„Familienaufstellung“
(Dominik Troger)
Die
erste Saisonpremiere an der Volksoper galt der „Salome“ von Richard
Strauss. Der Rückgriff auf eine Inszenierung des 2015 verstorbenen
Regisseurs Luc Bondy hat sich gelohnt: Dem Haus am Währinger
Gürtel gelang ein dichter Premierenabend.
Luc Bondy
hat seine Inszenierung der „Salome“ 1992 für die Salzburger Festspiele
konzipiert. Die Produktion wurde danach auch in London, Brüssel und
Mailand gespielt. Für die szenische Umsetzung an der Volksoper hat als
„Erbwalterin“ Marie-Louise Bischofberger-Bondy gesorgt.
In
seiner Sicht auf „Salome“ verweigert sich Bondy dem Exotismus des Fien
de siecle ebenso wie platter Missbrauchsanamnese. In den vom
Bühnenbildner Erich Wonder
entworfenen weitgehend leeren, düsteren Räumen eines heruntergekommenen
Palais findet eine Familienaufstellung statt – nach Bondys Worten (die
im Programmheft nachgelesen werden können) ein „archaischer Thriller“ –
in dem eine trotzig-pubertäre Salome einer sexuell determinierten „Idée
fix“ verfällt.
Bei
Bondy gehen die klare Analyse des Sprechtheaters mit dem Sinn für
opernhaften Effekt zusammen, wobei eine damaturgisch klug kalkulierende
Beobachterkühle die psychologische Nuancierung und Figurenkonstellation
bestimmt. Außerdem ist das Prozesshafte an der Entwicklung
Salomes sehr gut herausgearbeitet: Vom ersten mädchenhaften Trotz
bis zu ihrer Liebeserklärung an das abgeschlagene Haupt des Propheten
steigert sich nach und nach Salomes Begehren zu einer kaum mehr
bezähmbaren Gier. Und Salomes lüsterne Verherrlichung des
Prophetenhauptes kulminiert in einer unzüchtigen Nekrophilie, in einen
die ganze Personenführung durchdringenden Dialog zwischen einer
Lebenden mit einem Toten.
Herodes und Herodias sind
dieser kindfraulichen Salome nicht gewachsen, obwohl beide versuchen,
sie zu instrumentalisieren. Die sexuelle Komponente wird von Bondy
dabei nicht ausgeblendet. Aber Salome instrumentalisiert ihrerseits die
Gelüste des Herodes. Sie bleibt treibende Kraft, um die Handlung
voranzubringen. Für Herodias hat sie nur Geringschätzung übrig.
Während das Beziehungsgeflecht
zwischen Salome, Herodes und Herodias deutlich ausformuliert wird,
bleibt zu fragen, welchen Platz Jochanaan in dieser
Figurenaufstellung einnimmt. Handelt es sich um einen bedrohlichen
Archetypen, der sich aus dem brüchigen Parkettboden dieses
Bühnenzimmers herauswühlt? Handelt es sich um einen angsterzeugenden,
Schuldgefühle hervorrufenden „Dämon“, der den Keller des Unterbewussten
mit fanatischen Moralvorstellungen füllt – dem Bondy allerdings
mit distanzierender Ironie gegenübergestanden sein dürfte? Einen
grotesken Zug kann man diesem Jochanaan nicht absprechen, sein
religiöser Fanatismus wirkt ein wenig abgedroschen, aber vielleicht
weckt er zuerst nur väterliche Gefühle in Salome, die sich nach ihrer
Zurückweisung durch den Propheten zu jener Idee verdichten, die ihm das
Leben kosten wird.
In den Sekunden, in denen sich
im Orchester der Wunsch Salomes nach dem Kopf des Jochanaan
ausformuliert, verlässt Salome zuerst die spärlich ausgeleuchtete
Bühne, kommt in einen dunklen Umhang gekleidet zurück, trägt eine
langstielige, rote Blume bei sich und lässt sie in die Bodengrube
fallen, die den Eingang zum „Verlies“ bezeichnet. Es handelt sich um
eine seltsame Abstraktion, um eine traumhafte Sequenz, eine
Grenzüberschreitung, nach der es für Salome kein zurück mehr geben
wird.
