SALOME
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Volksoper
15.9.2023


Musikalische Leitung: Omer Meir Wellber

Rekreation der Inszenierung der Salzburger Festspiele 1992 von Luc Bondy
Szenische Einstudierung: Marie-Louise Bischofberger-Bondy
Bühnenbild: Erich Wonder

Kostüme: Susanne Raschig
Chorerographie: Lucinda Childs
Licht: Alexander Koppelmann

Salome - Astrid Kessler
Jochanaan - Tommi Hakala
Herodes - Wolfgang Ablinger-Sperrhacke
Herodias - Ursula Pfitzner
Narraboth - JunHo You
Page - Stephanie Maitland
1. Jude - Karl-Michael Ebner
2. Jude - David Kerber
3. Jude - Jason Kim
4. Jude - Stephen Chaundy
5. Jude - Alexander Fritze
1. Nazarener - Pablo Santa Cruz
2. Nazarener - Stanislaw Napierala
1. Soldat - Ben Connor
2. Soldat -
Daniel Ohlenschläger / Alexander Fritze
Ein Kappadozier - Pablo Santa Cruz
Ein Sklave -
Kamila Dutkowska


Familienaufstellung
(Dominik Troger)

Die erste Saisonpremiere an der Volksoper galt der „Salome“ von Richard Strauss. Der Rückgriff auf eine Inszenierung des 2015 verstorbenen Regisseurs Luc Bondy hat sich gelohnt: Dem Haus am Währinger Gürtel  gelang ein dichter Premierenabend.

Luc Bondy hat seine Inszenierung der „Salome“ 1992 für die Salzburger Festspiele konzipiert. Die Produktion wurde danach auch in London, Brüssel und Mailand gespielt. Für die szenische Umsetzung an der Volksoper hat als „Erbwalterin“ Marie-Louise Bischofberger-Bondy gesorgt. 

In seiner Sicht auf „Salome“ verweigert sich Bondy dem Exotismus des Fien de siecle ebenso wie platter Missbrauchsanamnese. In den vom Bühnenbildner Erich Wonder entworfenen weitgehend leeren, düsteren Räumen eines heruntergekommenen Palais findet eine Familienaufstellung statt – nach Bondys Worten (die im Programmheft nachgelesen werden können) ein „archaischer Thriller“ – in dem eine trotzig-pubertäre Salome einer sexuell determinierten „Idée fix“ verfällt.

Bei Bondy gehen die klare Analyse des Sprechtheaters mit dem Sinn für opernhaften Effekt zusammen, wobei eine damaturgisch klug kalkulierende Beobachterkühle die psychologische Nuancierung und Figurenkonstellation bestimmt. Außerdem ist das Prozesshafte an der Entwicklung Salomes  sehr gut herausgearbeitet: Vom ersten mädchenhaften Trotz bis zu ihrer Liebeserklärung an das abgeschlagene Haupt des Propheten steigert sich nach und nach Salomes Begehren zu einer kaum mehr bezähmbaren Gier. Und Salomes lüsterne Verherrlichung des Prophetenhauptes kulminiert in einer unzüchtigen Nekrophilie, in einen die ganze Personenführung durchdringenden Dialog zwischen einer Lebenden mit einem Toten.

Herodes und Herodias sind dieser kindfraulichen Salome nicht gewachsen, obwohl beide versuchen, sie zu instrumentalisieren. Die sexuelle Komponente wird von Bondy dabei nicht ausgeblendet. Aber Salome instrumentalisiert ihrerseits die Gelüste des Herodes. Sie bleibt treibende Kraft, um die Handlung voranzubringen. Für Herodias hat sie nur Geringschätzung übrig.

Während das Beziehungsgeflecht zwischen Salome, Herodes und Herodias deutlich ausformuliert wird, bleibt  zu fragen, welchen Platz Jochanaan in dieser Figurenaufstellung einnimmt. Handelt es sich um einen bedrohlichen Archetypen, der sich aus dem brüchigen Parkettboden dieses Bühnenzimmers herauswühlt? Handelt es sich um einen angsterzeugenden, Schuldgefühle hervorrufenden „Dämon“, der den Keller des Unterbewussten mit fanatischen Moralvorstellungen füllt – dem Bondy allerdings mit  distanzierender Ironie gegenübergestanden sein dürfte? Einen grotesken Zug kann man diesem Jochanaan nicht absprechen, sein religiöser Fanatismus wirkt ein wenig abgedroschen, aber vielleicht weckt er zuerst nur väterliche Gefühle in Salome, die sich nach ihrer Zurückweisung durch den Propheten zu jener Idee verdichten, die ihm das Leben kosten wird.

