EUGEN ONEGIN

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Staatsoper
28. Oktober 2015


Dirigent: Patrick Lange

 

Larina - Monica Bohinec
Tatjana - Anna Netrebko
Olga -
Zoryana Kushpler
Eugen Onegin - Christopher Maltman
Lenski - Dmitry Korchak
Fürst Gremin - Ferruccio Furlanetto
Filipjewna - Aura Twarowska
Monsieur Triquet - Pavel Kolgatin
Ein Hauptmann - Marcus Pelz
Saretzki - Marcus Pelz
Ein Vorsänger - Dritan Luca


Moderne Tatjana

(Dominik Troger)

Anna Netrebko ist wieder in Wien. Sie steht vier Mal als Tatjana auf der Staatsopernbühne. Zusammen mit Dmitry Korchak als Lensky und Christopher Maltman als Onegin ergab das eine hochkarätige „Eugen Onegin“-Aufführung. Besprochen wird die zweite Vorstellung der laufenden Serie.

Anna Netrebko war naturgemäß die Seele dieser Aufführung. Ihr Sopran taucht im Timbre in immer sattere Farben, und demgemäß hat ihre Tatjana eine Liebe erfasst, die schon in der Briefszene mit ungeheurem Lebenshunger nach Onegin drängt. Es ist beinahe, als möchte Netrebko das Publikum umarmen, um ihm das Schicksal dieser jungen Frau möglichst nahe zu bringen: „Seht her, das ist Tatjana, seht her, wie sie um diesen Brief ringt und welche Leidenschaft in ihr glüht!“ Und dabei erglüht Netrebkos Sopran von einer, dunklen schweren Süße, die den Zuhörern erst gar keine Zweifel an Tatjanas Gefühlen erlaubt und (stärker als bei ihrer Wiener-Onegin-Serie 2013) das selbstbewusste Handeln herausstreicht, ihm einen Heroismus der Liebe verleiht, der kein „sopranhaftes“ Zögern mehr zu kennen scheint.

Tatjanas Herz klopft mit festen, blutvollen Schlägen gleich einer Löwin, die so oder so ihren Platz behaupten wird. Und der Gang der Geschichte spricht letztlich dafür, dass Tatjana realistisch genug ist, ihren „Liebesroman“ gegen eine gesicherte Existenz einzutauschen. Das ist vielleicht der Punkt, wo man einfügen könnte, dass bei dieser Tatjana das Publikum nicht wirklich um ihr „Leben“ zu fürchten braucht. Dem „romantischen“ Mädchenideal entspricht sie nicht. Netrebkos Sopran, der auch in der Höhe so breit und sicher zu manövrieren weiß, lässt erst gar keinen blassen Frauenhände zu, die nervös-zittrig in die Tinte tauchen, um diesen Brief zu schreiben.

Interessant ist ein Vergleich mit Puschkin (ich zitiere nach einer Reclam-Ausgabe von 1977): „Tatjana also war ihr Name./ Sie hatte weder die Schönheit / Noch die rosige Frische ihrer Schwester /Um die Blicke auf sich zu lenken.“ Aber wie auch immer, mit Netrebko ist diese Tatjana im 21. Jahrhundert angekommen, und sie nimmt ihr Schicksal ganz offensiv selbst in die Hand. Das bekommt Onegin im Finale sehr deutlich zu spüren. Netrebkos Tatjana versteht sich darauf, eine klare Grenze zu ziehen. Die Leidenschaft erreicht zwar noch einmal Siedehitze, aber umso bitterer ist es für Eugen Onegin, dass er allein zurückbleibt – letztlich in seinen egoistischen Gefühlen durchschaut.

Christopher Maltman steuerte den Charme eines leicht schlankerlhaften Menschen bei, dessen Bariton die rauere Erotik eines Fünf-Tages-Bartes verströmte. Obwohl Maltman stimmlich bestens reüssierte, hatte er es in der Bühnenpräsenz doch schwer, neben Netrebko zu bestehen. Als „russischer Dandy“ war Maltman in Summe ein paar Gramm zu leichtgewichtig, als Charmeur vielleicht immer zu sehr auf dem Sprung aus einer möglichen emotionalen Verantwortung. Dafür lenkte Maltman im Finale den Charakter in die Richtung einer lebensbedrohlichen Situation, ganz Onegins gekränktem Narzissmus gemäß. Die Schlussszene zwischen Tatjana und Eugen Onegin geriet derart beinahe existenzialistisch und hatte sehr viel „Power“.

Dmitry Korchak hat seinen Lenski weiter verfeinert. Sein Tenor befindet sich derzeit offenbar in einem idealen Gleichgewicht zwischen heroischem, aber noch elastischem „Metall“, und einer lyrischen Versonnenheit, die sich in zarten Pianotönen ergehen kann. So sann Korchak mit poetischem Feingefühl und gebotener Verzweiflung der entschwundenen Jugendzeit nach – eine großartige Darbietung dieser berühmten Arie vor Lenskis tragischem Duelltod.

Ferruccio Furlanetto war als Gremin an diesem Abend mit seinem Bass vielleicht nicht ganz so nobel ausstaffiert, während Pavel Kolgatin als Triquet der Festgesellschaft zu einem stimmlich gut gelungenen Intermezzo verhalf. Zoryana Kusphler gab die lebenslustige Olga mit leicht rauchigem Mezzo. Aura Twarowska und Monika Bohinec ergänzten solide. Die musikalische Leitung von Patrick Lange hat die „lyrischen Szenen“ mit ziemlich „handfester“ Dramatik ausstaffiert. Das weckte beim Schlussapplaus sogar kurzen, sehr punktuellen Widerspruch.

Beruhigend ist, dass man es als Besucher inzwischen schafft, das eintönige Schneetreiben auf der Bühne (Regie: Falk Richter) zu negieren. Aber es war auch – laut Programmzettel – bereits die 38. Vorstellung dieser Produktion. Der Schlussapplaus währte rund 10 Minuten lang und feierte vor allem Netrebko, Maltman, Korchak.