DIE FRAU OHNE SCHATTEN
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Wiener Staatsoper
Premiere, 11.12.1999

Aufführung "In Memoriam Erwin Ringel 1921-1994"
Dirigent: Giuseppe Sinopoli
Inszenierung & Lichtregie: Robert Carson
Bühnenbild & Kostüme: Michael Levine
Choreinstudierung: Ernst Dunshirn

Der Kaiser - Johan Botha
Die Kaiserin - Deborah Voigt
Die Amme - Marjana Lipovsek
Barak, der Färber - Falk Strukmann
Sein Weib - Gabriele Schnaut
Geisterbote - Wolfgang Bankl
Der Einäugige - Geert Smits
Der Einarmige - Peter Köves
Der Bucklige - Herwig Pecoraro

Diese Produktion zählt sicher zu den interessantesten der letzten Jahre. Die Entmythisierung der "Frau ohne Schatten" hat dem Werk aber leider auch viel Substanz gekostet.
(Dominik Troger)

Doch kann man den einseitigen Blick auf ihren psychotherapeutischen Gehalt nicht unbedingt als Themaverfehlung werten. 100 Jahre "Traumdeutung" fordern zu solche "Stellungnahmen" nur zu deutlich heraus. Insoferne ist die Operation gelungen. Die eklatanten Schwächen der Inszenierung vor allem am Schluss zeigen jedoch, dass auch die Psychoanalyse dort an ihre Grenzen stößt, wo die Transzendenz beginnt. Aber das ist bekanntlich nichts Neues.

