SALOME
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Theater an der Wien
18. Jänner 2020
Premiere

Musikalische Leitung: Leo Hussain

Inszenierung: Nikolaus Habjan
Bühne: Julius Theodor Semmelmann
Kostüm: Cedric Mpaka
Licht: Paul Grilj
Choreographie: Esther Balfe

ORF Radio-Symphonieorchester Wien

Salome - Marlis Petersen
Jochanaan - Johan Reuter
Herodes - John Daszak
Herodias - Michaela Schuster
Narraboth - Martin Mitterrutzner
Page der Herodias - Tatiana Kuryatnikova
Erster Jude - Paul Schweinester
Zweiter Jude - Johannes Bamberger
Dritter Jude - Quentin Desgeorges
Vierter Jude / Diener - Andrew Owens
Fünfter Jude / Erster Soldat - Dumitru Madarasan
Erster Nazarener / Kappadozie - Kristján Jóhannesson
Zweiter Nazarener / Zweiter Soldat - Ivan Zinoviev


Salome im Blutrausch
(Dominik Troger)

Die erste Neuproduktion des Theaters an der Wien im Jahr 2020 widmete sich der Richard Strauss'schen „Salome“. Gestützt auf eine reduzierte Orchesterfassung von Eberhard Kloke durfte man wieder Nikolaus Habjans Puppen begegnen: eine für Salome und eine für Jochanaan.

Nikolaus Habjan ist diese Saison „Director in Residence“ am Theater an der Wien. Bereits in der Kammeroper durften seine Puppen zu Gonouds „Faust“ aufmarschieren – jetzt also kam die „Salome“ an die Reihe. Ob es für eine „Salome“ Puppen braucht, diese Frage hat der Abend aber nicht wirklich beantwortet. Der Nachteil von Habjans doch relativen großen Handpuppen liegt darin, dass sie geführt werden wollen. Machen das die Sänger selbst, dann setzt das ihre eigene Beweglichkeit auf der Bühne deutlich herab. Sehr gut konnte man das beim „Date“ von Salome mit Jochanaan am Zisternenrand beobachten: Das war über weite Strecken eine Stehpartie, die einer konzertanten Aufführung gleich kam.

Die Vorteile seien aber auch nicht verschwiegen: Die Verselbständigung der Salome Puppe im Tanz der sieben Schleier ermöglichte es zum Beispiel, die sexuell genötigte Salome zu substituieren, um Herodes einen Orgasmus zu verschaffen. Der Tanz war in diesem Sinne auch weniger erotisch, sondern mehr eine Missbrauchsgeschichte, Salome als Opfer, die dann ihrerseits Jochanaan zum Opfer macht. Nicht, dass die breitmaulige Salome-Puppe besonders schön gewesen wäre, da war Jochanaan als hagerer, bleicher „Schmerzensmann“ besser getroffen – und vor allem Jochanaans Kopf, ein Riesentank für Theaterblut, das den ganzen Schlussmonolog lang in einem dünnen Faden heraustropfte wie bei einer Nitsch-Mysterien-Orgie: der Sopran voller Kunstblut, dem Kopf ein fast keuscher Kuss auf die Lippen gedrückt, große begehrliche Erschöpfung. Seltsam, dass dann Salome aufsteht, zur Kulissenwand torkelt und dort wie verlassen einsam zurückbleibt, während das Orchester ihren gewaltsamen Tod mit gewaltigen Schlägen zelebriert.

Es war nicht alles schlüssig, was dieser Abend bot, aber Habjan hat im Wesentlichen die Geschichte nach dem Libretto erzählt – und das ist schon eine Novität heutzutage. Salome hätte schließlich auch Herodes umbringen können und mit Narraboth den Thron usurpieren. Die Handlung war in einem nicht näher ausgewiesenen fiktiven Herrscherwohnsitz angesiedelt, die soldatischen Wächter mit Maschinenpistolen ausstaffiert: der fiktive Palast eines Potentaten, mit üppigem Festbankett hinter den Mauern im ersten Stock des rampenartig arrangierten, zweckmäßig gebauten Bühnenbildes.

