MAZEPPA

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Theater an der Wien
21. Februar 2019

Konzertante Aufführung

Musikalische Leitung: Evgeny Brazhnik

Chor und Orchester der Helikon Oper Moskau
Gastspiel der Helikon Oper Moskau

Mazeppa - Aleksei Isayev
Maria - Olga Tolkmit
Andrei - Igor Morozov
Wassili Kotschubei - Mikhail Guzhov
Ljubow Kotschubei - Larisa Kostiuk
Orlik - Georgii Ekimov
Iskra - Ivan Volkov



Tschaikowsky-Rarität im Theater an der Wien

(Dominik Troger)

Ein Gastspiel der Helikon Oper Moskau im Theater an der Wien bringt Bühnenraritäten von Peter Iljitsch Tschaikowski ins Haus an der Linken Wienzeile: der erste Abend galt „Mazeppa“, der zweite wird dem Einakter „Jolanthe“ und dem „Undine“-Fragment gewidmet sein.

„Mazeppa“ wurde 1884 uraufgeführt. Die Handlung spielt im 18. Jahrhundert in der Ukraine und beruht auf einer Vorlage von Alexander Puschkin. Den Hintergrund für „Mazeppa“ bildet die Schlacht bei Poltawa im Jahre 1709, in der die Schweden unter Karl XII. und verbündete Kosaken gegen Russland unter Zar Peter dem Großen fochten (und die Tschaikowsky vor dem dritten Akt in martialische Töne gefasst hat).

Im Zentrum der Handlung steht aber Maria, die den um viele Jahre älteren Kosakenführer Mazeppa liebt und diesen auch gegen den Willen ihres Vaters heiratet. Dieser spinnt aus Zorn zusammen mit Andrej, dem von Maria abgewiesenen Verehrer, eine Intrige gegen Mazeppa, unterliegt und wird hingerichtet. Andrej überlebt bis zum dritten Akt, in dem er nach der erwähnten Schlacht in einem Duell mit Mazeppa tödlich verwundet wird und im Beisein Marias verstirbt. Maria wird wahnsinnig.

Die Handlung sollte man nicht unbedingt auf ihre Plausibilität hinterfragen. Aber wenn – wie in dieser konzertanten Aufführung – Striche vorgenommen werden, dann steht es um selbige noch schlechter. Den Zweikampf zwischen Mazeppa und Andrej hat man dem Publikum unterschlagen, sogar die Inhaltsangabe im Programmheft abgeändert. Auch Striche im ersten Akt haben den Handlungsaufbau etwas verknappt. Deshalb dauerte der Abend inklusive einer Pause nur zweieinhalb Stunden.

Auffallend für die Tschaikowsky’sche Werkexegese ist, dass wieder eine Frau mit ihren zwiespältigen Liebesgefühlen im Mittelpunkt steht – nur dass im Gegensatz zu „Eugen Onegin“ und „Pique Dame“ das „bürgerliche“ Umfeld fehlt. Außerdem verstellen das historische Tableaux und ein Schuss patriotisches Pathos den Blick auf die pychologischen Nöte Marias. Vielleicht hat das auch die Rezeption außerhalb Russlands behindert. Ihr „Wiegenlied“ (ein bisschen darf dabei schon an den „Tristan“ gedacht werden) zählt aber zu den berührendsten Bühnenabschieden der Opernliteratur. Der Titel „Mazeppa“ ist insofern fast ein wenig irreführend.

Der konzertanten Aufführung lag eine szenische Produktion der Helikon Oper Moskau zugrunde, es wurde auswendig gesungen, die Auf- und Abtritte wurden nachvollzogen. Die Sängerin der Maria versuchte die psychische Angespanntheit der Figur und zuletzt ihren Wahnsinn darstellerisch anzudeuten. Das hat für mich in diesem konzertanten Ambiente nicht immer gepasst. Eigentlich wäre es spannend gewesen, die szenische Produktion selbst für ein paar Aufführungen nach Wien zu holen. (Man findet dazu Material auf der Helikon Homepage und auf Youtube. Die Inszenierung zieht offenbar Parallelen zu Tschaikowskys Biographie – Maria = Tschaikowskys Nichte?) Früher einmal wären die Wiener Festwochen für ein solches Unterfangen prädestiniert gewesen, aber für eine seriöse Auseinandersetzung mit „klassischem Musiktheater“ ist seit einigen Jahren dort leider kein Platz mehr, „Performances" sind wichtiger.

