SALOME
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Wiener Volksoper
15. Oktober 2011
Premiere

Dirigent: Roland Böer

Regie: Marguerite Borie
Bühnenbild und Licht: Laurent Castaingt
Kostüme: Pieter Coene
Choreographie: Darren Ross

Koproduktion mit der Opéra de Monte Carlo und der Opéra Royal de Wallonie Liège

Herodes - Wolfgang Ablinger-Sperrhacke
Herodias - Irmgard Vilsmaier
Salome - Annemarie Kremer
Jochanaan - Sebastian Holecek
Narraboth - Jörg Schneider
Ein Page der Herodias - Martina Mikelic
Erster Jude - Stephen Chaundy
Zweiter Jude - Christian Drescher
Dritter Jude - JunHo You
Vierter Jude - Paul Schweinester
Fünfter Jude - Andreas Daum
Erster Nazarener - Stefan Cerny
Zweiter Nazarener - Anton Graner
Erster Soldat - Florian Spiess
Zweiter Soldat - Karl Huml
Ein Cappadocier - Yasushi Hirano


Salome, eine Missbrauchsgeschichte?

(Dominik Troger)

Koproduktionen sind modern. Die Volksoper hat jetzt bei der „Salome“ zugegriffen. Ob es sich gelohnt hat? Der Staatsoper kommt man mit dieser Produktion sicher nicht in die Quere.

Die neue Volksopern-„Salome“ ist eine Koproduktion mit der Oper in Monte Carlo und der Opéra Royal de Wallonie Liège. In der Publikumszeitschrift der Volksoper wird eine Kritik zur Aufführung in Monte Carlo zitiert. Dort heißt es: „Eine 'Salome‘ der anderen, ja besonderen Art.“ - und „anders“ war diese „Salome“ wirklich.

Die Regisseurin dieser Neuproduktion, Marguerite Borie, dechiffriert den „Salome“-Mythos als Missbrauchsgeschichte. Sie hinterfragt das Verhältnis der Titelpartie zu Herodes und unterminiert die Erwartungshaltungen des Publikums. Zentrum ihrer Deutung ist Salomes Schleiertanz. Hier hat sie, vom Libretto unbelastet, „Hand angelegt“, und den Striptease der Prinzessin als sexuellen Übergriff von Herodes und seiner Hofgesellschaft interpretiert. Salome geht es naturgemäß gar nicht gut dabei. Ihr Tanz ist Vorspiel und Tätlichkeit in einem – und mehr Gebärde und Kampf. Salome wird von den umstehenden Männern rasch in die Opferrolle gedrängt, sie möchte sich ihnen entziehen, es gelingt ihr nicht – und sie leidet.

Besonderes Interesse erweckte die letzte Szene. Nach dem verruchten Kuss entkleidet sich Salome, zeigt dabei dem Publikum ihre nackte Rückenpartie und geht in die „Zisterne“ ab. Hat sie jetzt genug von allem? Lässt sie hier ihre Welt hinter sich? Ist darin ein gewisses, wenig schmeichelhaftes Zitat eingeschlossen, mit dem sie nonverbal lüsternen Männerblicken „ins Gesicht“ fährt? Herodes schreit sein „Man tööööte dieses Weib!“ in den Zuschauerraum, aber Salome hat sich schon abgemeldet. Ein seltsamer Abgang.

Zu solcher Deutung passt keine üppig ausgestaltete Bühne. Diese „Salome“ ist ein Kammerspiel, in der Optik stark abstrahierend. Die wichtigsten „Requisiten“ sind eine Mondprojektion sowie später eine Art Galerie im Hintergrund mit einer schmalen Treppe. Dort oben gibt Salome den Beginn ihres Schleiertanzes. Die „Zisterne“ bezeichnet ein großer, bühnenmittig angelegter Kreis, dessen Oberfläche schräg nach unten klappen kann. Dort wird Jochanaan auftauchen und Salome am Schluss verschwinden.

Bis zu Salomes Auftritt verdeckt ein transparenter schwarzer Vorhang die Bühne. Wenn Herodes vom Fest kommt, öffnet sich der hintere Teil und man sieht diese kleine Galerie. Im Finale löst sich die Abdeckung des Zisternenkreises und wird planenartig, als weißer Hintergrund schräg hochgezogen. Das geht nicht ganz geräuschlos ab. Die Beleuchtung ist oft dunkelblau, am Schluss liegt Salome mit dem Stoffkopf im weißerhellten Zisternenkreis. Zweimal werden diskothekenartige Lichtzerhacker auf Salome gerichtet, nach der Szene mit Johanaan und nach dem Tanz. Flashbacks ihres Traumas?

Die Kostüme der Hofgesellschaft sind uniformähnlich, in unauffälligen Farben. Herodes trägt einen leicht Goldfarben durchwirkten Umhang, Salome ein weißes Kleid. Der lange rote Umhang des Jochanaan spielt eine wichtige Rolle. Salome eignet ihn sich an, und schleppt ihn dann durch den restlichen Abend. Narraboth stranguliert sich damit, Salome tanzt mit dem Umhang, auch der Kopf scheint daraus geformt. So erhält man eine gute Farbwirkung: weißgekleidet Salome und roter Fetisch, ganz ohne Gruselkabinett.

