DIE FRAU OHNE SCHATTEN
Aktuelle Spielpläne
Forum
Opernführer
Chronik
Home
Richard-Strauss-Portal

Wiener Staatsoper
Premiere

25. Mai 2019


Dirigent: Christian Thielemann

Regie: Vincent Huguet
Bühnenbild: Aurélie Maestre
Kostüme: Clémence Pernoud
Licht & Video: Bertrand Couderc

Der Kaiser - Stephen Gould
Die Kaiserin - Camilla Nylund
Die Amme - Evelyn Herlitzius
Barak - Wolfgang Koch
Sein Weib -
Nina Stemme
Geisterbote - Sebastian Holecek
Hüter der Schwelle des Tempels - Maria Nazarova
Stimme des Falken - Maria Nazarova
Stimme eines Jünglinge - Benjamin Bruns
Stimme von oben - Monika Bohinec
Der Einäugige - Samule Hasselhorn
Der Einarmige - Ryan Speedo Green
Der Bucklige - Thomas Ebenstein
Dienerinnen - Ileana Tonca, MariamBattistelli, Szilvia Vörös
Stimmen der Ungeborenen - Ileana Tonca, Mariam Battistelli,
Virgine Verrez, Szilvia Vörös, Bongiwe Nakani

Solostimmen - Ileana Tonca, Mariam Battistelli, Virgine Verrez,
Szilvia Vörös, Bongiwe Nakani, Zoryana Kushpler

Die Stimmen der Wächter wurden am Programmzettel nicht ausgewiesen.


„Die Jubiläums-Premiere

(Dominik Troger)

1869-1919-1999-2019 – 150 Jahre Opernhaus am Ring, 100 Jahre „Frau ohne Schatten“, 20 Jahre seit der letzten Neuinszenierung: Wer könnte sich der Magie solcher Jubiläumszahlen verschließen? Die Atmosphäre im Haus war fokussiert, die Anzahl der anwesenden Habitués so hoch wie schon lange nicht mehr: eben ein Abend von Bedeutung.

Der monarchische Glanz der Hauseröffnung vor 150 Jahren ist naturgemäß verblasst, den Kaiser gibt es, wie Direktor Dominique Meyer in seiner kurzen Ansprache vor der Vorstellung anmerkte, nur mehr auf der Bühne. Meyer gedachte dem tragischen Schicksal der beiden Architekten, die dieses Haus errichtet haben, er gedachte der Direktoren des Hauses, der Dirigentinnen und Dirigenten, der Sängerinnen und Sänger, der Musikerinnen und Musiker und der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter – lebende und verflossene. Er schien selbst ein wenig innerlich bewegt, fühlte vielleicht schmerzlich seinen eigenen, bevorstehenden Abschied von der Wiener Staatsoper, der er noch ein Jahr lang wird vorstehen dürfen.

Meyer nützte die kurze Ansprache, um der ganzen Kunstgattung Oper und dem Haus am Ring im Besonderen eine günstige Zukunft zu wünschen, und er begrüßte seinen anwesenden Nachfolger Bodgan Roscic und den designierten Musikdirektor Philippe Jordan. Ein dezenter „moralischer“ Appell erging auch an das Publikum. Es solle, sinngemäß zitiert, der künstlerischen Gegenwart eine Chance geben und nicht nur in Erinnerungen schwelgen.

„'Die Frau ohne Schatten' hat ihre Schattenseite: ihr Buch.“ Mit diesen Worten beginnt Julius Korngold in der Neuen Freien Presse vom 11. Oktober 1919 seinen Bericht zur Uraufführung. Und später ergänzt er: „Der Aufführung türmt das komplizierte Buch einen Berg von Schwierigkeiten.“ Hundert Jahre später hat sich nichts daran geändert. Versuche, „Die Frau ohne Schatten“ zu interpretieren, füllen Regalmeter in Bibliotheken, und die Wiener Staatsoper selbst hat mit der Vorgängerinszenierung von Robert Carsen (1999) diesen Regalmetern noch die Abteilung „Psychoanalytische Interpretationsversuche samt Opernauftritt von Dr. Freud” hinzugefügt.

Die aktuelle Neuinszenierung von Vincent Huguet versucht, sich unter diesen Regalmetern durchzuschwindeln und die Oper trotzdem nicht wie ein „klassisches Märchen“ zu inszenieren – zumindest nicht in orientalisch-üppiger Opulenz. Die Bühne wird von einer einfallslosen Lichtregie beherrscht (1), der Färber scheint nur blaue Farbe zu kennen, ein mächtiges Bühnengebirge droht düster als Keikobads „Wohnsitz“. Nicht einmal im Finale gibt es „mehr Licht“: Immerhin teilen sich die Bühnenberge und die Ungeborenen treten schemenhaft mit kleinen Kerzchen auf, die munter flackern.

Den Beginn macht eine luftig auf Stelzen gebaute Pagode, im Hintergrund der zuerst nächtlich verborgene Steinwall des Gebirges, zu dessen Füßen dann der Färber seine karge Wohnstatt haben wird. Dieser erste Aufzug war noch einigermaßen gut durchgearbeitet, etwa die Szenen zwischen Amme und der erwachenden Kaiserin, zwischen Färber und Färberin und das Umgarnen der Färberin durch die Amme. Im zweiten Aufzug häuften sich die handwerklichen und interpretatorischen Missgeschicke und Inkonsequenzen: der szenisch missglückte Abgang des splitterfasernackten Jünglings etwa oder die Weltkriegstoten (?) in der Szene vor dem Falknerhaus, an denen die Kaiserin offenbar ihr Mitgefühl „lernt“ und wo sie sich eifrig mit „Menschendunst“ kontaminiert.

