„Entzaubertes Märchen“
(Dominik Troger)
Nach
125 Jahren wieder im Haus am Ring: einst von Gustav Mahler nach Wien
geholt hat Peter Iljitsch Tschaikowskys Märchenoper „Iolanta“ jetzt in
dieses Haus zurückgefunden. Die Zeit für „Märchen“ ist allerdings
vorbei. Tschaikowskys sentimentales „Bühnenwunder“ wird in dieser
Neuproduktion dechiffriert: Das göttliche Licht der Wahrheit enthüllt
nun die Grauen menschlicher Existenz.
Vom
Theater an der Wien über das Konzerthaus und die Volksoper jetzt an die
Staatsoper: Anfang der 2000er-Jahre hat für das Wiener Publikum die
„Wiederentdeckung“ der letzten Oper Tschaikowskys begonnen, ein Werk,
dass in gut eineinhalb Stunden ganz naiv von einem Wunder erzählt. Die
blinde Königstocher Iolanta wird durch ihre Liebe zum Grafen Vaudémont
und durch die verständnisvolle „Operation“ eines gläubigen
maurischen Arztes von ihrem Leiden geheilt. Dem Finale mit einer fast
schon „hymnisch“ zu nennenden Lobpreisung Gottes steht dann nichts mehr
im Wege.
Man kann nun das Märchen ein Märchen sein lassen, man kann in Iolantas
Schicksal eine schwere traumatische Störung vermuten oder einen
symbolisch verschlüsselten Weg mystischer Gotteserfahrung: das Wunder
des „Sehendwerdens“ ist in unserer heutigen Zeit natürlich
kitschverdächtig und der therapeutische Sieg Iolantas über ihr
Gebrechen, der zugleich eine naive Frömmigkeit offenbart, wird vom
Zeitgeist animierte Regisseure schnell dazu verlocken, den positiven
Schluss ins Gegenteil zu verkehren.
Genau das passiert in dieser Inszenierung: Im Finale wird während einer
überlangen, den musikalischen Fluss brechenden Generalpause Iolanta mit
einer ganz anderen „göttlichen Wahrheit“ konfrontiert. Sie muss eine im
Bühnenhintergrund sichtbar gewordene, grauschwarze Landschaft
„bewundern“, eine kriegs- oder umweltzerstörte „Weltruine“, die
Iolantas neu gewonnenem Sehsinn gleich einmal alle Illusionen nimmt.
Und was man szenisch mit Glanz zu einem großartigen Hoffnungsmoment
hätte ausgestalten können, hüllt sich in die Düsternis einer dem
göttlichem Licht verlustig gegangenen Schöpfung.
Regisseur Evgeny Titov hat
seine Deutung von Tschaikowskys „Iolanta“-Märchen allerdings gut
verpackt: der grasbewachsene Hügel mit dem Bett, auf dem Iolanta zu
ruhen hat wie Dornröschen, erscheint als grüner Fleck in einem düsteren
Rest von Monumentalarchitektur, in der König René, begleitet von zwei
muskelbepackten Leibwächtern, Hof hält. Auf dem bühnenmittig
platzierten Hügel wachsen sogar Büsche weißer und roter Rosen (was für
die Handlung wichtig ist), aber die Dornen die sie tragen, sind doch
mehr ironischer Natur – und ihr „alter Duft der Märchenzeit“ ist längst
entfleucht.
Vaudémont und Robert, die beiden Ritter, erweisen sich als
schwarzgekleidete Vagabunden und sind alles andere als von
burgundischem Adel. Ja, manchmal kann diese Ironie geradezu boshaft
werden, etwa wenn die lieblich-naive Iolanta nacktbodygeschützt in
einem kleinen Wassertümpel plantscht wie eine Rusalka oder eine
kitschige Venus im Hörselberg. Roberts bodygebuildete Mathilde thront
im Finale auf einem erlegten, auf die Bühne gezogenen Riesenstier
(obwohl beide auf der Szene eigentlich nichts verloren haben): ein
Auswuchs von schräg-absurdem Monty-Python-Humor – aber ist dieser
Vergleich nicht sogar ein Lob?
Natürlich lässt sich behaupten, dieser grüne Hügel symbolisiere
Iolantas „blinde“ Traumwelt, in der sie auch ihr Vater belassen möchte,
und dessen schützender Aura sie dann sehend „verlustig“ geht. Titov
setzt seine szenischen Marker schon mit Verstand und „Schmäh“ – wenn
auch nicht immer mit Geschmack. Aber in Summe erfüllte er seine
„Voltairsche Aufklärung“ in einem so erträglichem Maße, dass das
Publikum ihm fast schon dankbar sein musste. Es gab keine Buhrufe, als
das Regieteam zum Schlussapplaus angetreten ist. Es hat sich für den
Regisseur ausgezahlt, dem Publikum auch weiße und rote Rosen in die
Augen zu „streuen“.
Musikalisch gibt es für die Folgevorstellungen noch Potenzial. Das von Tugan Sokhiev bis
in Details „durchtrainerte“ Orchester ließ zu viele Muskeln spielen,
nicht nur beim unsensibel und laut servierten Finale. Das Werk mit
Spannung zu füllen ist nicht einfach, vor allem die erste halbe Stunde
hat ihre Längen, und Sokhiev schien diesen Eindruck eher zu befördern.
Aber selbst das Duett zwischen Iolanta und Vaudémont als zentralem
Angelpunkt entwickelte sich zu keinem mit süffigem Tschaikowsky-Schmelz
ausstaffierten Spannungsbogen. Womöglich spielt sich das noch ein,
findet das Orchester dann in der dritten oder vierten Vorstellung jene
drängende Emotionalität, die jetzt von einer eher „nüchternen Brillanz“
überdeckt worden ist.
Sonja Yoncheva gab als
Iolanta eine seriöse, mit feiner dunkler Sopranfarbe abgemischte
Darbietung, weniger die von märchenhafter „Verzauberung“ umfangene
naiv-kindliche Prinzessin. Etwas angestrengt klingend besang Dmytro Popov
als Vaudémont seine junge Liebe, es wäre reizvoll, könnte sein heller,
leicht metallischer Tenor in den Folgevorstellungen noch etwas
„auffirnen“. Um das zentrale Liebespaar gruppierte sich ein gut
abgestimmtes Ensemble, angeführt von Boris Pinkhasovich als Robert, Ivo Stanchev als René, dem präsenten Arzt von Attila Mokus, dem straffen lyrischen Tenor von Daniel Jenz und Monika Bohinec
als rescher Marta. Misstöne seitens des Publikums gab es keine, die
Staatsoper kann die Premiere als unbestrittenen Erfolg verbuchen.