SALOME
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Staatsoper
12.2.2023
Stream der letzten Vorstellung der Premierenserie

Musikalische Leitung: Philippe Jordan

Inszenierung: Cyril Teste
Künstlerische Mitarbeit: Céline Gaudier
Bühne: Valérie Grall
Kostüme: Marie La Rocca
Licht: Julien Boizard
Video-Design: Mehdi Toutain-Lopez
Video-Design Live-Kamera: Rémy Nguyen
Choreographie: Magdalena Chowaniec


Salome - Malin Byström
Jochanaan - Wolfgang Koch
Herodes - Gerhard Siegel
Herodias - Michaela Schuster
Narraboth - Daniel Jenz
Page der Herodias - Patricia Nolz
1. Jude - Thomas Ebenstein
2. Jude - Andrea Giovannini
3. Jude - Carlos Osuna
4. Jude - Katleho Mokhoabane
5. Jude - Evgeny Solodovnikov
1. Nazarener - Clemens Unterreiner
2. Nazarener - Attila Mokus
1. Soldat - Ilja Kazakov
2. Soldat - Stephano Park
Ein Kappadozier - Ferdinand Pfeiffer
Ein Sklave -
Daniel Lökös
Henker - Pablo Delgado

Darstellender Videograph - Benedikt Missmann
Die kleine Salome - Jana Radda
Die kleine Salome (Tanz / Video) - Anna Chesnova


Anti-Salome
(Dominik Troger)

Die Staatsopern-Direktion arbeitet eifrig an der „Modernisierung“ des Repertoires. Jetzt musste die alte „Salome“-Inszenierung über die Klinge springen und einer Neuproduktion in der Regie von Cyril Teste Platz machen. Premiere war am 2. Februar, nachstehende Anmerkungen beziehen auf den Staatsopernstream der Aufführung vom 12. Februar 2023.

Die alte Staatsopern-Inszenierung aus dem Jahr 1972 (Inszenierung: Boleslav Barlog, Ausstattung: Jürgen Rose) war noch so etwas wie ein Fels in der Brandung heutzutage ziemlich uniformer „Salome“-Deutungen. Gab es nicht schon 2011 an der Volksoper eine Neuproduktion, in der sich Salome als Missbrauchsopfer gerierte? Auch neun Jahre später im Theater an der Wien war Missbrauch ein Thema, obwohl die Puppen des Nikolaus Habjan für einen starken Verfremdungseffekt gesorgt haben. Die neue Inszenierung der Wiener Staatsoper reiht sich nahtlos in diese „Missbrauchs-Stereotype“ ein, die inzwischen die Opernbühnen beherrscht.

Barlog / Rose haben keine eindeutige Festschreibung vorgenommen. Ihre Produktion überzeugte durch eine kluge Bühnenaufteilung und das Jugendstilambiente der Ausstattung: links (vom Publikum aus betrachtet) lag die Palastterrasse des Herodes mit dem Eingang zum Saal; rechts darunter, über breite Stufen zu erreichen, befand sich der Hof mit dem in den Boden eingelassenen, von einem großen Gitter abgesicherten Verlies. Das historisierende Dekor der Ausstattung verknüpfte die Inszenierung mit der Entstehungszeit der Oper und konnte als Symbol für eine „décadence“ gedeutet werden, in der Salome, alle moralischen Grenzen überschreitend, blasphemisch einer dionysischen Erotik huldigt. Und steht das von Herodes über Salome gefällte Todesurteil nicht auch für das Urteil, das zur Entstehungszeit eine heuchlerische Moral über das Stück und über Oscar Wilde gesprochen hat, nach dessen Drama bekanntlich das Libretto für die Oper geschneidert wurde?

Der „Tanz der sieben Schleier" war eindeutig definiert: Salome erfüllt die erotischen Erwartungshaltungen des Tetrarchen, um daraus einen Vorteil zu ziehen. Wenn Salome selbst oder ihr Tänzerinnen-Double den Tanz ekstatisch beendete, dann stellte sie sich seitlich zum Publikum, lüftete ihre letzte Verhüllung und präsentierte Herodes sekundenkurz ihre Brust, die von einem fleischfarbenen Trikot bedeckt war. Je mehr sich im Laufe der Jahre die Sängerinnen der Salome selbst um den Tanz bemühten, umso mehr veränderte sich allerdings die Choreographie, oft genug nicht zu ihrem besten. Aber dieser verführerische Tanz und sein aufreizendes Finale waren damals noch möglich, als Vorspiel für den berühmten Kuss, als eine durch die Musik angefeuerte erotische Bühnenhandlung.

