DIE FRAU OHNE SCHATTEN
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Wiener Staatsoper
Wiederaufnahme

17. März 2012


Dirigent: Franz Welser-Möst
Inszenierung & Lichtregie: Robert Carson
Bühnenbild & Kostüme: Michael Levine
Choreinstudierung: Ernst Dunshirn

Der Kaiser - Robert Dean Smith
Die Kaiserin - Adrianne Pieczonka
Die Amme - Birgit Remmert
Barak - Wolfgang Koch
Sein Weib -
Evelyn Herlitzius
Geisterbote - Wolfgang Bankl
Hüter der Schwelle des Tempels,
Stimme des Falken - Chen Reiss
Stimme eines Jünglinge - Norbert Ernst
Stimme von oben - Zoryana Kushpler
Der Einäugige - Adam Plachetka
Der Einarmige - Alexandru Moisiuc
Der Bucklige - Norbert Ernst
Erster Wächter - Dan Paul Dumitrescu
Zweiter Wächter - Marcus Pelz
Dritter Wächter - Clemens Unterreiner
Erste Dienerin - Ileana Tonca
Zweite Dienerin - Caroline Wenborne
Dritte Dienerin - Zoryana Kushpler
Erste Stimme der Ungeborenen - Ileana Tonca
Zweite Stimme der Ungeborenen - Caroline Wenborne
Dritte Stimme der Ungeborenen - Stephanie Houtzeel
Vierte Stimme der Ungeborenen - Nadia Krasteva
Fünfte Stimme der Ungeborenen - Monika Bohinec
Erste Solostimme - Ileana Tonca
Zweite Solostimme - Caroline Wenborne
Dritte Solostimme - Stephanie Houtzeel
Vierte Solostimme - Nadia Krasteva
Fünfte Solostimme - Monika Bohinec
Sechste Solostimme - Zoryana Kushpler


„Psychoanalyse einer Kaiserin

(Dominik Troger)

Die Staatsoper wagt sich nach vielen Jahren wieder an die „Frau ohne Schatten“ und hat zu diesem Zweck Robert Carsens nicht unumstrittene Produktion von 1999 reanimiert. Aus heutiger Sicht darf diese Inszenierung als Meilenstein gelten – auch wenn die Vorbehalte deshalb nicht geschwunden sind.

Die Premiere endete am 11. Dezember 1999 mit einem Buhorkan für das Regieteam. Staatsoperndirektor Ioan Holender soll damals (laut Kronen Zeitung) auf der Premierenfeier gesagt haben: „Ich weiß, dass ich jetzt nicht alle glücklich gemacht habe - mich habe ich aber sehr glücklich gemacht!“ Die Zeitungskritiken waren damals wenig geneigt, die Glücksgefühle des Staatsoperndirektors zu teilen. Da war von einer „Bruchlandung“ zu lesen (Kronen Zeitung). Wilhem Sinkovicz schrieb in der Presse: „Manche Regisseure sind dem Geheimnis der Kunst gegenüber mindestens so hilflos wie die Jünger Sigmund Freuds gegenüber der Seele des Menschen." Franz Endler empfahl im Kurier den Besuchern, bei der Aufführung die Augen fest geschlossen zu halten. Peter Vujica formulierte im Standard eine seiner launig-boshaften Überschriften: „Viel Lärm auf der Diät-Station". Interessanter Weise sprach gerade die katholische Wochenzeitschrift Die Furche von einem „reinigenden Psychotrip“ und unterstellte dem Premierenpublikum „geistige Erstarrung“.

Für viele Premierenbesucher war diese Inszenierung ein „Sündenfall“ – der Sprung von der Märchenwelt der alten Produktion (Herbert von Karajan, Günther Schneider-Siemssen, Premiere 1964) in die „moderne“ Psychoanalytik viel zu weit. Zudem verbanden sich mit dieser „alten“ Inszenierung unvergessene musikalische Erinnerungen – ein Verweis auf die Wiederaufnahme 1977 unter Karl Böhm soll genügen.

