EUGEN ONEGIN

Aktuelle Spielpläne
Forum
Opernführer
Chronik
Home
Tschaikowsky-Portal

Staatsoper
7. März 2009
Premiere

Dirigent: Seiji Ozawa

Inszenierung: Falk Richter
Bühne: Katrin Hoffmann
Kostüme: Martin Kraemer
Licht: Carsten Sander
Choreographie: Joanna Dudley
Chorleitung: Thomas Lang

Larina - Aura Twarowska
Tatjana - Tamar Iveri
Olga - Nadia Krasteva
Eugen Onegin -
Simon Keenlyside
Lenski -
Ramón Vargas
Fürst Gremin - Ain Anger
Filipjewna - Margareta Hintermeier
Monsieur Triquet - Alexander Kaimbacher
Ein Hauptmann - Hans Peter Kammerer
Saretzki - Marcus Pelz
Ein Vorsänger - Wolfram Igor Derntl


Eiszeit

(Dominik Troger)

Gefrorene Gefühle präsentiert diese Neuproduktion von „Eugen Onegin“ an der Wiener Staatsoper: gepflegte Leidenschaftslosigkeit, die erst im Schlussbild auftaut.

Der Abend hatte überhaupt einen Hang zum kantenlosen Dahinplätschern der Hochkultur – szenisch und musikalisch. Historischen oder zeitkritisch-aktuellen Querbezügen ging man mit der Verlegung der Handlungszeit in ein modernes, globalisiertes „Nirgendwo“ aus dem Weg, emotionale Verwerfungen blieben unter einer schöngestylten und sterilen Oberfläche verborgen und wurden erst im letzten Bild spürbar, wo dann auch das Orchester unter Seiji Ozwawa dem wohlkalkulierten Abspulen gutgeprobter Tschaikowsky-Routine endlich zu entwachsen schien.

Gewiss, die Aufführung hat vielen Anforderungen entsprochen und niemandem „weh getan“ – vom Schneegeriesel im Bühnenhintergrund abgesehen, das auf Dauer eine stark einschläfernde Wirkung ausübte, wie ein hypnotischer Blick. Denn es gab wenig, woran sich das Auge sonst festhalten konnte: werden die Bühnenräume doch immer leerer und anspruchsloser. Ein paar große Eiswürfel gab es als Sitzgelegenheiten und eine lange Eistheke zum Ball, vor der dann praktischer Weise auch gleich das Duell stattfand. Tatjana wurde noch ein Bett spendiert – umrahmt von Eiswürfeln. Der letzte Akt brachte eine Treppe auf die Bühne, lang und mit flachen, schwarzspiegelnden Stufen. Die Bühnenaktionen des Chores wurden durch manch artistische Einlage aufgelockert – nett aber irgendwie sinnlos.

Die Personenregie bewegte sich im Rahmen genormten Mittelmaßes: sicher, Onegin umarmt den toten Freund, zeigt plötzlich Gefühl – aber warum hat er ihn überhaupt erschossen? Langeweile? Mit Mannesehre und gesellschaftlichen Zwängen lässt sich schwer argumentieren, wenn man die ganze Handlung so stark von der Vorlage abstrahiert und sich kein aktuell-passendes Ambiente sucht. Bei der Ernte laufen die Burschen mit blauen, blitzblanken Heimwerkerköfferchen herum. Sind die Larins zur Industriellenfamilie aufgestiegen? Aber an diesem Abend wird nichts festgeschrieben, alles bleibt glatt und fugenlos unverbindlich wie das blankgeputzte Metall eines Tiefkühlschrankes: Schnee und Eis regieren die Bühne vom Anfang bis zum Schluss, abgegriffene Metaphern für die Gefühllosigkeit und Engherzigkeit der Welt.

Hätte nicht gezeigt werden müssen, wie sich die Menschen unter diesem Kältepanzer zur Wehr setzen? Welcher Vulkan in Tatjana lodert und sie zu diesem Brief zwingt, mit welcher Verzweiflung sich Lenski von den „verschwundenen Zeiten“ verabschiedet? Warum Onegin die Pistole abschießt, obwohl Lenski hier die Waffe noch zur Seite legt? Sicher, Falk Richter war dieses Verhältnis von Lenksi und Onegin wichtig, aber schon der Anlass für dieses Duell wirkte szenisch zu wenig schlüssig. Wodka kann keine diffizile Herausarbeitung von Charaktere ersetzen. (Und natürlich wurde dort bei Larins viel gebechert – in der Umsetzung weder klassischer Hausball noch „Russen-Disco“ und genauso „gesichts-„ und „geschichtslos“ wie vieles andere in dieser Produktion.)

Richtige Spannung brachte erst das Schlussbild. Da brach der Eispanzer auf und Simon Keenlyside durfte das selbst- oder regieverordnete, deutlich zur Schau gestellte Desinteresse mit seinem schlank und intellektuell geführten Bariton endlich zur Seite räumen. (Ist Eugen Onegin wirklich ein so langweiliger Mensch? Richter sagt im Programmheft zur Aufführung über Onegin: „Etwas Dunkles, Zerstörerisches geht von ihm aus.“ Das hätte er auch inszenieren sollen.) Tamar Iveri erreichte erst im Finale ihr darstellerisches und musikalisches Potential – ihr Timbre passt viel besser für die spätere Tatjana, ist mir für die Briefszene zu reif und dunkel gefärbt, nimmt schon zu viel vom Scheitern dieser Jungmädchenschwärmerei vorweg. Weil auch Ain Anger mit seinem weichen Bass einen gutmütig-liebebekennenden Fürsten Gremin sang, entschädigte der dritte Akt insgesamt für die vielen Leerläufe der vorangegangenen zwei Stunden.

Ramón Vargas sang eine schönstimmigen Lensky, sehr „italienisch“, aber ebenfalls von der Krankheit der Leidenschaftslosigkeit geplagt. Er wirkte den ganzen Abend wie der nette Junge von nebenan. Margarete Hintermeier überzeugte als Filipjewna, etwas herb klang die Larina von Aura Twarowska. Nadja Krastewa sang eine reife Olga. Alexander Kaimbacher legte den Triquet etwas vorsichtig an. (Triquet wird als Mädchen umschwärmter Star gezeigt. Nicht sehr originell, aber immerhin hat man diesen Auftritt nicht gleich ganz gestrichen.)

Fazit: Starker Applaus für die Sänger und den Dirigenten, geteilte Meinungen zum Inszenierungsteam, das überraschend viele Buhrufe einstecken musste.