Erste Erfahrung: Ein Geisterbote der Sigmund Freud aehnlich sieht. Die Amme ist vielleicht die Anna Freud? Jedenfalls scheint sie die Kaiserin zu therapieren. Schleppt die ganze Zeit eine Mappe mit der kaiserlichen Krankengeschichte herum. Blättert darin. Die Kaiserin hat ueberhaupt Wahnvorstellungen und einen Vaterkomplex. Eine überdimensional große Videoeinspielung verdeutlicht im zweiten Aufzug das psychische Problem der Kaiserin. Etwas ist mit ihrem Vater, der krank im Bett liegt, ein Wasserglas fällt herunter. Er stirbt, sie hat das Gefühl, an seinem Tod schuld zu sein. Oder handelt es sich um einen verdrängten sexuellen Übergriff? Es dauert jedenfalls drei Stunden bis der Kaiserin geholfen wird. Wenn endlich das "Wasser des Lebens" vom Nachtkasterl rieselt, wird das Vaterproblem geloest. Unvermutet kommt der Kaiser bei der Tür herein. Ihr Mann, der drei Tage weg war, irgendwo, nur nicht auf der Jagd. Ins gutbürgerliche Zimmer kehrt wieder eitle Wonne ein. Läppisches Liebesgeflüster. Die psychotische Krise der Kaiserin ist vorüber. Faerber und die Faerberin werden in das psychotische Krankheitsbild eingeschlossen. Die Inszenierung deutet eine Verschmelzung von Kaiserin und Färberin an, als ein Art von abgespaltenem Ich. Das Zimmer der Kaiserin öffnet sich im ersten Akt zu einem Spiegelbild, das ist die Behausung der Färber, die "Menschenwelt". Aber was macht der Barak dabei? Repräsentiert er die unausgelebten sexuelle Wünsche der Kaiserin? Im Pausenfoyer wurde viel analysiert. Es war wie Rätselraten. Die Färberszenen und der Schluss offenbarten aber auch die Inhomogenität dieses Regiekonzeptes. Wohin wirklich mit dem Barak? Und wenn der Kaiser und Kaiserin sich wiedergefunden haben, was tun mit dem "weltenversöhnenden" Schluss"? Warum lässt Carsen da auf einmal eine ganze Komparserie "Ungeborener" aufmarschieren, die mit ihrem hilflos scheinenden Geschmuse die ganze Radikalität einer therapierten Frau ohne Schatten untergraben?
Aber die Therapie fand leider auch im Orchestergraben statt. Und so wie auf der Bühne ein
Perserteppich als Bettvorleger die letzte Erinnerung an eine mythische, märchenhafte Zeit wachhielt, war es das klanglich wunderbar aufspielende Orchester, dass einen an diese vielgestaltige, ornamental ausgefeilte "Frau ohne Schatten"-Partitur erinnerte. Denn so, wie der Therapeut seinem Klienten gegenüber volle emotionale Distanz zu wahren hat, folgte Guiseppe Sinopoli den Pfaden eines Richard Strauss mit wissenschaftlicher Akribie, aber ohne Überzeugungskraft. Hätte er sich doch ein wenig sein jugendliches Feuer bewahrt, mit dem er einst an diesem Haus den jungen Verdi zu stürmischem Leben erweckt hat. Als besonders schmerzlichen Mangel musste man diese Leidenschaftslosigkeit im dritten Aufzug empfinden, wo die dämonischen orchestralen Ausbrüche, inspiriert von Keikobads Naturgewalt, dem Zuhörer richtiggehend vorenthalten wurden. Diese Entmythisierung der Partitur führte dazu, dass der Orchesterpart nahezu die Formen eines Stenogramms annahm, mit dem die Krankengeschichte der Kaiserin mehr flüchtig begleitet wurde, wie der mitschreibende Stift eines Therapeuten. Insoferne war es natürlich nur konsquent, aber eben nicht gerade sehr inspirierend. Zum Glück konnte sich das Sängerensemble über diese von Inszenierung und Dirigat vorgegebenen Konventionen hinwegsetzen. Deborah Voigt, Gabriele Schnaut, Johan Bota, Falk Struckmann und Marjana Lipovsek verhalfen dieser "Frau ohne Schatten"-Premiere zu ihrem eigentlichen Erfolg.
Blieb also neben ziemlich ungeteilter Freude über die sängerischen Leistungen am Schluss ein wahrer Buh-Orkan für die Regie (sogar gutsituierte ältere Herren beugten sich über die Galeriebrüstung, um sich heiser zu schreien), der aufzeigte, wie polarisierend Oper sein kann. Ob freilich das, was für eine Premiere passt und für Gesprächsstoff sorgt auch wirklich für das Repertoire taugt, steht auf einem anderen Blatt. Doch es scheint, als ob man in Zeiten kommerzieller Prämissen ohnehin nur noch darauf schauen kann, dass um die Aufführung seltener gespielter Werke möglchst viel Wind gemacht wird. Man kann sie dann ein paar Mal vor vollem Haus in Szene setzen, um sie daraufhin für Jahre wieder in der Versenkung verschwinden zu lassen...

"Szenische Attacke auf die Frau ohne Schatten an der Wiener Staatsoper. Viel Lärm auf der Diät-Station" titelte im Standard (13.12.1999) Peter Vujica. Vujica hat zwar grundsätzliche Bedenken, was das Libretto betrifft "schwulstreich formulierte szenische Allerweltsfabel" und "Second-Hand-Beauty", aber er stellt auch fest, dass "die aktuelle Szenographie mit nichts weniger anzufangen weiß als mit Schönheit - aus welchen Händen auch immer". Sinopoli verwechselt für ihn "Intensität mit Lautstärke". Viel Lob für die Sänger mit Abstrichen bei Falk Strukmann und Marjana Lipovsek. Und: "Das Schlussbild gleicht einer Stellprobe."

Besonders interessant, dass gerade Michael Krassnitzer in der katholischen Wochenzeitschrift "Die
Furche" (Nr. 50/16.12.1999) diese Premiere als "reinigenden Psychotrip" empfand, was für ihn zum "genialen Regietheater-Wurf" wird. Lob gibt es von Krassnitzer auch für den Staatsoperndirektor, weil er "bei der Wahl des Ressigeurs auf die geistige Erstarrung des erwartungsgemäß wütend buhenden Premierenpublikums keine Rücksicht" genommen habe.