Aus heutiger Sicht ist dieser Entrüstungssturm vor allem im historischen Rückblick begreifbar. Vielleicht auch deshalb, weil die stark restaurative Botschaft des Werkes in unserem heutigen Zeitalter noch schärfer zu Tage tritt. Regisseur Robert Carsen hat 1999 mit der quasi Verwissenschaftlichung des Geisterboten („Dr. Freud“) dieser Klippe die Spitze abgebrochen, und mit einer detailreich ausgearbeiteten „Psychoanalyse“ der Kaiserin dem unbestimmt-bedrohlichen, Elementarkräfte durchwirkten Mythos jede Manifestationsmöglichkeit genommen. Man denkt viel eher an einen Psychokrimi, vor allem bei dem großflächigen Video im zweiten Aufzug, wenn die Kaiserin dem Tod ihres Vaters (?) beiwohnt. Carsen hat damit aber auch Annäherungen an die etwas schwülstige, mit Symbolen überfrachtete Esoterik vermieden, die man dem Hofmannsthal‘schen Libretto nicht absprechen kann. So wurde von ihm das aus archetypischen Urmotiven gespeiste Märchen domestiziert und als buntes Muster in einen mit orientalischen Motiven geknüpften Teppich eingewebt, der als „Bettvorleger“ dient. Dieser wirkt wie eine Erinnerung an die Märchenzeit, ist selbst aber zu kraftlos, um noch als „fliegender Teppich“ die Phantasie zu beflügeln.

Es ist nicht leicht, eine passende Besetzung für „Die Frau ohne Schatten“ zu finden. Die gesanglichen Anforderungen sind hoch und ressourcenfordernd. Vergleiche mit der Vergangenheit sind verlockend – und für das Hofmannsthal’sche und Strauss‘sche Pathos fehlt heutzutage vielleicht schon das richtige Gespür. In ihrer stimmlichen und darstellerischen Expressivität war Evelyn Herlitzius an diesem Abend aber nicht zu überbieten. Ihre Färberin hat – auch wenn man einen Vergleich über mehrere Jahrzehnte „Frosch“ an der Wiener Staatsoper riskiert – eine in dieser Rolle noch kaum erlebte Emotionalität und Hingabe spüren lassen. Das betrifft sowohl ihr selbstbewusst artikuliertes Emanzipationsstreben als auch diese zunehmende Verunsicherung angesichts der mit der neuen „Freiheit“ verbundenen zunehmenden existentiellen „Exponiertheit“. Dass man der Stimme viel zu oft viel zu deutlich anhörte wie schonungslos die Sängerin sie in „Dienst“ stellte, war der Wermutstropfen, der die Faszination ihres Auftritts trübte.

Birgit Remmert war durch die etwas blasse Zeichnung der Amme, die in dieser Inszenierung dem medizinischen Personal zugerechnet wird, von vornherein mit einer schwierigeren Ausgangslage konfrontiert. Leider hat ihr stark beansprucht klingender Mezzo diesen Nachteil nicht aufwiegen können. Adrianne Pieczonkas Kaiserin atmete viel Strauss’schen Wohlklang und blieb auch stimmlich meist im „grünen Bereich“. Eindringlich gelang ihr die Tempel-Szene mit dem „Wasser des Lebens“. Diese zauberflötenartige Probensituation erfüllte sie mit menschlichem Ringen und menschlicher Wärme.

Wolfgang Koch sang einen sehr guten Barak, dem im Timbre noch etwas mehr an sonorer „Mitmenschlichkeit“ zuwachsen könnte. Robert Dean Smith nahm sich der heiklen Partie des Kaisers an: er schlug sich gut, klang phasenweise – auch wegen seiner ungünstigen Platzierung weiter im Bühnenhintergrund – etwas leise. Seine Stimme hatte einen etwas matten Klang, das nahm der Figur einiges von ihrem Reiz. Sie blieb, auch wegen der ohnehin undankbaren Dramaturgie, die ihr im Rahmen der Geschichte zukommt, ein wenig statistenhaft.

Das Orchester unter Franz Welser-Möst sorgte für viele Höhepunkte: die schwierige Partitur erklang blank geputzt und nicht nur mit analytischer Genauigkeit, sondern auch mit Strauss’schem Schmelz umgesetzt – vor allem die Streicher (auch solistisch) spielten groß auf. Der im Werk angelegte Gegensatz zwischen kammermusikalischen Elementen und großen Orchesterausbrüchen war deutlich herausgearbeitet und sorgte für strukturelle Klarheit. Allein schon die in liebevoller Detailarbeit zu einem quasi „natürlichen“ vokalen Leben erweckten Falkenrufe waren ein Schmankerl für sich. Allerdings ließ die Spannung im zweiten und dritten Aufzug stellenweise deutlich nach – und dem Finale fehlte es etwas an sich aufschwingender, Humanitätsgefühle evozierender Energie. An die mythischen, „geisterhaften“ Urgründe des Werkes streifte der Abend weder auf der Bühne noch im Orchester an.

Der Applaus dauerte rund 12 Minuten lang. Evelyn Herlitzius wurde vor Adrianne Pieczonka zum Publikumsliebling gekürt, sehr starken Beifall gab es auch für das Orchester und für den Dirigenten.