JOLANTHE
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Theater an der Wien
Premiere
3.8.2001
Klangbogen Wien 2001

Dirigent: Vladimir Fedosejev

Tschaikowsky Symphonieorchester Moskau
(Choreinstudierung Johannes Prinz)
Inszenierung & Bühnenbild: Peer Boysen
Kostüme: Annette Beaufays
Lichtdesign: Davy Cunningham

Jolanthe - Olga Mykytenko
König René - Pavel Daniluk
Ebn-Chakia (der Arzt) - Thomas Gazheli
Graf Tristan Vaudémont - Piotr Beczala
Robert - Wojtek Drabowicz
Martha - Nina Romanova
Brigitta - Lolita Semenina
Laura - Katarzyna Bak
Bertran - Goran Simic
Almerik - Roman Murawitzkij


"Liebe macht sehend!"

(Dominik Troger)

Zwar ist man meist genau der umgekehrten Meinung, allein in diesem Fall - zugegebenermaßen ein Märchen - ist es anders. Die wohlbehütete Königstocher Jolanthe, der ihr Gebrechen verschwiegen wird, erlangt durch die Liebe (und die mehr oder weniger professionelle Hilfe eins maurischen Arztes) wieder das Augenlicht.

Die Vorlage für diese außerhalb Russlands kaum gespielte Oper bildete ein Theaterstück des Kopenhagener Dichters Henrik Hertz. Tschaikowsky, der das Stück von Hertz zufällig in einer Zeitung gelesen hatte, war von der "Poesie und Originalität" des Stoffes und der Fülle an "lyrischen Momenten" beeindruckt. Sein Bruder Modest hat dann das Theaterstück in bewährter Manier in ein Libretto umgearbeitet.

Das rezeptionsgeschichtliche Problem bei Jolanthe scheint nun zu sein, dass man dieses Werk - als Tschaikowskys letzte Oper im Umfeld eines Nußknackers und der VI. Symphonie entstanden - zu sehr aus dem Gesamtschaffen des Meisters her beurteilt und demgemäß für zu leicht befindet. Gegenüber dieser schwermütigen, neurotischen Pique Dame (die nur zwei Jahre davor, 1890, uraufgeführt worden war) muß Jolanthe ja wie eine lyrisch-verbrämtes rotgoldenumstrahltes windverblasenes Abendwölkchen erscheinen. Doch wenn man auf der Zeitachse in die andere Richtung marschiert, stösst man gerade 10 Jahre später auf Claude Debussy und "Pelleas und Melisande".

Das kann natürlich nur als Hinweis dienen, weil man die Partitur von Jolanthe nicht wirklich als "impressionistisch" einstufen kann. Das Herzstück der Oper, das Liebesduett zwischen Jolanthe und Vaudémont, ihrem geliebten Grafen, gibt sich in bester und klassischer "Tschaikowsky-Manier" - ein Ohrwurm, den man auch am nächsten und übernächsten Tag im Kopf hat, voller aufblühender und aufschmelzender Liebessehnsucht. Aber das "Drumherum" entpuppt sich stellenweise als extravagant instrumentiert. Als treffendes Beispiel wird hier gerne die nur mit Holzbläsern und Hörnern besetzte kurze Ouvertüre genannt.

Es ist aber auch naheliegend, dass Tschaikowsky diese inneren Zustände an dem Stoff ganz besonders interessiert haben. Wie empfindet ein blinder Mensch, und vor allem, was empfindet er, und wie reagiert er, wenn er plötzlich sehend wird!? Das Orchester muß dermaßen diese Welt der Klänge wie sie in Jolanthes Seele dringt nachzeichnen - und wenn die Ouvertüre auf die Unterfütterung der Streicher verzichtet, dann kann man diesen "Mangel" sehr wohl auf die Hauptperson der Oper übertragen, und die ist schließlich blind. Der kühlere Bläserklang entbehrt der Wärme und Poesie des nie geschauten Sonnenlichtes, der nur gefühlten Blumen, der noch nicht erfahrenen Liebe.

Der in verschiedenen Blautönen gehaltene Bühnenvorhang zu Beginn ließ nun erwarten, dass die Jugendstil-Anklänge dieses Musters auch die Inszenierung wesentlich bestimmen würden - und es hätte in der Tat, wie man dann feststellen sollte, auch sehr gut zur Musik gepasst. Leider blieb diese Ornamentik auf die Verkleidung eines in den Bühnenplafond ragenden Turms mit inwendiger Wendeltreppe beschränkt. Der Turm war auf ein Podest gestellt, dass von einer Art Teich rund umgeben, die isolierte Welt Jolanthes verkörperte, als Zentrum des Gartens, in dem sie zurückgezogen leben muss - und den kein Fremder bei Todesstrafe betreten darf. Um diese poetische Insel war im Quadrat ein Laufsteg gebaut. Außerdem wurde direkt an der Rampe gespielt, wo so eine Art Sofa für den König, Jolanthes Vater stand. Bis auf Jolanthe waren alle Beteiligten schwarz gewandet, was vielleicht ausdrücken sollte, dass Jolanthe sie nicht sehen kann. Die Personenführung ließ einen über Jolanthes Blindheit nicht im Unklaren, beschränkte sich aber auf das Notwendigste. Etwas banal geriet die Schlusszene, wenn Jolanthe, sehend geworden, vom Sonnenlicht geblendet zwischen den Menschen umhertorkelt. Aber wie könnte man so etwas wirklich glaubhaft auf die Bühne stellen? Insgesamt jedoch erwiesen sich Bühnenbild und Inszenierung als brauchbar und in sich geschlossen. Dieser Meinung war auch - bis auf einige, unermüdliche Buhrufer - das Publikum. Eine sehr rudimentäre deutsche Übersetzung wurde als Übertitel gezeigt, das Libretto auch in Gebärdensprache übersetzt und von einem im rechten Bühnenaußen positionierten Darsteller dargeboten.

