ROSENKAVALIER
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Volksoper
20. November 2021

Dirigent: Hans Graf

Regie und Licht: Josef Ernst Köpplinger
Bühnenbild: Johannes Leiacker
Kostüme: Dagmar Morell
Choreinstudierung: Thomas Böttcher

In Kooperation mit dem Theater Bonn.
Premiere am 31.10.2021

Feldmarschallin - Jacquelyn Wagner
Baron Ochs -
Franz Hawlata
Octavian -
Emma Sventelius
Faninal - Morten Frank Larsen
Sophie -
Lauren Urquhart
Leitmetzerin - Ulrike Steinsky
Valzacchi -
Karl-Michael Ebner
Annina -
Margarete Joswig
Polizeikommissar - Daniel Ohlenschläger
Haushofmeister bei der
Feldmarschallin - Christian Drescher
Haushofmeister bei
Faninal - Carsten Süss
Notar - Andreas Mitschke
Sänger - Vincent Schirrmacher
Drei adelige Waisen - Birgid Steinberger, Elvira Soukop, Sulie Girardi
Modistin -
Mara Mastalir
Tierhändler - Alexander Pinderak
Wirt -
Roman Sadnik
V ier Lakaien / Vier Kellner:Christopher Hutchinson, Thomas Plüddemann, David Busch, Andreas Baumeister
Leopold - Christoph Kostomiris
Mohammed - Nico Greilhuber


Neuer Rosenkavalier an der Volksoper
(Dominik Troger)

„Der Rosenkavalier“ an der Volksoper? Einer Koproduktion mit dem Theater Bonn ist es zu verdanken, dass der Baron Ochs auf Lerchenau jetzt am Währinger Gürtel seinen Amouren nachgeht.

Oper machen und Oper besuchen ist in Zeiten wie diesen gar nicht so einfach. Nachdem der Staatsoper in den letzten Tagen der Chor abhanden gekommen war (am Freitag spielte man „Carmen“ ohne Chor), konnte nur gehofft werden, dass die Volksoper von solchen groben Kalamitäten verschont bleibt. Selbst hatte man natürlich für einen PCR-Test zu sorgen. Diesbezüglich ist Wien mit „Alles gurgelt“ gut aufgestellt: abgegeben am Freitag vor neun Uhr im Drogeriemarkt des Vertrauens war das Testergebnis nach rund 13 Stunden abrufbar und damit die 48-Stunden-Frist kein Problem. Mit einem froh stimmenden „NICHT NACHGEWIESEN“ konnte man sich am Samstag dann in die Volksoper aufmachen.

Leider ist der Produktion bereits nach der zweiten Vorstellung wegen Erkrankung der Ochs abhanden gekommen: Stefan Cerny wurde durch Franz Hawlata ersetzt, der die Rolle in dieser Inszenierung bereits in Bonn gesungen hat. Wie auf der Website des Online-Merkers zu lesen war, ist Hawlata vor der Vorstellung am 17. November selbst wegen Erkrankung angesagt worden. An diesem Abend gab es keine Ansage. Hawlata hat seinen Ochs zwar im stimmlichen „Schongang“ über die Runden gebracht, spielte aber hervorragend und verlieh der Figur eine starke, wenn auch nur bedingt sympathische Persönlichkeit. Sein Ochs zeigte sich nicht übertrieben derb oder mit überzeichneter Komik, sondern schuf einen Charakter, der großsprecherisch und auf den eigenen Vorteil bedacht, recht aus dem Leben gegriffen war.

Jacquelyn Wagner gab eine jugendliche Feldmarschallin, unterfüttert mit zarter Melancholie, die diesen leichten Sopran silbern umspielt. Die Stimme dürfte nicht allzu groß sein. Auf der Galerie klang ihr Sopran ein wenig schmal, aber sie hat das mit einem stimmigen Rollenportrait wieder wett gemacht – und sie hat sich nicht zu übermäßigem Forcieren verleiten lassen. Sie blieb den ganzen Abend sich und ihrer Stimme treu: eine Feldmarschallin, an der die vergehende Zeit noch nicht ganz so rasch nagt wie sie sich selbst und dem Publikum glauben machten möchte – ein „altes Weib“ hat dieser Marschallin aus dem Friseurspiegel schwerlich entgegenlachen können. Vielleicht war es mehr eine melancholische Ahnung von dem, was das Alter unabänderlich für alle Menschen bereithält? Der Verzicht auf Oktavian wird dadurch ein wenig in die Richtung pragmatischer Lebensplanung gedrängt. Was das für ihr Liebesleben an Konsequenzen haben könnte, darüber ließe sich spekulieren.

Oktavian wurde von der sehr burschenhaft herausgeputzten Emma Sventelius gegeben. Ihr gelang das überzeugende Rollenporträt eines von pubertären Gefühlsnotständen geplagten Jugendlichen, dem es vielleicht noch ein wenig an Entschlusskraft mangelt. Die Inszenierung stärkt diesen Eindruck: Beispielsweise entsteht die Verletzung, die Oktavian dem Ochs im zweiten Aufzug mit seinem Degen beibringt, aus einem Gerangel mit den Bedienten des Barons – laut Libretto sollte sich Oktavian die Lerchenausche Meute aber locker vom Leibe halten können. Die Stimme der schwedische Mezzosopranistin klang ebenfalls schlank, hell und wenig farbgesättigt. Ihr Mariandl im dritten Akt war mir eine Spur zu verhalten.

