DIE FRAU OHNE SCHATTEN
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Wiener Staatsoper
14. Oktober 2023
Wiederaufnahme


Dirigent: Christian Thielemann

Der Kaiser - Andreas Schager
Die Kaiserin - Elza van den Heever
Die Amme - Tanja Ariane Baumgartner
Barak - Michael Volle
Sein Weib -
Elena Pankratova
Geisterbote - Clemens Unterreiner
Hüter der Schwelle des Tempels - Maria Nazarova
Stimme des Falken - Maria Nazarova
Stimme eines Jünglinge - Jörg S
chneider
Stimme von oben - Stephanie Maitland
Der Einäugige - Martin Hässler
Der Einarmige - Evgeny Solodovnikov
Der Bucklige - Thomas Ebenstein
Dienerinnen - Ileana Tonca, Anna Bondarenko, Szilvia Vörös
Stimmen der Ungeborenen - Ileana Tonca, Miriam Kutrowatz,
Stephanie Houtzeel, Szilvia Vörös, Noa Beinart

Solostimmen - Ileana Tonca, Miriam Kutrowatz, Stephanie Houtzeel,
Szilvia Vörös, Noa Beinart, Stephanie Maitland


„Schwelgerische Tondichtung

(Dominik Troger)

Wiederaufnahme der „Frau ohne Schatten“ im Haus am Ring: Christian Thielemann in Wien und das Publikum voll großer Erwartung – es wurde nicht enttäuscht. Nach der Aufführung wurde dem Dirigenten die Ehrenmitgliedschaft der Wiener Staatsoper verliehen.

Im Jahr 1999 wurde das Wiener Publikum mit einer Neuproduktion der „Frau ohne Schatten“ beglückt, in der Robert Carsen dem Werk das Märchen im Rahmen eines „psychoanalytischen Exorzismus“ ausgetrieben hat. 2019 erfolgte mit der Inszenierung von Vincent Huguet die „Restauration“, in dem zumindest der „Glaube“ an das Märchen wachgehalten wurde (ohne es aber in der Ausstattung in ein dekoratives Gewand zu kleiden). Carsens Inszenierung hat damals zu einer heftigen, in den Medien und in Leserbriefen eifrig ausgetragenen Diskussion über das sogenannte „Regietheater“ geführt, Huguets Versuch sich der „Frau ohne Schatten“ anzunähern blieb unbedeutend und weitgehend unkommentiert. Vor allem war er handwerklich zu schlecht ausgeführt, um die kleine Schar der „Frosch“-Enthusiasten in große Aufregung zu versetzen. Inzwischen wurde szenisch ein wenig adaptiert. Den Thron des versteinerten Kaisers hat man meines Wissens schon in der Reprise im Herbst 2019 entfernt. Jetzt liegt der Kaiser mit einem Laken bedeckt zwischen den seltsamen „Weltkriegstoten“ am Boden und wird „wiederbelebt“. Eine Notlösung, mehr nicht. Aber wen hat an diesem Abend die Inszenierung interessiert?

Zwar wurde in der ersten Pause noch eifrig darüber diskutiert, ob die drei, sich von „softig“ bis zu einem kantigen Fortissimo steigernden Orchesterschläge des Keikobad-Motivs am Beginn des ersten Aufzugs das räumliche Herannahen des Geisterboten veranschaulichen sollen oder ob es sich um einen Thielemannschen „Manierismus“ handelt (dieser Unterschied zur Partitur, die in der ff-Vortragsbezeichnung keine Differenzierung vorsieht und den Beginn „langsam und schwer“ gespielt haben möchte, war markant), aber spätestens in der zweiten Pause war man sich schnell einig, dass das Orchester an diesem Abend ganz einfach Genuss bereitete, einen sehr großen Genuss sogar. Die detailreich strukturierte, räumliche Auffaltung von Musik, die sich zu einer fast physisch spürbaren „Klangkulisse“ ausformte, zu einem aus Dutzenden Instrumenten gewebten, mit Ornamenten reichhaltig verzierten „Gobelin“, von Falken durchzogen und von heimlichen Quellen und Keikobads erhaben-düsterer Gegenwart, war ein rares Erlebnis: dieses sich zu einem majestätisch-drohenden Tongebirge aufschichten, um dann wieder in gefühlvollen, mit viel Empfindung angereicherten Streicherpassagen auszuruhen. Wer würde nicht in diesem goldenen Klang ertrinken mögen, die eigene Seele gleichsam zur philharmonisch gestrichenen Cellosaite verdichtet, ganz eingetaucht und musikübergossen Zerbinettas Credo folgend: „hingegeben war ich stumm, stumm ...“