In den Sekunden, in denen sich im Orchester der Wunsch Salomes nach dem Kopf des Jochanaan ausformuliert, verlässt Salome zuerst die spärlich ausgeleuchtete Bühne, kommt in einen dunklen Umhang gekleidet zurück, trägt eine langstielige, rote Blume bei sich und lässt sie in die Bodengrube fallen, die den Eingang zum „Verlies“ bezeichnet. Es handelt sich um eine seltsame Abstraktion, um eine traumhafte Sequenz, eine Grenzüberschreitung, nach der es für Salome kein zurück mehr geben wird.

Gleich bei dieser Grube liegt ein länglicher schwarzglatter Quader, ragt mit sanft ansteigender Schräge aus dem Boden, wie ein alter, vor Jahrzehntausenden auf die Erde gefallener Monolith. Nicht nur dieses  Detail legt nahe, dass die Inszenierung den  Bühnenraum als „überzeitlich“ und doppelbödig zu begreifen scheint, dass in ihm aufgeklärte Ironie und mythische Wucht aufeinandertreffen und sich verstärken. Wenn Herodes und Salome an einem einfachen Küchentisch die Belohnung für den Tanz aushandeln, denkt man sogar an eine inzestuöse Kleinbürgergeschichte, die unter die Räder eines Mythos geraten ist – so wie Salome im Finale große Soldatenschilde zu Tode quetschen.

Wie dem Programmheft zu entnehmen ist, wird an der Volksoper eine leicht reduzierte Orchesterfassung gespielt, die von Omer Meir Wellber, dem musikalischen Leiter, für diese Produktion adaptiert worden ist. Das musikalische Ergebnis spiegelte insgesamt die psychologische Kühle der Szene wider, unterlegte die Handlung mit einem etwas spröd formulierten Dahineilen. Omer Meir Wellber ging forsch an die Sache heran, für das gesangliche Auskosten von Phrasen und Pointen blieb den Sängerinnen und Sängern kaum Spielraum. Das Funkeln und Glitzern der Emotionen verzierte keinen mit Ornamenten ausgeschmückten Präsentierteller zur dekorgesättigen Darreichung an das Publikum. Die Üppigkeit der Partitur wurde im Eiltempo zurechtgestutzt wie eine labyrinthisch auswuchernde Hecke: klare Konturen und Kanten und ein magerer Streicherklang vermieden jede prunksüchtige Abrundung.

Die Salome der Astrid Kessler war die eigentliche „Matchwinnerin“ des Abends: gut gespielt und mit einer intakten, nicht allzu großen, leicht silbrigen Sopranstimme zu gesanglichem Leben erweckt. Sie gab ein – ganz im Sinne der Inszenierung – „geradliniges“ Porträt dieses überspannten Charakters, psychologisch stimmig. Auf „dekadente“ Sinnlichkeit getrimmte Erwartungshaltungen hat sie genauso wenig erfüllt wie die ganze Aufführung. Salomes Tanz (Choreographie Lucinda Childs) hat sein „Mittel zum Zweck“ nicht verleugnet, deutlich abzulesen am eng anliegenden Trikot als Herodes befeuerndes Aphrodisiakum. Der Tanz mischte „klassisches“ und „modernes“ Bewegungsrepertoire und fügte sich gut in die Inszenierung ein.

Tommi Hakala war ein robuster, bühnenwirksamer Jochanaan, der nie in Gefahr geriet, sich von Salomes Begehrlichkeiten erweichen zu lassen. Wolfgang Ablinger-Sperrhacke hat seinen erfahrenen Herodes bereits in der letzten „Salome“-Premiere der Volksoper im Jahr 2011 beigesteuert, diesmal von der Regie besser in Szene gesetzt als damals. Ursula Pfitzner schenkte als Herodias dem Tetrarchen nichts. Dass sie unter den Anwürfen Johanaans kurz nervlich zusammenbricht, ist ein weiteres  spannendes Inszenierungsdetail. JunHoYu gab einen metallisch klingenden Narraboth, Stephanie Maitland den Pagen. Alexander Fritze hat auch als Zweiter Soldat ausgeholfen, weil Daniel Ohlenschläger wegen einer akuten Erkrankung nur spielen, aber nicht singen konnte (wie die Direktorin des Hauses am Beginn der Vorstellung dem Publikum mitgeteilt hat).

Die Volksoper war gut besucht. Der starke, positiv gestimmte Schlussapplaus dauerte knappe zehn Minuten lang. Vor der Vorstellung wurden mundende Schinkensemmerl und Getränke an das wartende Publikum verteilt. Auch allerhand Prominenz wurde gesichtet, die spätsommerliche Abendstimmung in der Währingerstraße genießend.

PS: Ermöglicht wurde die Produktion laut Programmzettel durch die Unterstützung des Unternehmers und Opernliebhabers Martin Schlaff, dem es dadurch gelungen ist, dem Publikum ein lebendiges Wiedererinnern an Luc Bondy zu ermöglichen, der viele Jahre auch als Intendant der Wiener Festwochen gewirkt hat.