Gleich bei dieser Grube liegt
ein länglicher schwarzglatter Quader, ragt mit sanft ansteigender Schräge aus dem Boden, wie ein alter,
vor Jahrzehntausenden auf die Erde gefallener Monolith. Nicht nur
dieses Detail legt nahe, dass die Inszenierung den
Bühnenraum als „überzeitlich“ und doppelbödig zu begreifen scheint,
dass in ihm aufgeklärte Ironie und mythische Wucht aufeinandertreffen
und sich verstärken. Wenn Herodes und Salome an einem einfachen
Küchentisch die Belohnung für den Tanz aushandeln, denkt man sogar an
eine inzestuöse Kleinbürgergeschichte, die unter die Räder eines
Mythos geraten ist – so wie Salome im Finale große Soldatenschilde zu
Tode quetschen.
Wie dem Programmheft zu entnehmen ist, wird an der Volksoper eine leicht reduzierte Orchesterfassung gespielt, die von Omer Meir Wellber,
dem musikalischen Leiter, für diese Produktion adaptiert
worden ist. Das musikalische Ergebnis spiegelte insgesamt die
psychologische Kühle der Szene wider, unterlegte die Handlung mit einem
etwas spröd formulierten Dahineilen. Omer Meir Wellber ging forsch an
die Sache heran, für das gesangliche Auskosten von Phrasen und Pointen
blieb den Sängerinnen und Sängern kaum Spielraum. Das Funkeln und
Glitzern der Emotionen verzierte keinen mit Ornamenten ausgeschmückten
Präsentierteller zur dekorgesättigen Darreichung an das Publikum. Die
Üppigkeit der Partitur wurde im Eiltempo zurechtgestutzt wie eine labyrinthisch
auswuchernde Hecke: klare Konturen und Kanten und ein magerer
Streicherklang vermieden jede prunksüchtige Abrundung.
Die Salome der Astrid Kessler
war die eigentliche „Matchwinnerin“ des Abends: gut gespielt und mit
einer intakten, nicht allzu großen, leicht silbrigen Sopranstimme zu
gesanglichem Leben erweckt. Sie gab ein – ganz im Sinne der
Inszenierung – „geradliniges“ Porträt dieses überspannten Charakters,
psychologisch stimmig. Auf „dekadente“ Sinnlichkeit getrimmte
Erwartungshaltungen hat sie genauso wenig erfüllt wie die ganze
Aufführung. Salomes Tanz (Choreographie Lucinda Childs) hat sein
„Mittel zum Zweck“ nicht verleugnet, deutlich abzulesen am eng
anliegenden Trikot als Herodes befeuerndes Aphrodisiakum. Der Tanz
mischte „klassisches“ und „modernes“ Bewegungsrepertoire und fügte sich
gut in die Inszenierung ein.
Tommi Hakala war ein robuster, bühnenwirksamer Jochanaan, der nie in Gefahr geriet, sich von Salomes Begehrlichkeiten erweichen zu lassen. Wolfgang Ablinger-Sperrhacke
hat seinen erfahrenen Herodes bereits in der letzten „Salome“-Premiere
der Volksoper im Jahr 2011 beigesteuert, diesmal von der Regie besser
in Szene gesetzt als damals. Ursula Pfitzner
schenkte als Herodias dem Tetrarchen nichts. Dass sie unter den
Anwürfen Johanaans kurz nervlich zusammenbricht, ist ein weiteres
spannendes Inszenierungsdetail. JunHoYu gab einen metallisch klingenden Narraboth, Stephanie Maitland den Pagen. Alexander Fritze
hat auch als Zweiter Soldat ausgeholfen, weil Daniel Ohlenschläger
wegen einer akuten Erkrankung nur spielen, aber nicht singen konnte
(wie die Direktorin des Hauses am Beginn der Vorstellung dem Publikum
mitgeteilt hat).
Die Volksoper war gut besucht.
Der starke, positiv gestimmte Schlussapplaus dauerte knappe zehn
Minuten lang. Vor der Vorstellung wurden mundende Schinkensemmerl und
Getränke an das wartende Publikum verteilt. Auch allerhand Prominenz
wurde gesichtet, die spätsommerliche Abendstimmung in der
Währingerstraße genießend.
PS: Ermöglicht wurde die
Produktion laut Programmzettel durch die Unterstützung des Unternehmers
und Opernliebhabers Martin Schlaff, dem es dadurch gelungen ist, dem
Publikum ein lebendiges Wiedererinnern an Luc Bondy zu ermöglichen, der
viele Jahre auch als Intendant der Wiener Festwochen gewirkt hat.