Zeiten und Sichtweisen verändern sich. Inzwischen hat sich Herodes in der Meinung der Regisseure und Dramaturgen vom heuchlerischen Moralisten zum übergriffigen Pädophilen gewandelt – und dass der Tanz männliche Phantasien bedient, macht ihn ohnehin verdächtig. Deshalb wird in der Staatsopern-Neuproduktion der Tanz dazu benützt, um etwas über Salome selbst zu erzählen. Er erhält eine den Inhalt der Oper erweiternde biographische Funktion, die ihm bei Richard Strauss nicht zukommt. Außerdem verweigert sich die Choreographie grundlegend der Erwartungshaltung des Publikums, löst den Tanz in unflüssige Gesten und Bewegungen auf. Salome deutet Traumaerfahrungen an, droht mit Gläsern und Tellern. Der Tanz wird zwischen Salome und einer jüngeren Darstellerin aufgeteilt, die das biographische Element betont, und ihren Ekel vor den sie nötigenden sexuellen Wünschen des Herodes. Die Funktion des Tanzes kehrt sich damit ins Gegenteil: Er soll beim Publikum Abscheu und Mitleid auslösen. Eine Live-Kamera filmt aus unterschiedlichen Perspektiven mit, die Bilder werden im Hintergrund des Esszimmers projiziert.

Cyril Teste hat die Handlung in die Gegenwart verlegt, in das mondäne Speisezimmer des Herodes. Die Festgesellschaft ist bereits am Anfang zu sehen, die Protagonisten sitzen abendgekleidet an der „herrschaftlichen Tafel“ und die Standesunterschiede sind wenig greifbar. Salome werden im Laufe der Aufführung zwei jüngere Darstellerinnen hinzugesellt, die ihre Missbrauchsopferschaft glaubhafter machen sollen. Für die historischen und religiösen Bezüge des Librettos wird keine überzeugende Lösung angeboten. Die mit der Ankunft des Messias verwobenen biblischen Querverweise samt der Prophetie des Jochanaan werden quasi „säkularisiert“. Die Furcht des Herodes vor Jochanaan, den er aus unerfindlichen Gründen in einem Raum unter dem Speisezimmer eingesperrt hat, wird dadurch ihrer Ursache beraubt. Die erotische Grenzüberschreitung der Salome verliert ihren blasphemischen Charakter und Jochanaan – genau besehen – seine Existenzberechtigung.

Das Engagement von Malin Byström für eine „Salome“-Premiere an der Wiener Staatsoper ist nur vor dem Hintergrund dieses Regiekonzepts erklärbar. Ihr teils flackriger Sopran hatte mit der Partie zu viel Mühe, ließ kaum ein sinnliches Piano hören, erweckte eher den Eindruck, als wäre jede Erotik unangebracht und Salomes Bühnenleben eine einziges Leiden. Sie gab die Partie fern jener rauschhaften Verzückung, die so viele Rollenvorgängerinnen gesucht – und oft genug gefunden haben. Byströms Salome war enterotisiert, schien mit sehniger Stimme und gequält wirkendem Ausdruck jeden Anschein von Sinnlichkeit zu vermeiden, um die ihr zugedachte Opferrolle konsequent umzusetzen.

Mit dem von der Regie blässlich behandelten Jochanaan fehlte Salome zudem ein wichtiges Gegenüber. Außerdem hatte Wolfgang Koch, kurzfristig in die Produktion eingesprungen, nicht seinen besten Tag, sang mit unsteter, angestrengt klingender Stimme. Er forderte für sich keine Predigerautorität ein und weckte nicht mit enthusiastischer Messiasliebe erotisches Begehren. Gerhard Siegel hätte den Herodes gesanglich detaillierter anlegen können, aber die Rahmenbedingungen für ein ausgefeiltes Rollenporträt wurden durch die Inszenierung erschwert. Salomes Stiefvater musste sich ganz in seiner Schwachheit zeigen, damit die von der Regie postulierte Ungeheuerlichkeit seiner Taten noch stärker aus seinen Maulwurfsaugen leuchtet.

Daniel Jenz gab einen leicht metallisch klingenden Narraboth und durfte mit dem Pagen (Patricia Nolz) Zigaretten rauchen. Bevor Narraboth zum Selbstmord schreitet, muss er seine Krawatte abnehmen, sie feinsäuberlich zusammenrollen. Dann nähert er sich im Zeitlupentempo Salome. Cyril Teste wird sicher wissen, welche psychologische Feinzeichnung sich dahinter verbirgt. Michaela Schuster ist als Herodias der Inszenierung ebensowenig entkommen, wie der Erste Nazarener von Clemens Unterreiner. Dieser präsentierte sich in Uniform, ein Militär von hohem Rang, der seltsamer Weise schwärmerisch von einem „Messias“ und großen Wundertaten berichtet.

Das Orchester unter Philippe Jordan legte sich ins Zeug, um die szenischen (und leider auch gesanglichen) Schwächen dieser Neuproduktion zu kaschieren. Über die Details der akustische Abstimmung im Haus lässt sich vor dem Lautsprecher und bei der stark auf die Optik abgestellten Aufbereitung des Streams wenig sagen. (Durch die Nahaufnahmen wurden viele Gesten bedeutungsvoll aufgeblasen.) Dem Applaus nach zu schließen, war das Publikum mit der Vorstellung zufrieden.