Weniger poetisch abschweifende Geister werden den geschilderten Eindruck vielleicht mit einem „Klangbad“ gleichsetzen dem sich das Publikum hingab, sich daran labend, der eigentlichen musiktheatralischen Verdichtung des Stücks aber ein wenig entzogen beziehungsweise sich ihr durchaus mit großer Lust entziehend: Hofmannsthals Libretto unter Musik begraben – oder nicht sogar dadurch gerettet? Ich gebe zu, dass mir die Handlung der „Frau ohne Schatten“ zunehmend „Probleme“ bereitet. Im Nachhinein betrachtet hatte Robert Carsen so unrecht nicht, weil er den stark restaurativen Gehalt des Librettos auf eine individuelle Problemstellung hingebogen hat: auf den Kinderwunsch der Kaiserin, ohne eine ideologisch gestaltkräftige Metaphysik anzurufen, in der eine Unzahl ungeborener Kinder mit göttlichem Beistand gesegnet seelenwandlerisch ans Licht und ins Leben drängt. Vielleicht war es also ohnehin von Vorteil, wenn sich das Drama der „Frau ohne Schatten“ an diesem Abend mehr in eine schwelgerische „Tondichtung“ verwandelt hat. Und was für ein Schwelgen! Die Mehrheit des Publikums war hingerissen, verzaubert, verführt, gerührt von dieser in allen Farben schillernden Interpretation Strausscher Klangextase und dankte am Schluss mit einer riesigen Ovation dem Dirigenten und seinen orchestralen Mitstreitern.

Auch wenn Christian Thielemann sängerfreundlich dirigierte, stand die gesangliche Darbietung im Schatten des großartig aufspielenden Orchesters. Und für die Sängerinnen und Sänger ging es natürlich nicht nur darum, sich einfach „Gehör“ zu verschaffen, sondern auch das „Drama“ selbst spürbar zu machen. Dabei sind sie zwar differenziert vorgegangen, aber insgesamt betrachtet kam die Besetzung an frühere Aufführungen nur bedingt heran, Amme, Kaiserin, Färberin waren womöglich etwas zu leicht besetzt.

Die Amme der Tanja Ariane Baumgartner entwickelte wenig dämonische Farben, ohne mephistophelische Abgründe im Ränkeschmieden, überzeugte in ihrer aussichtslosen Verzweiflung im dritten Aufzug. Von Elena Pankratova hätte ich mir mehr an stimmlicher Durchschlagskraft gewünscht, im Verlauf der Aufführung schien nicht nur sie mit stimmlichen Ermüdungserscheinungen zu kämpfen. Michael Volle war ein mit reichtimbriertem Bariton menschlich fühlender Barak, im dritten Aufzug schon etwas gröber zeichnend. Die Kaiserin der Elza van den Heever verfügte über einen relativen leichten, unsteten Sopran, eine schon verletzbare, etwas fragil wirkenden Stimme. Heever zog aber Vorteile daraus, weil sie die Empathie der Kaiserin glaubhaft vermitteln konnte, menschlich und berührend im Ausdruck. (Das Melodram im dritten Aufzug wird in dieser Produktion nicht gestrichen. Ob das ein Vorteil ist, darüber könnte man lange diskutieren.) Andreas Schager sorgte an diesem Abend mit seinem kräftigen, hellen Tenor für einen gesanglich überraschend ausladend-schwerfälligen Kaiser, Clemens Unterreiner gab den Geisterboten.

Nach der Aufführung wurde Christian Thielemann auf offener Bühne die Ehrenmitgliedschaft der Staatsoper verliehen – samt Ehrenurkunde, Ehrenring und einem Abendplakat von „Cosi fan tutte“, seiner Debütvorstellung an der Staatsoper im Jahr 1987. Mit Ioan Holender, Dominque Meyer und Bogdan Roscic hatten sich sogar drei Staatsoperndirektoren auf der Bühne versammelt, um Thielemann zu würdigen. Der Geehrte bedankte sich bei allen Mitarbeitern der Staatsoper und ganz besonders beim Orchester für die gute Zusammenarbeit und das gute Arbeitsklima. Er und der Staatsoperndirektor deuteten positive Gespräche für zukünftige Projekte an, ohne dabei konkret zu werden.

Der Applaus für Thielemann war gewaltig, er wurde schon vor dem ersten Aufzug und nach den beiden Pausen mit starkem Beifall empfangen. Auch die Sängerinnen und Sänger durften sich an starkem Applaus erfreuen. Die Aufführung endete knapp vor halb Elf, Applaus und Ehrung sorgten dafür, dass das Publikum erst gegen 22.50 Uhr das Haus verließ.