DIE FRAU OHNE SCHATTEN
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In Hofmannsthals "Frau ohne Schatten" sind viele Märchenelemente enhalten. Es beginnt mit Unheil und endet mit Glück und Zufriedenheit. Der Weg dorthin ist durch Prüfungen gekennzeichnet, die die Protagonisten zu bestehen haben. Dabei kommen typische Märchenmotive wie zB. die "In-Stein-Verwandlung" vor. Märchen sind überwiegend als Symboldichtungen zu verstehen und müssen erst vom Leser entschlüsselt werden. Sie lassen sich nie völlig "erklären". In diesem Sinne sind auch die Personen in der "Frau ohne Schatten" viel mehr, als sie zuerst vorzugeben scheinen. (btr)

Märchen und Mysterium - Kurze Charakterisierung und Entsprechungen

(Quellen: Karl Dvorak: Die Frau ohne Schatten aus der Sicht christlicher Mystik. Vortrag Wien 4.6.1985
Lynn Snook: Vom Leid zum Glück. In: Programmheft der Wr. Staatsoper. Frau ohne Schatten. Saison 1976/77
Textbuch zur Frau ohne Schatten, Boosey & Hawkes. London. 1946.

Der Kaiser: Der Kaiser einer "südöstlichen Insel" als "Jäger und Verliebter", vermählt sich mit einer Feentochter, die er jedoch, da sie ohne Schatten ("nicht-menschlich") war, im Wald versteckte. Das bedeutet, dass sie in seinem Bewusstsein noch nicht richtig existiert. Sie ist vielmehr "die Beute aller Beuten". In der Gestalt einer Gazelle, zierlich und anmutig, kommt die Liebe auf ihn zu und erweckt in ihm Gegenliebe, aber seine Liebe war nur auf Selbstsucht aus. Daher konnte er die Kaiserin nicht zur Mutter machen: sie blieb schattenlos. Der Kaiser entspricht dem menschlichen Verstand im Unterbewusstsein. Die Kaiserin: Sie ist die Tochter des Geisterkönigs Keikobad. Sie konnte sich in verschiedene Tiere verwandeln. (Tiere: Vorstufen zur Menschwerdung.) Außerdem erlangt sie die Fähigkeit Menschen zu lieben, was Feen sonst nicht können. Eben das Menschliche ist es, was sie im Laufe der Oper erlangt. Sie entspricht der menschlichen Liebe und dem menschlichen Wollen im Unterbewußtsein des Menschen. Doch ist sie noch nicht durch diese Taten der Liebe belebt, daher ohne Schatten. Die Kaiserin ist die Hauptperson der Oper.

Der Schatten: Er ist der natürliche Beweis körperlicher Existenz und zugleich Symbol der Fruchtbarkeit, aus dem sich die Seele erneuert und "fruchtbar" wird. Schatten können nur dort geworfen werden, wo man einen fruchtbaren Mutterboden hat, etwa im irdischen Bereich. Die Kaiserin ist noch nicht fruchtbar, weil sie den Schatten noch nicht angenommen hat. Sie hat die Inkarnation noch nicht vollzogen und ist deshalb ein Mittelding zwischen Mensch- und Geistwesen. Daher stellt Keikobad auch die Bedingung: entweder es gelänge dem Kaiser binnen zwölf Monden die Kaiserin zur Mutter zu machen oder sie müsse in das Reich ihres Vaters zurückkehren, der Kaiser aber werde zu Stein, denn: "Er hat sich vermessen, daß er dich mache zu seinesgleichen - eine Frist ward gesetzt, daß er es vollbringe. Deines Herzens Knoten hat er dir nicht gelöst, ein Ungeborenes trägst du nicht im Schoß, Schatten wirfst du keinen. Des zahlt er den Preis." Textbuch zur Frau ohne Schatten, Boosey&Hawkes. London 1946. Seite 20.

Die Versteinerung ist hier Ausdruck seelischer Härte.

Der rote Falke: Er verkörpert die Tierwelt. Er flog der weißen Gazelle zwischen die Augen, als sie flüchten wollte. Aus Eifersucht wurde er vom Kaiser mit dessen Dolch verwundet. Der Falke entspricht den Liebesspekulationen des Kaisers. Falken symbolisieren Gedankengänge; die Farbe Rot, die Liebe betreffendes.

Die Amme: Sie ist die Beschützerin der Feentochter Keikobads. Sie stammt aus dem Geisterreich und hasst die Menschen und ihre Geschöpfe. Sie entspricht der Verführerin und trägt dämonische Züge. Sie kommt zB.nicht durch die Tür, sondern durch den Rauchfang ins Färberhaus. Von der Amme (dem "Satanischen") trennt sich der Kaiser später.

