PIQUE DAME

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Staatsoper
30.6.2008


Dirigent: Andris Nelsons

Hermann - Marian Talaba
Tomski/Pluto - Albert Dohmen
Jeletzki - Boaz Daniel
Tschekalinski - Peter Jelosits
Surin - Goran Simic
Tschaplitzki - Benedikt Kobel
Narumow - Marcus Pelz
Festordner - Clemens Unterreiner
Gräfin - Anja Silja
Lisa - Martina Serafin
Polina/Daphnis - Zoryana Kushpler
Gourvernante - Aura Twarowska
Mascha/Cloe - Laura Tatulescu


Vivisektion

(Dominik Troger)

Die Fußball-EM ist vorbei und mit dieser gestrigen Aufführung von „Pique Dame“ auch die Staatsopernsaison 2007/08. Über die Gemeinsamkeiten von Fußball und Oper zu philosophieren wäre natürlich verlockend, aber das ist auch schon wieder „Schnee von gestern“. Dieser letzte Abend der Saison war jedenfalls recht gut besucht ...

Nachdem Seiji Ozawa die drei Juni-Aufführungen von Pique Dame gesundheitsbedingt absagen musste, kam der junge, lettische Dirigent Andris Nelsons zu seinem Hausdebüt. Nelsons, der an der Oper in Riga in den letzten Jahren – folgt man den Medien – viele Erfolge gefeiert hat, erfüllte Tschaikowskys Spieler-Porträt mit vibrierender psychologischer Raffinesse. Dabei verströmte das Orchester keinen schwelgerischen Trost, das Klangbild war klar und ein wenig trocken, ein „Sozialer Realismus“ der „Enkelgeneration“, ohne dem heldenfeiernden Pomp einer Revolutionsparade.

Das Kartenmotiv fokussierte beispielsweise mit quälender Präzision. Wie mit einem Leuchtstift unterstrichen huschte es hin und her und verknüpfte sich mit Hermanns aufsteigendem, nagendem Wahnsinn, schien es sich manchmal fast völlig aus dem Kontext herauszulösen, um wie eine zeitgenössische Paraphrase durch eine Oper des 19. Jahrhunderts zu geistern. Weniger gelungen fand ich die Begleitung zur Pastorale, ihr historisches Kolorit wurde mehr demaskiert als sich zu einem glanzvollen Stück Salonmusik aufzuschwingen (wobei mir bewusst ist, dass man gerade darin den Vorzug von Nelsons Interpretation sehen könnte).

In seiner Gestik scheint Nelsons mit jeder Handbewegung höchste Präzision und Hingabe zu fordern, aber nicht um zu berauschen, sondern um das Nervengeflecht am offenen Leib der Partitur bloßzulegen: eine Vivisektion, die dem Zuhörer keine Erlösung, sondern Wahrhaftigkeit verspricht und die die Dramatik des Vorgangs in kurze quälende Atemstöße transformiert. So wurde der Abend zu einem höchst interessanten und zupackenden Erlebnis und Tschaikowsky musikalisch ins 21. Jahrhundert herübergeholt. Ob dieses Konzept bei anderen Werken, etwa im italienischen Repertoire, ähnlich gut anspricht, muss offen bleiben. Man wird ja in Zukunft die Möglichkeit haben, hier Vergleiche zu ziehen.

Den Hermann gab nach der Absage von Neil Shicoff Marian Talaba, schon bei der Premiere als Zweitbesetzung in die Produktion eingebunden. Mag sein, dass Talaba von der künstlerischen Reife für den Hermann noch eine Spur zu jung ist. Es fehlte in den entscheidenden Momenten etwas an Kraft oder lyrischer Überhöhung, um den letzten Funken an Begeisterung aus dem Auditorium zu schlagen, aber in Summe rundeten sich Hermanns Charakter und Schicksal zu einem gelungenen, vielversprechenden Rollenporträt (und es spricht für den Sänger, wenn er durch kluge Einteilung der Ressourcen den Bogen nicht überspannte).

Martina Serafin war eine Lisa ohne romantische Anwandlungen – ihre Sehnsüchte haben einen herben Unterton, der mir das „Leiden“ schon von der ersten Szene an zu sehr herausstreicht. Das harmoniert freilich bestens mit dieser Inszenierung, die Lisas Sehnsüchte als verkappte sexuelle Wünsche bloßlegt und in ihr vornehmlich das Resultat der bedrückenden Lebensumstände sieht. Lisa ist von der ersten Szene an dieser „Macht des Schicksal“ ausgeliefert, ein Opferlamm, das um seine Ende weiß. Da passt dann die etwas forsche Expressivität ihrer Stimme, auch wenn man dabei spürt, wie schwer so manche Passage zu singen ist.

Anja Silja bot eine Gräfin mit bühnenberrschendem Eros; Boaz Daniel sang einen nobel-innigen Jeletzki; Albert Dohmen schien mir als Tomski nach wie vor nicht wirklich zwingend, das klang bei ihm alles irgendwie ähnlich: die Schauergeschichte von den drei Karten und die leicht frivol-naive Gesangseinlage im Schlussbild. Zoryana Kushpler debütierte als unauffällige Polina.

Die Inszenierung hat in der platten Gesellschaftskritik des ersten Bildes und des Festes ihre großen Schwächen. Das Figurendreieck Hermann-Lisa-Gräfin wird hingegen gut und überzeugend herausgestellt. Auch das Schlussbild, von Marian Talaba weniger forciert gespielt als von Neil Shicoff, vermag zu überzeugen (bei der Premiere wars mir noch zu viel „Action“). Vor allem nach der Pause ergibt sich ein sehr dichter Gesamteindruck.

Nach starkem Schlussapplaus wurde von der Direktion und dem Staate Österreich Konzertmeister Professor Werner Hink auf offener Bühne geehrt und in die Pension verabschiedet.