Die Sophie der Lauren Urquhart war ein blutjunges „Madel“, von der Etikette nur bedingt gezähmt. Auch sie hinterließ in Summe einen guten Eindruck, überzeugte mit erfrischendem Spiel, wenn auch mit einem auf der Galerie ebenfalls etwas schaumgebremst „ansegelnden“ Sopran. Dieser klang in der Höhe noch ein bisschen soubrettig „spitz“ und insgesamt wenig schattiert. Ihr Bühnenvater Faninal wurde von einem zu stark outrierenden Morten Frank Larsen beigestellt. Die Besetzung der vielen kleineren Partien hat so weit entsprochen. Der Sänger des Vincent Schirrmacher fasste die Arie mehr im Sinne Verdis auf und an seinem die Volksoper bis zur Galerie füllenden Tenor konnte man den Lautstärkenunterschied zu den genannten Frauenstimmen gut fest machen.

Was das Orchester betrifft, ist man als Besucher der Staatsoper natürlich sehr verwöhnt. An der Volksoper klang manches „rescher“. Hans Graf am Pult ließ den seligen Strauss’schen Gefühlsmomenten jedoch genug Raum – wobei die Streicher dann ihren sinnlichen Wohlklang verströmen konnten. Graf kann außerdem Walzer, und das ist ja nicht unwichtig. Das Orchester wirkte auf der Galerie im Vergleich zum singenden Personal etwas dominant. Der Gesamteindruck war ein überraschend guter – und die Volksoper, die um die Jahrtausendwende sogar die „Meistersinger“ gestemmt hat, hat nun bewiesen, dass sie auch den „Rosenkavalier“ ansprechend umsetzen kann.

Die Inszenierung von Josef Ernst Köpplinger hat die Handlung in das frühe 20. Jahrhundert verlegt – ob noch Monarchie oder schon 1920er-Jahre war auch anhand der Kostüme schwer zu entscheiden. Mit dem Otto-Schenk’schen-„Jahrhundert-Rosenkavalier“ der Staatsoper kann es die Produktion der Volksoper nicht aufnehmen, aber der erste und der zweite Aufzug (in dieser Reihenfolge) bieten eine akzeptable Alternative. Köpplingers Aussage im Programmheft: „Ich habe einen zu großen Respekt vor Hofmannsthal und Strauss, um ihr Werk auf den Kopf zu stellen. (...) Ich will keinen Preis für die revolutionärste Regie des Jahres.“ klingt ohnehin wie Labsal in den Ohren inszenierungsgeschädigter Opern- und Theaterenthusiasten.

Der dritte Aufzug vergreift sich dann ein wenig im Etablissement. Seltsam, dass in dieser Lokalität, die stark nach einem Caféhaus und nicht nach einem Gasthaus aussieht, die Anbandelei des Barons mit Mariandl vor den Blicken anderer Besucher stattfindet: zumindest ein Herr mit Bart scheint sich sehr für das Geschehen zu interessieren und macht Notizen. Dieses stimmungslose Ambiente entzaubert außerdem den Auftritt der Marschallin.

Großflächige, drehbare Kulissenelemente sind ein Grundelement des Bühnenbildes (Johannes Leiacker) und schließen es, von rechts beginnend (Blick auf die Bühne) schräg nach hinten ab. Sie sorgen zudem sehr praktikabel für wechselndes „Hintergrunddekor“. Die Auf- und Abtritte der Mitwirkenden zwischen diesen „Säulen“ wirken nicht immer schlüssig. Im zweiten Aufzug steht ein großer Bücherschrank davor, vollgeräumt mit alten Schwarten. Sie eignen sich gut dazu, um von Domestiken abgestaubt zu werden. Der erste Aufzug spielt im Schlafzimmer der Feldmarschallin mit einem Bett als wichtigstem „Blickfang“.

Die Herausforderung, wenn man den „Rosenkavalier“ aus seiner Handlungszeit löst, liegt immer darin, die hierarchische Gesellschaftsstruktur zu wahren. Und wenn als Argument für eine Verlegung der Handlungszeit auf den Anachronismus des Walzers verwiesen wird: Die Handlung beruht nun einmal auf dem soziokulturellen Kontext in der Mitte des 18. Jahrhunderts. Der rekonstruktiven Kraft des Hofmannsthal’schen Entwurfes ist nach meiner Überzeugung schwer mit szenischen „Modernisierungen“ beizukommen. Köpplinger ist das über weite Strecken zwar recht gut gelungen, doch im dritten Aufzug hat es nicht mehr gepasst.

Das Haus war (grob geschätzt) etwa zu einem Drittel gefüllt und das Publikum spendete mehrminütigen, dankbaren Applaus. Es handelte sich um die letzte Aufführung des Werkes an der Volksoper in dieser Saison, weil die Vorstellung am 23. November wegen des Lockdows ausfällt.