Der Geisterbote: Er ist ein reines Geisterwesen und symbolisiert die Zeitlichkeit (es gibt zwölf) und entspricht der Gerechtigkeit und Liebe.

Keikobad: Der Geisterkönig ist als Übermacht im Spiel. Unsichtbar bestimmt er das Geschick aller Figuren. Dies wird auch durch die Musik ausgedrückt. Sein Motiv (ähnlich wie das Agamemmnonmotiv aus "Elektra" oder des Schicksalmotivs aus der V. Symphonie Ludwig van Beethovens) ist ein Elementarthema und zieht sich durch die ganze Oper. Das Werk endet schließlich auch mit einer Metamorphose dieses Motivs. Keikobad bezeichnet den Geist, der Gerechtigkeit in uns garantiert. Deshalb war er so hart im Richteramt. Im Märchen verkörpert er die Vorstellung von der Weisheit der ewigen Natur.

Das Färberpaar bildet das Gegenstück zum kaiserlichen Paar: Es symbolisiert das Ober- oder Wachbewusstsein des Menschen. Barak: Er ist ein armer, aber fleißiger Mann, Ehegatte einer unzufriedenen Frau und er lebt mit ihr und seinen drei Brüdern (welche die menschliche Unzulänglichkeit symbolisieren) in Hausgemeinschaft. (Der Bucklige: menschliche Häßlichkeit; der Einäugige: Unverstand; der Einarmige: menschliche Schwäche) Barak entspricht dem unerleuchteten Verstand des Ober- oder Wachbewusstseins, der erst erleuchtet werden muss, aber schon gerecht war. Färberin: Sie ist in der Oper namenlos! Sie ist jung, hübsch und eigenwillig und will keine Kinder, schließlich verkauft sie ihren Schatten. Sie symbolisiert den Willen im Wachbewusstsein des Menschen, der zu sehr "Ich-bezogen" ist. Sie entspricht dem unbeliebten Willen des äußeren Menschen.

Erscheinung des Jünglings: Sie wird durch die Amme mittels dämonischer Kräfte herbeigezaubert. Er symbolisiert alte Liebe der Färbersfrau (sie sah ihn in der Realität vor längerer Zeit tatsächlich ganz kurz) und entspricht der Sehnsucht unerfüllter Liebe, die sich im Jenseits erst wirklich personifizieren kann.
Stimme der Wächter
: Sie symbolisiert das menschliche Gewissen. Sie sagt: "Ihr Gatten, die ihr liebend euch in Armen liegt.ihr seid die Brücke, überm Abgrund ausgespannt, auf der die Toten wiederum ins Leben gehen! Geheiligt sei eurer Liebe Werk!" Textbuch zur Frau ohne Schatten, Boosey&Hawkes. London 1946. Seite 39.
Mit Gatten sind nicht nur die ehelichen Gatten gemeint, sondern auch die Verbindung (Brücke) des menschlichen Verstandes mit der menschlichen Liebe. Denn nur so können gedankliche und leibliche Früchte (Kinder) entstehen. Die Brücke über dem Abgrund bedeutet, dass das Prinzip des Verstandes mit dem weiblichen Prinzip der Liebe und des Wollens im Menschen sich befruchtet und Gedanken (Kinder) entstehen.

Wasser des Lebens: Es erhält lebenserneuernde, aber zugleich auch tödliche Kräfte. Die Kaiserin würde, davon trinkend, den Schatten der Färbersfrau bekommen, deren Ungeborene könnten dann jedoch niemals inkarnieren. Die Kaiserin widersteht der Versuchung nach schwerem inneren Kampf. Ihre Weigerung widerbelebt den Kaiser. Auch Barak und seine Frau stehn sich gegenüber, nachdem sie ihre Taten bereuend aus ihren Kerkern geleitet worden sind. Zwischen ihnen ist eine große Kluft. Die Färberin bereut und will Barak Kinder schenken: in diesem Augenblick fällt ein Schatten über den Abgrund. Nun vergibt auch Barak. Der Schatten wird zur goldenen Brücke: Im Augenblick der Verstandannahme hat sie sich gebildet. (Eine Interpretation aus dem Geist christlicher Mystik setzt hier den Einfluss des Heiligen Geistes fest: den Tag der Eingeburt.)

Der goldene Wasserfall des Lebens über welchem Kaiser und Kaiserin stehen erleuchtet nun auch Barak und seine Frau, die unterhalb desselben stehen. Der Verstand will nun auch die Werke, die er versteht, in der Liebe durchführen. Nach einem Leidensweg ist für beide Paare eine neue harmonische Zeit angebrochen. Die Sphären sind inneinänder und mit-einander versöhnt.
Die Ungeborenen:
Sie sind die noch nicht lebendig gewordenen, sich auf der Welt befindlichen Kinder und Gedanken, die ins Leben drängen. Zuerst muss jedoch eine Befruchtung erfolgen.