PIQUE DAME

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Staatsoper
28.10.2007
Premiere

Dirigent: Seiji Ozawa

Inszenierung: Vera Nemirova
Bühne: Johannes Leiacker
Kostüme: Marie-Luise Strandt

Hermann - Neil Shicoff
Tomski/Pluto - Albert Dohmen
Jeletzki - Markus Eiche
Tschekalinski - Peter Jelosits
Surin - Goran Simic
Tschaplitzki - Benedikt Kobel
Narumow - Dan Paul Dumitrescu
Festordner - Clemens Unterreiner
Gräfin - Anja Silja
Lisa - Martina Serafin
Polina/Daphnis - Nadia Krasteva
Gourvernante - Aura Twarowska
Mascha/Cloe - Caroline Wenborne


Karo Dame

(Dominik Troger)

Die „Pique Dame“ ist dem Wiener Opernpublikum in Gestalt von Regisseurin Vera Nemirova nicht erschienen. Ob sie jemandes „Herz Dame“ ist, muss offen bleiben. Für eine „Treff Dame“ ist sie entschieden zu jung. Bleibt die mehr geschäftlich orientierte und über gute Beziehungen verfügende „Karo Dame“: diese Produktion hat ihr sicher Glück gebracht.

Ob sie ein Glücksfall für die Wiener Staatsoper und ihr Publikum sein könnte, das habe ich noch zur Pause stark bezweifelt. Der spaßige Geldadel auf der Bühne, die unter dem Druck der Verhältnisse zum Alkoholmißbrauch gezwungenen Putzfrauen, das schäbige Einheitsbühnenbild sowie das schwarze Ruderleiberl für den Tenor legten einmal mehr nahe, dass es sich wieder um die übliche, auf deutschsprachigen Bühnen so beliebte gesellschaftskritisch motivierte Phrasendrescherei handelt. Doch nach der Pause zeigte sich, dass in Nemirova mehr steckt als floskelhaftes Nachbeten von Fremd- und Selbstzitaten (etwa Erscheinung der Zarin im erhellten Zuschauerraum – Autodafé Don Carlos) und dass sie – wahrscheinlich auch dank dreier emotional starker Sängerpersönlichkeiten – aus der Handlung kreatives „Theater“ zu entwickeln vermag, wenn sie nur diesen ideologischen Ballast einmal hinter sich lässt.

Es war genau der Augenblick, in dem die Gräfin (Anja Silja), Hermann (Neil Shicoff) in ihrem Makeupspiegel erblickt. Sie hielt ihn in der Hand, da glitt hinter ihr wohl ein Schatten vorüber. Sie wirkte irritiert, folgte mit dem Spiegel der Bewegungsrichtung dieses Schattens. Ein durch den Spiegel reflektierter Lichtstrahl traf den Eindringling. War es Traum, war es Realität? Plötzlich in diesem Lichtstrahl festgebannt, nahte für Hermann und die Gräfin die Sekunde der Entscheidung. Der letzte Liebhaber war gekommen. In einem Geschlechtsakt, Vergewaltigung und Todeshingabe in einem, vollzog sich das Schicksal beider als Ritual der Besessenheit. Später wird Hermann von der aufgebahrten Gräfin das Geheimnis der „Drei Karten“ erfahren, während er ihr sich zaghaft nähert, ihren Oberkörper aufrichtend in nahezu liebvoller Umarmung. Das Schicksal beider ist miteinander verbunden auf alle Zeit.

Damit ging Schritt für Schritt der Verfall Lisas einher, aller Lebenskräfte beraubt, wankte sie ihrem Untergang entgegen. Dieser gegenläufige Prozess war gut herausgearbeitet: die Inkongruenz des Dreicksverhältnisses zwischen Gräfin, Lisa und Hermann, das eine magisch anmutende Dämonie unterschwelliger sexueller Anziehungskräfte nährt. Wobei auch Martina Serafin als Lisa mit starkem emotionalem Einsatz diesen Verfall drastisch – und das sollte eher bedenklich stimmen – im vorletzten Bild auch gesanglich nachvollziehbar erscheinen ließ. (Ein „schönes“ Timbre besitzt Serafin nicht, aber ein ausdrucksstarkes.)

Das Schlussbild verfiel wieder in die alten Fehler und wirkte im angedeuteten Amoklauf Hermanns schon übertrieben. Hier musste wieder plakative Gesellschaftskritik vorhalten. Zu allem Überfluss wurde noch die Wasserleiche Lisas hereingetragen und auf den Spieltisch gelegt. Als ob es dieses Fingerzeigs noch bedurft hätte. Im Vergleich zur „alten Inszenierung“ von Kurt Horres aus dem Jahr 1982 (bei der Premiere heftig umstritten) wage ich keine Wertung. Sie war eigenwillig und doch auf ihre Weise stimmig. Sie hat bis ins Jahr 1999 „überlebt“ und im Alltag wechselnder Besetzungen einigermaßen gut funktioniert. Diese neue Produktion wird es ohne tragende Sängerpersönlichkeiten schwerer haben.

Musikalisch kann ich mich an deutlich höherwertige Aufführungen erinnern. Einzig Seiji Ozawa am Pult ließ „nostalgische Gefühle“ aufkommen – und Tschaikowsky liegt ihm besonders gut. Auch dieses Mal gab es wieder aus der Rhythmik entwickelte dramatische Steigerungen, die verbunden mit einem schillernden Orchesterklang die ganze Expressivität dieser Partitur zum Leuchten brachten. Auch die klassizistische Musik zum meist gestrichenen Schäferspiel (hier im Stil einer „Rocky Horror Picture Show“ szenisch umgesetzt) gelang mit pointiertem Reiz.

Neil Shicoff, im Vorfeld der Aufführung von nervöser Konsistenz, schaffte die Partie überraschend klaglos und mit enormem Einsatz. Für lyrische Extasen ist seine Stimme aber nicht mehr zu haben, es muss schon kräftiger hergehen. Schauspielerisch liegen ihm solche grenzwertigen Charaktere ohnehin. Anja Silja war keine „dämonische“ Gräfin, ganz ohne der Gebrechlichkeit einer alten Frau. Am Gelingen der Schlüsselszene hatte sie maßgeblichen Anteil. Markus Eiche, für Boaz Daniel eingesprungen, punktete als Jeletzki mit einer gefühlvoll vorgetragenen Arie; Albert Dohmen blieb als Tomski eher farblos. Auf hohem sängerischen Nievau: Nadia Krastewa als Polina.

Für Nemirova gab es am Schluss ein paar nicht sehr durchschlagskräftige Buhs bei viel freundlichem Applaus und Bravo-Rufen. Den meisten Applaus konnte Shicoff für sich verbuchen. Wenn man allerdings weiß, zu welcher Begeisterung das Wiener Opernpublikum fähig ist, dann war es in Summe doch ein schaumgebremster Erfolg.