Franz Endler im Kurier meinte "Mit Professor Freud geht es auch nicht". Und er empfiehlt bei der Aufführung die Augen fest geschlossen zu halten.

In der Presse vom 13.12.99 konstatiert Wilhem Sinkovicz: "Manche Regisseure sind dem Geheimnis der Kunst gegenüber mindestens so hilflos wie die Jünger Sigmund Freuds gegenüber der Seele des Menschen." Auch für ihn ist die Inszenierung ein Desaster. "Wie im Vorjahr bei "Palestrina" hat man damit ein tiefgründiges Meisterwerk jeglicher metaphysischer Qualität beraubt und damit den Zuschauern die Möglichkeit genommen, sich mit dem Gehalt des Stücks auseinanderzusetzen." Auch Guiseppe Sinopoli hatte für Ihn Mühe, die "tönenden Mysterien" des Werks zur Entfaltung zu bringen: "Erst beim großen Cellosolo im Mittelakt war zu hören, wie das sein könnte, wenn ein Dirigent es verstünde, die Philharmoniker zu freiem, ungehindertem Spiel zu führen, Kantilenen über die Taktstriche hinweg zur Entfaltung zu bringen." Hingegen viel Lob für die sängerischen Leistungen.

"Konnte das Solistenensemble die Erwartungen des verwöhnten Wiener Publikums erfüllen? Natürlich ist die Kaiserin von Deborah Voigt von erlesener Qualität, mühelos meistert die Künstlerin die Koloraturen des Anfanges, ihre Falkenrufe sind von depressivem Pathos umflort, ekstatisch ihre Traumszene und perfekt die schwierigen Intervallsprünge der Tempelszene, ... Positiv ihre absolute Identifikation mit dem Regiekonzept, in dem sich auch eine singende Tragödin wie Gabriele Schnaut (Färberin) sichtbar wohl fühlte. ... Eine dämonische Amme war in diesem Regiekonzept nicht gewünscht, was der wenig durchschlagskräftigen und zudem mit intonationsunsicheren Höhen ausgestatteten Marjana Lipovsek durchaus entgegen kam. ... Falk Struckmann bewies, dass man den Barak mit einem Heldenbariton besetzen, sofern dieser etwas auf Linie singen kann und nicht nur auf das Volumen seiner Stimme vertraut. .... Ja und einen Kaiser wie Johan Botha, der sowohl heldentenorale Attacke in schwierigster Tessitura und endlose Phrasierungsbögen spinnen kann, hat es seit Jahren nicht mehr auf der Opernbühne gegeben."
meinte das Hamburger "Opernglas", 2/2000

Karlheinz Roschitz in der Kronen Zeitung (13.12.99): "Mit seiner Staatsopernregie der "Frau ohne Schatten" erlitt Robert Carsen eine Bruchlandung, die diese Art mutwillig durchgeboxter Ideen bloßstellt." Die orchestrale Deutung durch Giuseppe Sinopoli lässt Roschitz aber gelten und spricht von einem makellos aufblühenden und magisch leuchtenden Philharmonikerklang. In der Kronen Zeitung wird anläßlich der Premierenfeier auch ein Auspruch des Staatsoperndirektors Ioan Holender überliefert: "Ich weiß, dass ich jetzt nicht alle glücklich gemacht habe - mich habe ich aber sehr glücklich gemacht!"

"Und sind damit beim grundlegenden Problem: Diese Inszenierung kennt überhaupt kein Geheimnis. Sie ist sozusagen eineindeutig. Und damit nach nur wenigen Minuten schon durchschaubar. Alles ist gesetzt, keine Situation wird erspielt." Meinte Karl Harb in den Salzburger Nachrichten. Bezüglich Sinopolis muskalischer Interpretation notiert er:: "Man hört, fasziniert und immer faszinierend, einen exzellenten Klang-Befund. Das operntheatralisch Packende muss man sich eher denken."