Die Personenführung geht nicht – wie man vielleicht erwarten würde – ins letzte realististische Detail. Auch hier wird mehr mit Andeutungen gearbeitet – oder mit Übertreibungen. Salome wirkte in der Körperhaltung oft wie ein trotziger Teenager, sehr kratzbürstig, alles andere als sexuell stimulierend. Ihr Liebesbetteln bei Jochanaan war gerade zu forsch, forsch auch das Finale. Dieser Salome schmeckten nur die bitteren Seiten der Liebe. Johanaan wirkte dagegen sehr gepflegt, fast pathetisch. Er scheint Salome sogar kurz zugeneigt. Herodes wirkt irgendwie unbedeutend. Aber in dieser Inszenierung genügt es offenbar, wenn er der „Böse“ ist.

Wie meist, wenn man Werke dieser Art in ein Deutungsschema presst: die Vielfalt der Ausdrucksmöglichkeiten leidet schwer darunter. Der Abend hinterließ bei mir insgesamt den Eindruck, als habe man den Inhalt von Herodes Schmuckkästchen, das Juwelen, Perlen, Topase, Opale, Chrysolithe, Berylle, Chrysoprase, Rubine, Sardonayx, Hyacinthsteine, Türkise und anderes mehr enthält, gegen ein paar spitze und scharfkantige Kieselsteine ausgetauscht. Anstatt die Edelsteine des Herodes wohl ausgeleuchtet in die Vitrine zu stellen, wird hier die Geschichte des Blutes erzählt, das an ihnen klebt. Das ist sehr „korrekt“. Wer kann hier noch einen Einwand vorbringen, ohne sich selbst zu diskreditieren?

Man darf aber schon anmerken, dass von der „Salome“, wie sie sich eine genusssüchtige Décadence einmal vorgestellt haben mag, an der Volksoper nicht viel übrig bleibt – szenisch und musikalisch. (Und wer zu den Quellen des üppig-lüsternen Orientalismus im 19. Jahrhundert vorstoßen möchte, der werfe einen Blick in die Reisetagebücher von Gustave Flaubert. Dort erfährt man viel über die erotische Wirkung des Tanzes – und Flaubert verschweigt auch nicht, wenn er sich danach mit einer tanzversierten Ägypterin im Bett wiederfand.)

Annemarie Kremer, als Salome mit Hausdebüt, erfüllte die landläufigen Erwartungen an diese Rolle nicht. Sie ließ einen etwas hart timbrierten, stark vibrierenden Sopran hören und gestaltete die Salome wie eine Verismo-Partie. Die Stimme klang überspannt und so kratzbürstig und bockig wie der regiegefertigte Charakter. Es stellte sich keine Sinnlichkeit ein, keine mystisch-absurde Liebeserfahrung. Diese Salome hatte keine Verführungsabsicht, sondern zielte nur darauf, ihrer Opferrolle zu entkommen.

Sebastian Holecek sang einen stimmlich beeindruckenden Johanaan, der sich als aggressiver, strahlender Soldat Gottes eignete, aber weniger den mystisch fundierten Propheten herauskehrte. Sein Bariton klang eher hell gefärbt, mit durchschlagskräftiger Höhe, aber weniger Fülle in der Tiefe. Er war ein überzeugender, geradliniger Bekenner seines Glaubens, ohne religionseurotische, erlösungsverheißende Tiefenschichten, an denen Salomes Liebesbedürfnis hätte andocken können.

Der Herodes von Wolfgang Ablinger-Sperrhacke zeigte sich stimmlich gut gerüstet, brachte aber für meinen Geschmack den nuancierten Charakter dieser Figur zu wenig deutlich heraus. Herodes ist ein Genussmensch mit übersteigerter, feinfühliger Wahrnehmung (man denke nur an seine Schmucksammlung, die er sachverständig zu kommentieren weiß!). Das sollte deutlicher herauskommen. Herodias (Irmgard Vilsmaier) klotzte pragmatisch mit Wagnertönen – und damit wars gut. Hatte ihr die Regie doch auch keine „besondere“ Rolle zugedacht. Den Narraboth, der immer ein wenig als „Beiwagerl“ erscheint, hatte Jörg Schneider gut im Griff; Kompliment auch an den Pagen von Martina Mikelic. Das Ensemble hinterließ insgesamt einen guten Eindruck.

Das Orchester unter Roland Böer folgte offensichtlich dem Regiekonzept. Man spielte laut und etwas grell, gar nicht feinfühlig und schon gar nicht sinnlich. Im Spiel vermisste ich die Elastizität und den maßgefertigten Spannungsbogen für die romantischen Auf- und Abschwünge und für die „monologischen“ Stellen, die mehr verhetzt klangen, ohne textauslotendem Tiefgang. Gegen das Ende hin verstärkte sich bei mir der Eindruck, dass es nur mehr darum ging, die Vorstellung nach dem Motto „Augen zu und durch“ über die Runden zu bringen.

Das Regieteam wurde nicht ausgebuht, erhielt aber kaum Bravorufe. Einige Buhrufe trafen den Dirigenten. Für das Ensemble gab es viele Bravorufe, bei rund zehn Minuten Applaus.

Fazit: Die Staatsopern-„Salome“ vermittelt mit ihrem Jugendstilflair die lüstern-gehauchten Küsse von goldgerahmten Klimt’schen Mädchenköpfen. Wer diese „historisch“ treffendere Lesart schätzt, könnte sich mit dieser Volksopern-Produktion schwer tun.