AIDA
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Theater a.d. Wien
7.6.2003

Produktion der Wiener Festwochen nach einer Inszenierung der Vereinigten Bühnen Graz vom November 1994

Dirigent: Wolfgang Bozic
Regie:
Peter Konwitschny
Bühne: Jörg Koßdorff

Kostüme: Michaela Mayer-Michnay

Wiener Symphoniker
Arnold Schönberg Chor

König von Ägypten - Konstantin Sfiris
Amneris - Ildiko Szönyi
Aida - Sylvie Valayre
Radames - Jan Vacik
Ramfis - Danilo Rigosa
Amonasro - Jacek Strauch
Ein Bote - Thomas Ebenstein
Eine Priesterin - Ulrike Pichler-Steffen


Klagenfurt 5:0 Graz
(Dominik Troger)

Die Wiener Festwochen haben sich diesmal vor allem in den Bundesländern umgesehen. Nach der gelungenen „Madame Butterfly“ des Stadttheaters Klagenfurt wurde jetzt eine neun Jahre alte Produktion der Aida aus Graz im Theater an der Wien aufgewärmt. Und das Resultat: Klagenfurt siegte in diesem „Opern-Städtekampf“ auf allen Linien. Doch, hoppla, war da nicht noch was? Genau! Mit dieser „Aida“ war auch erstmals eine Regiearbeit von Peter Konwitschny in Wien zu sehen.

Neun Jahre ist eine lange Zeit. Inzwischen quellen die deutschen Bühnen über von solchen egomanischen Opernkonstrukten – vor neun Jahren, und noch dazu in Graz, da hatte das vielleicht noch einen gewissen „Kick“? Auch wenn bereits Hans Neuenfels in den frühen 80ern die „Aida“ (wie das euphemistisch so schön heißt) „neu gedeutet“ hat.

Doch während Konwitschny bei dieser Produktion und nach sorgfältiger Wägung aller Für und Wider mit einem dunkelblauen Auge davon gekommen ist, zeigte sich die musikalische Umsetzung teilweise desaströs. Aida und Radames erwiesen sich als Fehlbesetzungen. SängerInnen, die hier in Partien verheizt werden, denen sie technisch nicht gewachsen sind. Beide sangen praktisch jeden Ton forciert. Die Stimme der Aida wirkte erodiert bis auf eine flackernden, unsauberen Kern, der ihr auch jedes Piano maliziös zerstörte. Der Tenor bestand nur in der Attacke, manchmal höhensicher, manchmal nicht, fußend auf einer schmalspurigen Mittellage. Da wurde das Schlussbild nicht nur zum handlungsgemäßen, sondern auch zum gesanglichen Grab für beide, den Verdi’schen Lyrismen hilflos ausgeliefert.

Besser kam die restliche Besetzung zur Geltung. Die Amneris, Ildiko Szönyi, brauchte zwar zwei Akte zum Aufwärmen, bot aber nach der Pause eine akzeptable Leistung, die vor allem auf ihren gut geformten tieferen Registern und ihrer dramatischen Akzentsetzung beruhte. Überzeugend schien auch der Amonasro von Jacek Strauch. Das Orchester unter Wolfgang Bozic spulte das Werk, ohne besondere Feinfühligkeit oder Differenzierung mit teilweise störender Lautstärke herunter.Unbedingt positiv zu vermerken: der Arnold Schönberg Chor.

Aber zurück zur Inszenierung. Ich habe schon angemerkt: Das ist die Demontage einer Ausstattungsoper. Konwitschny inszeniert „Aida“ als Kammerspiel. Das hat einerseits etwas für sich und baut auf der konfliktträchtigen Dreierbeziehung Aida-Amneris-Radames auf, das ist andererseits natürlich auch an den Haaren herbeigezogen, weil dieser Beziehung ein von Verdi komponiertes und im Libretto von Antonio Ghislanzoni deutlich akzentuiertes Kollektiv gegenübersteht. Ja, die ganze Fatalität dieser Liebesbeziehung wird nur im Zusammenhang mit diesem Kollektiv, der Priesterschaft, und im weiteren natürlich auch dem ägyptischen Volk, greifbar. Es ist eine Liebe, die sich in einem öffentlichen Raum abspielt. Konwitschny verzichtet aber (fast) gänzlich auf die Darstellung dieser Öffentlichkeit. Es gibt keine Ballette, keinen Heeresaufmarsch zum Triumph, keine Priester, und er beraubt damit das Werk seiner sinnfälligen Dramaturgie. Die entscheidende Frage ist jetzt, was er dadurch gewinnt. Werden die Handlungsabläufe zwischen Aida-Amneris-Radames glaubhafter, weil er sie aus dem kollektiven Umfeld herauslöst? Was zeigt dem Zuschauer die mehr mikroskopische Sicht des Kammerspiels? Und was geht dadurch verloren?