Der dritte Aufzug war szenisch von torsohafter Natur, vor allem der Wechsel der Schauplätze blieb unbewältigt. Es ist ein schlechtes Zeichen, wenn eine Figur an die Rampe geschickt wird und hinter ihr ein Zwischenvorhang fällt – auch wenn über diesen dann das Wasser des Lebens als Projektion „rauscht“. Auch der bühnentechnische Umgang mit dem Thron des versteinerten Kaisers war ungeschickt. Manchmal passierten Dinge im Hintergrund, die offenbar von Bedeutung waren: Hat ein Double der Kaiserin der Färberin ein Kind aus der Wiege gestohlen? Und auch weitere Fragen harren der Antwort: Welche Bezüge knüpfen sich an die Stoffpuppe, mit der im ersten Akt hantiert wird? Warum wird in der ersten Szene des dritten Aktes, der Vorhang so wenig angehoben, dass man seitlich von den Rängen nur mehr die ersten Meter Bühnentiefe einsehen kann? Und warum spielte der „Schatten“ optisch keine Rolle?

Wenn die Szene keine Wunder vollbringen kann, dann muss es die Musik (diese Meinung hat bereits Julius Korngold in seiner oben erwähnten Uraufführungskritik geäußert). Das Orchester unter Christian Thielemann schwelgte in wohldosierter Pracht, symphonisch breit und mit gebotener Lautstärke in den Zwischenspielen, ansonsten sängerfreundlich, vom Tempo mehr getragen, mit impressionistisch anmutendem, glitzerndem Farbenspiel. Die innere Spannung kleinteiliger Instrumentation, das Gefühl für das subtil-nervöse, theatralisch-deklamatorische Element dieser Musik, das schon in den ersten Takten der Oper nach den mächtigen „Akkordschlägen“ Keikobads die Szene zwischen der Amme und dem Geisterboten befeuert, habe ich vermisst. Das Werk wurde ohne Striche gegeben.

Die Bühne wurde vor allem von Evelyn Herlitzius beherrscht, die in Spiel und Gesang wie immer sehr expressiv, die Zwiespältigkeit der Amme und ihre Abgründe ausgekostet hat. Ob man in Herlitzius den „dramatischen Charakter-Mezzosopran“ erkennt, wie ihn das Programmheft zur Aufführung beschreibt, bleibe dahingestellt. (2) 2012 hat sie an der Staatsoper noch die Färberin gesungen. Dass die Sängerin ihren Totaleinsatz seit Jahren stimmlichen Auszehrungserscheinungen „abringt“, ist bekannt. Camilla Nylund war mit rotem Kleid der einzige optische „Farbtupfen“ auf der Bühne. Sie lieh der Kaiserin ihren mattglänzenden silbernen Sopran, der in der Höhe und unter Beanspruchung zu eng und zu farblos klang. Nylund gestaltete auch den dritten Aufzug mehr lyrisch als dramatisch. Das gab ihrer Kaiserin einen sehr menschliche weniger eine heroischen Natur und passte gut zu ihrer Stimme und ihrer gesamten Bühnenerscheinung. Im Gegensatz zur expressiven Amme bewahrte sich Nylunds Kaiserin im Sinne des Stücks eine innere, sich zu positiven Kräften hinwendende Haltung.

Stephen Gould sang den Kaiser kraftvoll mit seinem baritonal fundierten Heldentenor, der aber ob der hohen Tessitura nicht so wirklich ins Leuchten kam. Er trug einen Mantel mit einem Kragen aus Pfauenfedern. Wolfgang Koch gab einen gesanglich sicheren, aber recht einförmigen, von seinem Schicksal wenig herausgefordert wirkenden Barak. Nina Stemme ließ als Färberin ihren dramatischen Sopran leuchten, stimmlich vielleicht noch ein wenig vorsichtig und abwägend bei ihrem Rollendebüt. Sebastian Holecek reüssierte als Geisterbote vor allem im dritten Aufzug.

Vor dem dritten Akt gab es viel Applaus für Christian Thielemann – und einen einzelnen Buhruf. Beim Schlussvorhang wurden die Mitwirkenden bejubelt, gar nicht so viele Missfallensbezeugungen mischten sich in den schaumgebremsten Beifall für das Regieteam. Immerhin fühlte man sich bei einem Schlussapplaus von rund 20 Minuten Länge sogar an alte Opernzeiten erinnert. (Aber es soll ja die Gegenwart nicht an der Erinnerung gemessen werden – wie wenn das so einfach wäre ...)

(1) Als Tipp für den Regisseur bzw.  Lichtdesigner: Das Libretto benennt viele von Hofmannsthal geschaute Lichteffekte. Einige Beispiele: Gleich am Beginn schildert die Amme ein Lichtphänomen, das der Ankunft des Geisterboten vorangeht, der Geisterbote selbst ist von blauem Licht umflossen, im dritten Aufzug glüht die Statue des Kaisers im stärksten Licht, das Wasser des Lebens ist „golden“, das Schlussbild zeigt eine schöne Landschaft mit einem goldenen Wasserfall, Brücke etc.
(2) Erich Seiter: Die Gesangsstimmen in Die Frau ohne Schatten. In: Programm zur Aufführung. Wien 2019. S. 101