganze an einen „Comic“ erinnere.

Den Inhalt, den sich Konwitschny ausgedacht hat, soll er am besten selbst erzählen: „Anfangs sind es Kinder, die Krieg spielen. Am Ende des ersten Teils kommt der Papst und bittet Attila, Rom zu verschonen. Bei uns erhält das eine zusätzliche Dimension: Erstmals kommen Erwachsene auf die Bühne, nehmen den Kindern die Spielsachen gewaltsam weg. Im zweiten Teil sind sie erwachsen, tragen schwarze Anzüge und Pistolen, es wird russisches Roulette gespielt. Im letzten Teil sind nur noch vier uralte Figuren da. Sie sterben an Herzversagen, nicht, weil sie einander töten. Aber sie haben nichts gelernt: Sie wollen sich weiterhin mit Intrigen und Verrat umbringen.“ (Wiener Zeitung, 2. Juli 2013).

Vor einem weißen papierartigen Hintergrund, der halbkreisförmig die Bühne abschloss und einige unregelmäßige Löcher aufwies, traktierten sich zuerst Erwachsene, die Kinder spielten, mit Kochlöffeln und ähnlichem. Das wirkte zwar nicht sonderlich originell, aber bis zur Pause konnte man dem Handlungsfaden immerhin noch folgen, und der „Comic“-Gedanke fand sich einigermaßen nachvollziehbar und nicht ohne spitzbübischem Humor umgesetzt. Nach der Pause wurde dann bei Attilas Bankett das blanke Chaos inszeniert. Vieles erinnerte sehr stark an Konwitschnys Inszenierung von „Aus einem Totenhaus“, viel Pistolenherumgefuchtel, ein paar Choristen wurden offenbar erschossen, ich verlor bald den Überblick. Im Schlussbild saßen Ezio und Odabella im Rollstuhl, Foresto schob eine Rollator vor sich her, Attila erschien mit Krücken. Ein Teil des Publikums war von dieser „Altersparodie“ durchaus amüsiert.

Das Publikum verhielt sich bis Ezios „È gettata la mia sorte“ ruhig, das er vor dem Vorhang zu singen hatte. Die Regie ließ aber im Bühnenhintergrund schießen, und als sich der Sänger zu den Schüssen während des Singens auf den Boden fallen ließ und der musikalische Fluss dadurch schwer gestört wurde, gab es einige Buhrufe und Gezische. Tumultös wurde es nach dem chaotischen Bankett, Buhrufe und Bravos, schließlich ein Zwischenrufer, was das Publikum zu weiterem Für und Wider anspornte. Beim Schlussvorhang gab es wie erwartet viele Buhs für Konwitschny und eifriges dagegen Anschreien.

Musikalisch bot der Abend viel „Hausmannskost“. Die Erinnerung an den Staatsopern- „Attila“ von 1980 (glücklich wer damals dabei gewesen ist!) muss man bei der Beurteilung natürlich möglichst zurückdrängen. Dmitry Belosselsky lieh dem Attila einen gut durchgebildeten, kräftigen Bass, auch vom rauen Timbre gut für den Hunnenkönig geeignet. Trotzdem blieb er in der Wirkung unterrepräsentiert, zeigte der Charakter auch stimmlich zu wenig die voluminöse Abgründigkeit des Despoten. (Wobei die Inszenierung großen Anteil daran hatte, die Figur zu entmystifizieren.) George Petean (Ezio) wurde wie erwähnt sein zündendstes Stück von der Regie zerstört, aber er hat sich davon nicht anfechten lassen und die Situation sehr gut gemeistert. Etwas markiger hätte er dann und wann doch ans Werk gehen können, so manch strahlenderen Spitzenton hätte man sich auch gewünscht.

Lucrecia Garcia punktete dort, wo es kräftig (und im Klang schon ein wenig scharf) zur Sache ging. Sie lieh der Odabella einen laut in die „Auslage gestellten“ Spintosopran (zumindest am Theater an der Wien gemessen). Die lyrischen Passagen in der Romanze im ersten Akt kamen nicht so zwingend über die Rampe und in der herausfordernden Tiefe zeigte ihre Stimme weniger Substanz. Nikolai Schukoff hatte keinen guten Tag, sein Tenor war nach der Pause schon deutlich angeschlagen. Stefan Cerny gab dem Papst stimmlich passendes Gewicht. Der Chor klang manchmal etwas dünner und nicht so souverän wie gewohnt. Das zu grobschlächtig spielende ORF Symphonieorchester unter Riccardo Frizza war von der Lautstärke schon mehr auf eine „Arena“ getrimmt, als auf das kleine Theater an der Wien.

Fazit: Wer Konwitschy mag, kommt auf seine Rechnung. Wer naiver Weise meint, Verdis „Attila“ werde gespielt, der bleibe am besten gleich zu Hause.

(1) Siehe Konwitschnys Interview in der Wiener Zeitung, 2. Juli 2013: „(...) Ich halte das Publikum bei Meyer für unzurechnungsfähig, (...)." [Zitiert nach Online-Ausgabe]