Konwitschny trimmt also die „Aida“ auf Kammerspiel: Königin und Sklavin, die sich um denselben Geliebten streiten. Dazu braucht es nur ein Sofa in der Bühnenmitte und rund herum weiße Zimmerwände und natürlich eine Tür, die SängerInnen sollen ja auch auf- und abgehen können. Das Sofa ist in den ersten beiden Akten rot, später wird es weiß sein. Nach der Pause wird auch ein Reiseprospektdia auf die weiße Zimmerwand projiziert, Pyramiden, Palmen und Nil. Radames gleich zu Beginn im weißen kurzärmeligen Hemd, Krawatte, ist die Karikatur eines Feldherrn. (Was auch der Liebe der beiden, Aida und Amneris, wenig schmeichelt. Ausgestattet mit einem Plüschelfanten, zieht er in den Krieg. Konwitschny schneidet sich auch hier bereits ins eigene Regisseuren-Fleisch. Er gibt eine Figur, an die er gleichzeitig glauben muss, der Lächerlichkeit preis.) Die Tempelszene im ersten Akt spielt natürlich auch in diesem Sofa-Zimmer. Radames, Oberpriester und Tempelpriesterin sind anwesend. Im Zuge einer bornierten sexuell-mystischen Zeremonie wird das Kriegsschwert quasi aus der Scheide der Priesterin gezogen. Am Beginn des zweiten Aktes verzehrt sich Amneris anstelle des von Verdi komponierten Balletts in autoerotischer Sehnsucht nach Radames. Leider wirken solche Darstellungen auf der Bühne fast immer nur peinlich – doch auch hier ist das Absurde daran, dass es Konwitschny damit durchaus ernst meint. Denn er möchte uns ja mikroskopisch vorführen, was mit diesen drei, Aida-Amneris-Radames, emotional los ist. Wir können diese Masturbationsszene also durchaus auf Konwitschny’s „Erkenntniss-Liste“ buchen.

Dann kommt das Triumphbild. Hier wird Konwitschny jetzt angeblich gesellschaftskritisch. Der etwas tölpelhafte Radames hat (wider erwarten muss man da schon schreiben), die Schlacht gewonnen. Konwitschny zeigt aber nicht die Siegesparade, sondern auf sehr läppische, karnevaleske Art die besoffene Siegesfeier der High-Society: Amneris, König und Operpriester. Die sattsam bekannten Marschmotive verblassen vor diesem Bühnengeblödel, und die Inszenierung erreicht ihren eindeutigen Tiefpunkt. Warum? Der Triumphmarsch ist die Szene, in der sich die ganze Wucht der Öffentlichkeit manifestiert, innerhalb deren Korsett die individuellen Liebesansprüche von Aida-Amneris-Radams Schiffbruch erleiden MÜSSEN! Die Reduktion zerstört hier ganz einfach den von Verdi und Ghislanzoni sinnvoll gewobenen Aida-Plot und macht ihn unsinnig. Das Resultat ist demgemäß auch, dass der Handlungsfaden hier abreißt und eine Lücke entsteht. Konwitschny hat sich hier selbst dieses eingangs zitierte blaue Auge geschlagen, und das schmerzt umso mehr, weil er nach der Pause das „Ernsthafte“ seiner Bemühungen um jene Seelenmikroskopie sehr deutlich in den Vordergrund stellt. Er hat ein Schlussbild von durchaus visionärer Kraft vor Augen, in dem er ein Zeichen der Versöhnung zwischen Aida-Amneris-Radames setzt, die sich noch eine Zeitlang händchenhaltend im Gesange ergehen, ehe Aida und Radames in den Bühnenhintergrund schreitend, die Welt verlassen. Auch Radames „reift“.

Um noch einmal den rein gedanklichen Aspekt dieser Inszenierung zusammenzufassen: Konwitschny gewinnt vor allem diese Versöhnungsgeste am Schluss, eine Geste, die aber nicht zwangsläufig auf einer Dekonstruktion der gesamten Aida-Handlung hätte basieren müssen. Ansonsten gewinnt er nichts, er verliert nur fast alles, was die Wertschätzung dieses Werkes all die Jahrzehnte hindurch beim Publikum ausgemacht hat und was auch von Verdi und dem Librettisten zu einem sinnvollen, schlüssigen Ganzen gefügt worden ist. Konwitschny hat sich gewissermaßen „selbst“ inszeniert, wie es heute so viele Regisseure tun. Es werden nur noch Teilaspekte herausgeriffen, verändert, es wird damit gespielt wie mit einem Puzzle. Man kann diesem „Spiel“ eine gewisse „Kreativität“ nicht absprechen, aber es muss klar sein, dass darüber viel von der ursprünglichen dramaturgischen Konzeption eines Werkes verloren geht. Ich versuche es noch Mal metaphorisch: Der „Aida“-Broitlaib, von Verdi und Ghislanzoni gebacken, von einem Konwitschny zerbröselt. Diesmal, so finde ich, hat Konwitschny immerhin noch eine Rosine (den Schluss) herausgekrümelt, aber das ist, gegenüber dem wohldurchbackenen, köstlich schmeckenden Laib, den Verdi geformt hat, ein sehr karges Mahl, das da übrig bleibt. Mir ist das viel zu wenig. Ich hungere nach mehr. (Neben diesem interpretatorischen Aspekt fiel allerdings die durchaus sehr konventionelle und nicht sehr durchformte Personenregie auf, die überall dort, wo nicht der „Effekt“ im Vordergrund stand, sehr statisch und beim „händchenhaltenden“ Schluss fast lächerlich wirkte – und das war doch überraschend.)

Das Publikum reagierte durchaus feinfühlig. Buhs nach dem ersten Akt und nach dem trostlosen Karneval im zweiten Akt machten deutlich, wo diese Inszenierung fatale Durchhänger hat. Natürlich mischten hier schon Bravorufer mit. Nach dem Triumphmarsch gab es ein hübsches Meinungs-Gefecht, das ein wohlgezieltes Buh, mitten in die gerade verebbten Akklamationen hinein, nicht unpassend abschloss. (Dem Buhrufer wurde dafür sogar applaudiert.) Beim Schlussvorhang hielten sich die Buh-Rufe in Grenzen, die Bravos überwogen deutlich – was aber nach dem dritten und vierten Akt logisch scheint. Seltsam war der starke Applaus für die Sänger, der für mich nur aus der etwas aufgeschaukelten Atmosphäre erklärbar ist.