EUGEN ONEGIN

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Staatsoper
12. April 2013


Dirigent: Andris Nelsons

 

Larina - Zoryana Kushpler
Tatjana - Anna Netrebko
Olga - Alisa Kolosova
Eugen Onegin - Dmitri Hvorostovsky
Lenski - Dmitry Korchak
Fürst Gremin - Konstantin Gorny
Filipjewna - Aura Twarowska
Monsieur Triquet - Norbert Ernst
Ein Hauptmann - Mihail Dogotari
Saretzki - Mihail Dogotari
Ein Vorsänger - Thomas Köber


Lyrische Exstase

(Dominik Troger)

Russische Festspiele an der Wiener Staatsoper: „Eugen Onegin“ wurde zwar nicht kurzer Hand in „Tatjana“ umbenannt, aber Anna Netrebko stand eindeutig im Mittelpunkt des Abends.

Anna Netrebko hat schon vor ziemlich genau zehn Jahren bei ihrem Hausdebüt einen großen Teil des Wiener Publikums verzaubert – daran hat sich nichts geändert. Man spürte die Anspannung im Auditorium, die großen Erwartungen. Vor dem Haus hatten noch Leute mit „Suche-Karten-Schildern“ auf das Glück gehofft, der Aufführung beiwohnen zu können, in der sich Netrebko dem Wiener Publikum erstmals als Tatjana vorstellen würde.

Als sich der Vorhang hob, erfolgte aber zuerst einmal die Ernüchterung: die Inszenierung von Falk Richter in den „Eis- und Schnee-Bühnenbildern“ von Katrin Hoffman ist natürlich um nichts besser geworden – wie denn auch. Die offene Bühne transportiert geradezu das Gegenteil von „lyrischen Szenen“ – und dieser beständige Schneefall im Hintergrund: Kann man dieser Produktion nicht einmal direktionsseitig ein besseres Wetter verordnen?

Zum Glück durchwärmte Anna Netrebko bald die „Gefrierschrankoptik“ der Szene. Ihr in den Jahren noch ein wenig nachgedunkelter, breitströmender Sopran umfing einen wie ein wehmütig um die Schultern geschwungener weicher Schal, und dankbar ließ man sich als Zuhörer darin einwickeln. Netrebkos Sopran überwältigte wieder mit seiner starken sinnlichen Qualität, die sich dann je nach Charakter der Bühnenfigur entsprechend mit Frohsinn oder Wehmut ausgestaltet. Als Tatjana schwankt dieser Charakter zwischen große Hoffnungen und enttäuschter Liebe. Die Figur muss außerdem einen Zeitsprung über mehrere Jahre glaubhaft machen und einen damit verbundenen persönlichen Reifeprozess: vom schwärmenden Mädchen bis zur treuen Gemahlin eines Fürsten.

Netrebkos Tatjana ist zuerst schon eine Spur mehr Frau als Mädchen, aber das liegt nicht an ihrem erfrischenden Spiel, sondern eben an dieser Stimme, die zu voller Reife gediehen, schwere Süße verströmt. Aber nach der Pause, wenn Netrebko als Fürstin Gremin die Bühne betritt, ist man von ihrer Erscheinung und ihrer Stimme wie geblendet. Jung das Antlitz, reif die Seele, betörend die Stimme: So kann die Fürstin vor Onegins Liebesschwüren bestehen und – sich mit ihrer hart erkämpften Tugend gleichsam selbst adelnd – effektvoll von der Bühne schreiten.

Wer könnte diesen Moment besser beschreiben als Alexander Puschkin selbst – der in diesem Fall einen großen Teil des Staatsopernpublikums als Zeugen nennen dürfte:

„Sie ist hinausgegangen. Eugen steht da
wie vom Donner gerührt.
In welch einen Sturm von Empfindungen
Ist sein Herz geworfen!“

Eugen Onegin, 8. Kapitel, XLVIII (Zitiert nach Reclam, Universal Bibliothek Band 427. Stuttgart 1972)

Dmitri Hvorostovsky als Eugen Onegin war Netrebko in hohem Maße ebenbürtig – von der Bühnenerscheinung sowieso – stimmlich ging ihm die Partie nicht immer ganz so leicht über die Lippen, gegen den Schluss hin fiel mir wieder deutlich sein Atemholen auf, das ein wenig desillusionierend wirkte. Trotzdem hatte Hvorostovskys Onegin eine starke Präsenz, etwas blasiert und eingebildet, im Finale mit großer Leidenschaft, am Schluss verzweifelt. Wie er stürmisch vor Netrebko in die Knie ging, sie umfassend. Dieses letzte Bild war von großer Dichte und Emotionalität.

Dmitry Korchak sang die berühmte Arie des Lensky sehr feinfühlig, berührend, vom Orchester unter Andris Nelsons wie auf Händen getragen. Das Publikum reagierte darauf mit viel Applaus. Korchaks lyrischer Tenor besitzt einen eher metallischen Kern, wie die Stimmen vieler Sänger aus dem slawischen Sprachraum. Er stand erst vor wenigen Monaten als „Cenerentola“-Prinz auf der Staatsoperbühne – der Lensky gelang ihm weit überzeugender.

Konstantin Gorny konnte als Fürst Gremin hier nicht ganz anschließen. Sein Bass war mir für diese Liebeserklärung zu wenig füllig und weich. Alisa Kolosova sang eine erfrischende Olga. Norbert Ernst gab einen köstlichen Triquet. Die übrigen Mitwirkenden sorgten solide für die ergänzenden Nebenrollen.

Der Abend begann eigentlich erst mit der Briefszene. Das erste Bild plätscherte eher uninteressant dahin. Das hatte mit der Inszenierung, ein bisschen aber auch mit Andris Nelsons zu tun, der offenbar versuchte, den lyrischen Gehalt des Stoffes und seine emotionale Leidenschaftlichkeit zu verschmelzen. Das ging ein wenig auf Kosten eines durchgestalteten dramatischen Bogens, ein Eindruck, der sich aber im Laufe des Abends deutlich milderte.

Die „Tanzeinlagen“ wie der Walzer im zweiten Akt oder die Polonaise im dritten Akt wurden von Nelsons mit symphonischer „Breite“ genommen, das war fast schon ein Neujahrskonzert. Die Streicher spielten außergewöhnlich mit dunkel betörendem Klang in den Momenten emotionalen Aufwallens wie in der Briefszene. Faszinierend wie Nelsons immer wieder die Gefühlsintensität von der Bühne im Orchester auf- und mitnahm, auch im orchestralen Ausklingenlassen der Arien. Dadurch entstanden intensiv erlebte Momente, aufpeitschend oder verträumt.

Faszinierend auch die Klangschmischungen, die herausgearbeitet wurden, etwa in den Hörnern oder wenn die Streicher in der Gefühlsaufwallung sekundenlang sich aufschichteten wie zu einem Nachhall Bruckner’scher Symphonik. Im Vergleich zu Nelsons Hausdebüt mit „Pique Dame“ 2008 – damals allerdings als Einspringer – war das Klangbild für meinen Geschmack sinnlicher, das Dirigat weniger psychologisierend, mit viel Gespür für die unmittelbare Poesie der Bühnenhandlung.

Der Schlussapplaus dauerte rund 12 Minuten lang – und dass mit Bravorufen nicht gegeizt wurde, versteht sich von selbst. Der Abend wurde übrigens von einem Glückspielkonzern zu einer großen Werbeaktion genützt. Die Damen erhielten beim Verlassen des Hauses Tulpen. In der Pause wurde der Firmenname groß auf den Bühnenvorhang projiziert...