EUGEN ONEGIN |
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Staatsoper Inszenierung und Bühne:
Dmitri Tcherniakov Slowakischer Philharmonischer Chor |
Larina - Helene Schneiderman |
Die neue Staatsoperndirektion sichert sich in ihrer ersten Saison mit Premieren „am laufenden Band“ viel Aufmerksamkeit. Das war klug kalkuliert. Dass die Staatsoper ihr angeblich überaltetes Repertoire mit Produktionen „auffrischt“, die zum Teil selber viele Jahre auf dem Buckel haben, ist allerdings weniger überzeugend. Die für die Saison 2020/21 aus Moskau nach Wien geholte Neuproduktion des „Eugen Onegin“ stammt aus dem Jahr 2006 (und wurde damals durchaus kontroversiell beurteilt) – die Staatsopern-Inszenierung von Falk Richter, die sie ablöst, war sogar um zwei Jahre jünger. Bei Richter wurde die Geschichte metaphorisch in Eis und Schnee eingefroren, die aktuelle Produktion von Dmitri Tcherniakov sperrt das Geschehen in ein großes bürgerliches Speisezimmer mit riesiger Tafel. Viel Luft zum Atmen haben weder Richter noch Tscherniakov Tschaikowskys „Lyrischen Szenen“ gegönnt. Tcherniakovs Inszenierung hat immerhin den Vorzug eines geschmackvollen Bühnenbildes und einer exzellenten Personenregie, die die Oper aber sehr nahe ans Schauspiel rückt. Es entsteht der Eindruck, Tcherniakov hätte lieber einen Tschechov inszeniert, als sich mit Tschaikowskys „Szenenfolge“ abzugeben. Das nur für den dritten Akt ein wenig adaptierte Einheitsbühnenbild ist das augenfälligste Problem dieser Produktion. Nicht nur beim „Eugen Onegin“ sind die vorgeschriebenen Szenenwechsel und vorgegebenen Örtlichkeiten ein wichtiges und sinnvolles dramaturgisches Element. Ein Beispiel: Die erste Szene spielt im Garten, der Ort charakterisiert Tatjana, ihre Liebe zum Land und ihre Naivität. Ihr Zimmer (Zweites Bild) wird wie selbstverständlich zum Ort der intimen Auseinandersetzung mit ihren Gefühlen. Bei Tcherniakov wird das Publikum um solche Entsprechungen betrogen, und Tatjana sitzt im Speisezimmer. statt im baumbeschatteten Garten und sie muss sogar ihren Brief in diesem Zimmer schreiben und aufgeregt auf die lange Tafel klettern. Außerdem garniert Tcherniakov Tatjanas inneren Monolog mit zu viel Äußerlichkeiten, die von ihrer Seelenbewegung ablenken. Völlig kurios wird es allerdings, wenn dieses Speisezimmer auch zum Austragungsort des Duells zwischen Onegin und Lensky wird, das allerdings keines ist: Tcherniakov hat das Duell zu einem Raufhandel vor versammelter Gesellschaft umfunktioniert, bei dem sich unglücklicher Weise ein Gewehrschuss löst. Alles was an Standesdünkel, Ehrgefühlen, aber auch an kühler Berechnung und Ausweglosigkeit in diesem Duell szenisch verankert ist, wurde von ihm in einen Streit vor versammelter Gesellschaft umfunktioniert. Wenn das keine Banalisierung ist? Und wenn im finalen Gespräch mit Tatjana Onegin mit einer Pistole herumfuchtelt und letztlich sogar Selbstmordabsichten vortäuscht, dann fühlt man sich in dieser Einschätzung bestätigt. Die Pistole zieht die Aufmerksamkeit nur vom Wesentlichen ab, sie reduziert das emotionale Ringen dieser beiden Bühnenfiguren auf einen schlecht gemachten Comic. Es gäbe noch mehr anzumerken, die Szene mit Monsieur Triquet etwa, dessen Couplet Lenski singt oder der dritte Akt im reichen Hause in St. Petersburg (das Speisezimmer, das die Bühne zeigt, ist jetzt „mondäner“ ausgestattet): Es wird hier nicht getanzt, sondern gespeist, und die Regie setzt alles in Bewegung, um Eugen Onegin als tolpatschigen Sonderling zu zeichnen, dem man keinen Platz an der Tafel gönnt. Wenn Tcherniakov dabei an die Ironie Puschkins gedacht haben sollte, dann ist diese Szene schwer missglückt. Die neue Direktion hat junge, neue Kräfte aufgeboten, ob daraus für das Haus eine strahlende Zukunft erwächst, wird sich erst zeigen. Das gilt auch für Andrè Schuen, den Sänger der Titelpartie. Er gab einen noch sehr jung wirkenden Onegin, mit schönem Bariton ausgestattet, im Aussehen ganz der „romantische Künstler“ – aber mehr „eigene Persönlichkeit“ und weniger Tcherniakov hätten ihm sehr gut getan. Nicole Car ist kurzfristig eingesprungen und hat nahtlos in diese Inszenierung hineingefunden. Aber ihr Sopran hatte für lyrische Szenen für meinen Geschmack zu wenig „Poesie“ vorrätig. Dazu kam diese Regie, die aus Tatjana eine schüchterne „graue Maus“ machen wollte, die auch in der großen Gesellschaft des dritten Aktes nicht wirklich Fuß gefasst zu haben scheint. Dieser dritte Akt zeigte dann auch ein wenig die Grenzen ihres Soprans und ihres Ausdrucksvermögens auf. Bogdan Volkov sang den Lesnky fast schon zu feinfühlig, eine sehr lyrisch geführte Tenorstimme, passend zu einer leicht verletzbaren Seele. Ob die Stimme für die Staatsoper durchschlagskräftig genug ist, lässt sich anhand des Streams nicht beurteilen. Der Gremin des Dimitry Ivashchenko hätte einen satteren und wohlgerundeteren Bass vertragen. Anna Goryachova als Olga, Helene Schneiderman als Larina und Larissa Diadkova als Filipjewna fügten sich sehr gut in die mit schauspielerischen Details durchchoreographierte Szene, stimmlich war es nicht immer so überzeugend. Überraschender Weise kam nicht der Staatsopernchor, sondern der Slowakische Philharmonische Chor zum Einsatz. Er machte sein Sache sehr gut, auch darstellerisch, war doch jedes einzelne Mitglied des Chores von der Regie zu einer eigene Persönlichkeit geformt worden. Mit dem Dirigat von Tomáš Hanus konnte ich mich nur bedingt anfreuden, es blieb alles doch ziemlich an der Oberfläche. Kann es sein, dass die Oper in diesen neuen Direktionszeiten mehr dem Schauspiel unterworfen wird, als der Musik gut tut? |