Die Wiedergabe stand ganz im Zeichen jenes sachlichen, etwas pathetischen Musizierens, das man bei russischen Orchestern und Gesangssolisten öfters antrifft. Das Orchester der Helikon Oper spielte mit Verve – und eine Schlachtenmusik bringt es naturgemäß auf eine gewisse Lautstärke (hier mit etwas grellem, engen Blechklang garniert). Das Klangbild war differenziert, aber insgesamt etwas „unsinnlich“, Tschaikowskys Sentiment ertönte (mir) zu nüchtern und „spröde“. Evgeny Brazhnik waltete am Pult vor allem als „Exekutor“, weniger als inspirierter Gestalter. Der Abend war im Spannungsaufbau aber perfekt getimt, zudem mit ein paar schönen instrumentellen Einzelleistungen (z.B. Violinsolo) versehen. Es fällt aber nicht leicht, hier zu urteilen, weil möglicherweise wenig Zeit war, sich auf die hellhörige Akustik des Theaters an der Wien einzustellen.

Auch dem Sängerensemble ging ein wenig das Raffinement ab. Stimmlich wahrscheinlich am überzeugendsten: Mikhail Guzhov als Wassili Kotschubei, mit einer etwas trocken timbrierten, hausfüllenden Bassstimme. Sie gab dem Großgrundbesitzer Charakter, der sich in der Kerkerszene mit Orlik ein packendes „Zwiegespräch“ lieferte. Georgii Ekimov lieh diesem Orlik einen in rauen Stahl gepackten, zu Zynismus fähigen Bassbariton: eine vielversprechende Stimme, an deren Kultiviertheit gewiss noch ein bisschen „geraspelt“ und „gefeilt“ werden wird.

Den Mazeppa gestaltete Aleksei Isayev mit einem „typisch slawischen“, etwas trockenen Bariton und einem leichten Hang zum Forcieren. Das machte aber guten Effekt, war für diesen „Kerl“, nach dem die Oper immerhin benannt ist, letztlich aber doch etwas zu eindimensional (zumal Mazeppa – siehe das Arioso im Beginn des zweiten Aktes – auch seine besinnlicheren Momente hat). Der große Altersunterschied zwischen Mazeppa und Maria ist in der Gestaltung nicht wirklich spürbar geworden.

Maria wurde von Olga Tolkmit beigesteuert: Die Partie erfordert im Finale lyrische Qualitäten, über die drei Akte berechnet aber ebenso eine gehörige Portion Dramatik. Tolkmit tat hier vielleicht zu viel des Guten, schonte nicht ihr Sopranmetall, und wirkte auf mich im Finale dann schon etwas ermüdet, wo man sich noch einmal ein „süffiges“ lyrisches „In-den-Schlaf-Wiegen“ gewünscht hätte – singt sie doch im Wahnsinn dem sterbenden Andrei ein Wiegenlied. Larisa Kostiuk sang Marias Mutter mit sattem, im dramatischen Ausdruck etwas ungeschliffenem„altgründigem“ Mezzo.

Der Tenor von Igor Morozov (Andreij) ließ in den lyrischen Passagen ein schönes naiv-traurig getöntes „Lensky“-Timbre hören, in der Dramatik gab er sich heroisch und höhensicher. Aber auch hier zeigte sich die Tendenz, alles auf eine Karte zu setzen und den Tenorstahl zu forcieren. Mit Ivan Volkov in der kleinen Partie des Iskra war ein weiterer Tenor aufgeboten, der einen guten Eindruck hinterließ. Der Chor sang kraftvoll und brachte die Volksszenen gut heraus.

Das Publikum im – geschätzt – zu zwei Drittel gefüllten Haus spendete rund fünf Minuten langen, dankbaren Schlussapplaus.