Die musikalische Umsetzung ließ wenig zu wünschen übrig. Herrlich, wie ein russisches Orchester unter einem russischem Dirigenten (Vladimir Fedosejev) Tschaikowsky spielt. Es ist ja immer gefährlich mit Ausdrücken wie "Authentizität" herumzuwerfen, aber genau so stellt man sich halt vor, dass Tschaikowsky klingen muss: sehnsuchtsvoll aus dem Orchester aufsteigende Motive, die aber nicht statisch aufschwelgen, sondern einer Erfüllung zustreben, umschmeichelt mit einer leisen, verhaltenen, süchtigmachenden Schwermut (in diesem Fall etwas weniger, weil die Oper ja gut ausgeht). Dabei fällt noch auf, dass Jolanthe weniger stark rhythmisch akzentuiert ist, das es mehr um Klangfarben und Klangfülle geht, um ein symphonisches Fließen, was dem Nachfühlen dieser schon angesprochenen inneren Emotionalität auch besser entspricht. Natürlich vermag auch das Tschaikowsky Symphonieorchster die Ohren Wiener Klangfetischisten nur bedingt zu befriedigen, aber das Niveau war sehr hoch und lag deutlich über dem des RSO Wien, das ja in der diesjährigen Luisa Miller-Produktion des Klangbogen zu Ehren gekommen war.

Das durchwegs junge Sängerteam überzeugte ebenfalls und trug wesentlich zum Erfolg des Abends bei (wobei natürlich die kleineren Dimensionen des Theaters an der Wien immer in Betracht gezogen werden müssen): Die Jolanthe von Olga Mykytenko konnte vor allem in den dramatischeren Passagen reüssieren, ließ aber jene poetische Verletzlichkeit, die man bei einer blinden Prinzessin doch annehmen könnte (und die Tschaikowsky auch komponiert hat) vermissen. Aber wahrscheinlich ist das gar nicht unter einen Hut zu bringen: Denn das Liebesduett und das Schlusstableau der Oper fordern Dramatik und Impulsivität - und sprengen schon deutlich die Möglichkeiten eines zartbesaiteten, lyrischen Soprans. (Die Uraufführung wurde übrigens vom selben Sängerpaar wie die Uraufführung von "Pique Dame" gesungen, was doch gewisse Rückschlüsse auf Tschaikowskys Intentionen zulassen könnte.)

Für Tenor Piotr Beczala als "blind-geliebtem" Vaudémont war diese Partie genau jener Grenzfall, der einen zu Höchstleistungen anspornt, ohne noch die stimmliche Integrität selbst in Gefahr zu bringen. Er verzückte mit intensiver Leidenschaft, erinnerte in Klangfarbe und Gesangsstil ein wenig an den in Wien unvergessenen Wladimir Atlantow, wenn auch seine Stimme eindeutig noch im lyrischen Fach positioniert ist (und wo sie hoffentlich auch noch eine Zeitlang verweilen wird, damit wir hier in einigen Jahren einem perfekten "Hermann" oder "Dimitri" begegnen können). Ein großes Versprechen ist auch der Bass von Pavel Daniluk, der als König eine wunderschöne, traurige Arie singen darf - und der sie auch wirklich so sang. Voll Feuer war auch die Arie des Robert, Wojtek Drabowicz, der in selbiger seine Geliebte "Mathilde" (die in der Oper nicht auftritt) mit blühendsten Farben und Leidenschaften schildert. Auch den maurischem Arzt, Thomas Gazheli, hat Tschaikowsky mit einer Arie bedacht, in der ein wenig über das "Sehen" und "Blindheit" und "Heilung" philosophiert wird. Diese Arie war schön vorgetragen, faszinierte aber vor allem wegen der Orchesterbegleitung, eines sich perpetuierenden Motivgeflechts, auf dem die arabisch inspirierte Heilungsphilosophie des Arztes gleichsam wie ein Abglanz des Lichtes ewiger Wahrheit dahinschwebte.

Der gelungene Abend wurde reichlich beklatscht und "bebravooot", den meisten Applaus heimste Piotr Beczala ein. Die deutlichen Buhs für die Regie müssen als übertrieben bezeichnet werden und wurden mit ebenso deutlichen Beifallsbezeugungen gekontert. Aber erstens kann man es nie allen recht machen, zweitens hat man sich ganz allgemein bei den vielen misslungenen Opern-Inszenierungen in den letzten Jahren so nach einem soliden Mittelmaß gesehnt, dem man dann aber halt auch wieder nicht nett zunicken kann, wenn man es wirklich einmal vor der Nase hat, und drittens befinden wir uns hier in Wien.