Im Vordergrund befand sich das Rund eines betongedeckelten Kanalzugangs, der sich spektakulär zum Auftritt des Jochanaans öffnete. Auf diesem, zu einer großen metallischen Schale umfunktionierten Deckel sollte dann wie in einer überdimensionalen Silberschüssel Salome den Schlussmonolog singen und sich in Jochanaans Blut „baden“. Dieser Jochanaan, grau geschminkt und grau gewandet, trieb sich die meiste Zeit auf der Bühne umher, eine Art „Geist“ oder unterbewusst an den Protagonisten nagendes Gewissen, das Salome Begehren und Herodes Furcht einflößt, und erst am Schluss des Monologs tot zur Seite kippt. Diese Deutung war ungewöhnlich, manchmal schlüssig, zumindest nicht wirklich störend, die Idee, hier offenbar unbewusste Vorgänge zu dramatisieren, jedenfalls interessant.

Bis zum Auftritt des Herodes verlief der Abend aber recht flau, weil die Szene wenig bot und musikalisch Abstriche zu machen waren. Es war von vornherein klar, dass Marlis Petersen ihre Salome vor allem aus einem expressiven Spiel entwickeln würde und dazu musste die Geschichte erst einmal in Gang kommen. Der Johanaan des Johan Reuter bot dafür gesanglich eine gute Basis, durfte sich aber auch erst nach und nach schauspielerisch entwickeln, ohne sich dabei in den Vordergrund spielen zu dürfen. Erst mit dem Auftritt des Herodes und seines Hofstaates kam die Aufführung in Schwung und erzeugte dann jenen Sog, in dessen Wirbel vor allem Salome selbst und auch Herodes herumkreisten, während die Handlung auf ihr blutiges Ende hinsteuerte.

Petersens Salome war „herb“, mehr getrieben als lustvoll erotisch hat sie auch stimmlich nicht gerade leuchtende „Granatapfelkerne“ und „Preziosen“ herausgepickt, sondern, hin- und hergerissen zwischen Opferstatus und Leidenschaft, vor allem durch ihre schonungslose Kompromisslosigkeit mitgerissen. Diese Leidenschaft und das glitschig wirkende Kunstblut waren denn auch ein wichtiger Katalysator eines zum sexuellen Wahn gesteigerten Schlussmonologs, der keine jugendstil-impressionistische-kussklimtsche Verzückung auslöste. Das Pathologische des Vorgangs wurde in fast geschmacklos zelebrierter Öffenheit kund getan. Das hat im Publikum nicht allen gefallen, ein paar Buhrufe gab es beim Schlussvorhang dann doch. Aber diese „negative Aufregung“ hielt sich in überschaubaren Grenzen, und der Abend schloss mit rund zehn Minuten langem, starkem Applaus.

Bis zu einem gewissen Grad lässt sich diese Aufführung als „Antithese“ zur in Jugendstildekor gewandeten Staatsopernproduktion begreifen – und alles andere hätte für das Theater an der Wien auch wenig Sinn ergeben. Die eigens für diese Produktion erstellte reduzierte Orchesterfassung hat – lag es am Dirigenten? – die Durchhörbarkeit aber auch nicht erleichtert, wobei Leo Hussain ab der Mitte des Abends den Spannungsbogen gut gehalten hat. Doch Expressivität und Lautstärke haben überwogen.

Eine starke Leistung bot – neben Marlis Petersen – John Daszak als Herodes mit heldentenoralem Zuschnitt, wobei er dem „Helden“ stimmlich dann und wann stärkere Zügel hätte anlegen sollen. Michaela Schuster gab eine rollendeckende Herodias, Martin Mitterrutzner war ein aufstrebender Narraboth, der Page der Tatiana Kuryatnikova überzeugte mich weniger.

Fazit: Mit Abstrichen im musikalischen Bereich und gemessen an den zum Teil szenisch sehr fragwürdigen Produktionen, die das Theater an der Wien in dieser Saison dem Publikum schon serviert hat, kann durchaus von einem Erfolg gesprochen werden.