„Pique Dame mit Herz-Dame“
(Dominik Troger)
Nach
drei Jahren hat die Staatsoper im Juni wieder Peter Ilitsch
Tschaikowskys „Pique Dame“ aus dem Depot geholt und mit Anna Netrebko
als Lisa eine „Herz-Dame“ des Publikums aufgeboten – und nach insgesamt
vier Vorstellungen mit „Pique Dame” und „Herz-Dame“ ging es in die
Sommerpause.
Die
Staatsopern-Produktion der „Pique Dame“ stammt noch aus der Direktion
Ioan Holender – und Vera Nemirovas Inszenierung ist die verstrichene
Zeit anzumerken: das renovierungsbedürftige Palais samt sozialistischem
Kinderheim, das im Postkommunismus vom Kapitalismus vereinnahmt zum
Spielkasino umgebaut wird. Dieser Rahmen passt zwar nicht zur
Geschichte, die Tschaikowsky erzählt, aber wenigstes bleiben die
Figuren in ihrem Bühnenschicksal einigermaßen intakt.
Der Hermann des Yusif Eyvazov
wurde von seinem spröd timbrierten, geradlinigen Tenor geprägt, den er
schon in der Gewitterszene des ersten Akts zu mitreißender Attacke
führte. Hermanns Wahn entfaltete sich im Laufe des Abends konsequent,
aber ohne den Charakter mit tiefschürfender Psychologie zu verdichten.
Insofern wirkte die Ausdrucksskala doch etwas simplifizierend, was aber
der Wirkung keinen Abbruch tat, etwa wenn Hermann liebedrängend Lisa in
eine emotionale Ausnahmesituation manövriert oder wenn sich im Finale
Wahn und Hoffnungslosigkeit zu einem starken Abgesang auf das Leben
vereinen. Eyvazovs Hermann reüssierte als tragischer Held, ohne
dabei „plakativ“ zu wirken oder introspektiv die Dekadenz einer
absterbenden Epoche zu enthüllen. In Summe gelang dem Sänger ein
wirkungsvolles Rollenporträt in einer schwierigen Partie, die auch gut zu seiner von einem individuellen Timbre geprägten
Stimme passt.
Die „Herz-Dame“ des Abends schwelgte in den satten, gereiften Farben ihres Soprans. Es spricht für Anna Netrebko,
dass sie für die an der Realität zerbrechenden Mädchenträume Lisas
trotz langer Karrierejahre noch genug gesangliche Sensibilität
aufbrachte, um einerseits lyrisch den Nachstellungen Hermanns glaubhaft
zu
erliegen, und um andererseits ausreichend für das Verzweiflungspathos
bei Lisas Suizid gerüstet zu sein. Ob der Zeitpunkt für dieses
Rollendebüt um
ein paar Jahre zu spät gewählt war, darüber könnte diskutiert werden.
Doch die Gefühlsausbrüche des dritten Aktes erfordern auch
Stimmkraft – und Netrebko konnte auch hier überzeugen und ihren breiten
Sopran mit Spintoenergie beflügeln, ohne dabei ihrer Stimme zu viel
zuzumuten.
Zwei Sänger von der Aufführungsserie im Jänner 2022 sind auch dieses
Mal angetreten und haben wieder einen starken Eindruck hinterlassen: Alexey Markov als Tomski/Pluto und Boris Pinkhasovich
als Jeletzki. Markov erzählte die Geschichte von der Gräfin und den
drei Karten mit kräftigem, kernigem, sehr gut geführten Bariton. Der
Sänger wusste die Spannung ausdrucksvoll zu steigern und sorgte derart
für die Initialzündung dieser „Ideé fixe“, die Hermann bald so fatal
verfolgen wird. Boris Pinkhasovich sang den Jeletzki mit viel Gefühl in
der berühmten Arie. Seine Stimme ist leicht rau timbriert, aber er
führte sie mit nobler Zurückhaltung durch diese von Tschaikowsky so
delikat gestaltete Liebeserklärung an eine schon verlorene Seele.
Elena Maximova hat
bereits vor zehn Jahren die Polina an der Staatsoper gesungen, der
jugendliche Schwung ihres nach wie vor eleganten Mezzos hat einen
Anflug von Reife bekommen. Die Gräfin von Elena Zaremba
verbreitete mehr „Stil“ als gespenstische „Grabeskälte“, blieb in
der Schlüsselszene im Ausdruck zu geheimnislos und unerotisch. Die
vielen kleineren Partien waren gut bis solide besetzt – nur der
Festordner tönte, als hätte er schon den ganzen Tag lang lautstark
Befehle erteilen müssen.
Bei der letzten Wiederaufnahme im Jänner 2022 stand noch Valery
Gergiev am Pult, dieses Mal leitete der junge russische Dirigent Timur Zangiev
die Vorstellungen (in der zweiten Aufführung musste Michael Güttler
kurzfristig einspringen, weil sich Zangiev einen „Hexenschuss“
zugezogen hatte). Zangiev dirgierte mit großen Gesten, mit viel
analytischem Spürsinn für die Orchestrierung und den markanten
Einwürfen der Holzbläser. Der Klang war eher trocken. Dramatische
Passagen wie das Gewitter kamen ihm entgegen, in ruhigeren Passagen
hielt die Spannung nicht durchgehend. Dann fehlte es an Sentimentalität, um den analytischen Zugriff emotional etwas
auszubalancieren – wobei die stilistische „Camouflage“ des
Schäferspiels ohnehin schwer zu beleben ist.
Nach der Vorstellung dankte das Publikum mit rund zehn Minuten langem
Schlussapplaus – und die Staatsopersaison 2024/25 war Geschichte.