IOLANTA

Aktuelle Spielpläne
Forum
Opernführer
Chronik
Home
Tschaikowsky-Portal

Premiere
Staatsoper
24. März 2025


Musikalische Leitung: Tugan Sokhiev

Regie: Evgeny Titov
Bühnen: Rufus Didwiszus
Kostüme: Annemarie Woods
Licht: Martin Gebhardt
Choreographie: Otto Pichler  
Choreinstudierung: Thomas Lang

Iolanta - Sonya Yoncheva
René - Ivo Stanchev
Graf Vaudémont - Dmytro Popov
Robert - Boris Pinkhasovich
Ibn-Hakia - Attila Mokus
Almerik - Daniel Jenz
Bertrand - Simonas Strazdas
Marta - Monika Bohinec
Brigitta - Maria Nazarova
Laura - Daria Sushkova


Entzaubertes Märchen

(Dominik Troger)

Nach 125 Jahren wieder im Haus am Ring: einst von Gustav Mahler nach Wien geholt hat Peter Iljitsch Tschaikowskys Märchenoper „Iolanta“ jetzt in dieses Haus zurückgefunden. Die Zeit für „Märchen“ ist allerdings vorbei. Tschaikowskys sentimentales „Bühnenwunder“ wird in dieser Neuproduktion dechiffriert: Das göttliche Licht der Wahrheit enthüllt nun die Grauen menschlicher Existenz.

Vom Theater an der Wien über das Konzerthaus und die Volksoper jetzt an die Staatsoper: Anfang der 2000er-Jahre hat für das Wiener Publikum die „Wiederentdeckung“ der letzten Oper Tschaikowskys begonnen, ein Werk, dass in gut eineinhalb Stunden ganz naiv von einem Wunder erzählt. Die blinde Königstocher Iolanta wird durch ihre Liebe zum Grafen Vaudémont und durch die verständnisvolle  „Operation“ eines gläubigen maurischen Arztes von ihrem Leiden geheilt. Dem Finale mit einer fast schon „hymnisch“ zu nennenden Lobpreisung Gottes steht dann nichts mehr im Wege.

Man kann nun das Märchen ein Märchen sein lassen, man kann in Iolantas Schicksal eine schwere traumatische Störung vermuten oder einen symbolisch verschlüsselten Weg mystischer Gotteserfahrung: das Wunder des „Sehendwerdens“ ist in unserer heutigen Zeit natürlich kitschverdächtig und der therapeutische Sieg Iolantas über ihr Gebrechen, der zugleich eine naive Frömmigkeit offenbart, wird vom Zeitgeist animierte Regisseure schnell dazu verlocken, den positiven Schluss ins Gegenteil zu verkehren.

Genau das passiert in dieser Inszenierung: Im Finale wird während einer überlangen, den musikalischen Fluss brechenden Generalpause Iolanta mit einer ganz anderen „göttlichen Wahrheit“ konfrontiert. Sie muss eine im Bühnenhintergrund sichtbar gewordene, grauschwarze Landschaft „bewundern“, eine kriegs- oder umweltzerstörte „Weltruine“, die Iolantas neu gewonnenem Sehsinn gleich einmal alle Illusionen nimmt. Und was man szenisch mit Glanz zu einem großartigen Hoffnungsmoment hätte ausgestalten können, hüllt sich in die Düsternis einer dem göttlichem Licht verlustig gegangenen Schöpfung.

Regisseur Evgeny Titov hat seine Deutung von Tschaikowskys „Iolanta“-Märchen allerdings gut verpackt: der grasbewachsene Hügel mit dem Bett, auf dem Iolanta zu ruhen hat wie Dornröschen, erscheint als grüner Fleck in einem düsteren Rest von Monumentalarchitektur, in der König René, begleitet von zwei muskelbepackten Leibwächtern, Hof hält. Auf dem bühnenmittig platzierten Hügel wachsen sogar Büsche weißer und roter Rosen (was für die Handlung wichtig ist), aber die Dornen die sie tragen, sind doch mehr ironischer Natur – und ihr „alter Duft der Märchenzeit“ ist längst entfleucht.

Vaudémont und Robert, die beiden Ritter, erweisen sich als schwarzgekleidete Vagabunden und sind alles andere als von burgundischem Adel. Ja, manchmal kann diese Ironie geradezu boshaft werden, etwa wenn die lieblich-naive Iolanta nacktbodygeschützt in einem kleinen Wassertümpel plantscht wie eine Rusalka oder eine kitschige Venus im Hörselberg. Roberts bodygebuildete Mathilde thront im Finale auf einem erlegten, auf die Bühne gezogenen Riesenstier (obwohl beide auf der Szene eigentlich nichts verloren haben): ein Auswuchs von schräg-absurdem Monty-Python-Humor – aber ist dieser Vergleich nicht sogar ein Lob?

Natürlich lässt sich behaupten, dieser grüne Hügel symbolisiere Iolantas „blinde“ Traumwelt, in der sie auch ihr Vater belassen möchte, und dessen schützender Aura sie dann sehend „verlustig“ geht. Titov setzt seine szenischen Marker schon mit Verstand und „Schmäh“ – wenn auch nicht immer mit Geschmack. Aber in Summe erfüllte er seine „Voltairsche Aufklärung“ in einem so erträglichem Maße, dass das Publikum ihm fast schon dankbar sein musste. Es gab keine Buhrufe, als das Regieteam zum Schlussapplaus angetreten ist. Es hat sich für den Regisseur ausgezahlt, dem Publikum auch weiße und rote Rosen in die Augen zu „streuen“.

Musikalisch gibt es für die Folgevorstellungen noch Potenzial. Das von Tugan Sokhiev bis in Details „durchtrainerte“ Orchester ließ zu viele Muskeln spielen, nicht nur beim unsensibel und laut servierten Finale. Das Werk mit Spannung zu füllen ist nicht einfach, vor allem die erste halbe Stunde hat ihre Längen, und Sokhiev schien diesen Eindruck eher zu befördern. Aber selbst das Duett zwischen Iolanta und Vaudémont als zentralem Angelpunkt entwickelte sich zu keinem mit süffigem Tschaikowsky-Schmelz ausstaffierten Spannungsbogen. Womöglich spielt sich das noch ein, findet das Orchester dann in der dritten oder vierten Vorstellung jene drängende Emotionalität, die jetzt von einer eher „nüchternen Brillanz“ überdeckt worden ist.

Sonja Yoncheva gab als Iolanta eine seriöse, mit feiner dunkler Sopranfarbe abgemischte Darbietung, weniger die von märchenhafter „Verzauberung“ umfangene naiv-kindliche Prinzessin. Etwas angestrengt klingend besang Dmytro Popov als Vaudémont seine junge Liebe, es wäre reizvoll, könnte sein heller, leicht metallischer Tenor in den Folgevorstellungen noch etwas „auffirnen“. Um das zentrale Liebespaar gruppierte sich ein gut abgestimmtes Ensemble, angeführt von Boris Pinkhasovich als Robert, Ivo Stanchev als René, dem präsenten Arzt von Attila Mokus, dem straffen lyrischen Tenor von Daniel Jenz und
Monika Bohinec als rescher Marta. Misstöne seitens des Publikums gab es keine, die Staatsoper kann die Premiere als unbestrittenen Erfolg verbuchen.