ELEKTRA
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Wiener Staatsoper
23. Juni 2017

Dirigent: Michael Boder


Klytämnestra - Waltraud Meier
Elektra - Nina Stemme
Chrysothemis - Regine Hangler
Aegisth - Herbert Lippert
Orest - Alan Held
Pfleger des Orest - Wolfgang Bankl
Vertraute - Simina Ivan
Schleppenträgerin
- Zoryana Kushpler
Junger Diener
- Benedikt Kobel
Alter Diener
- Dan Paul Dumitrescu
Aufseherin - Donna Ellen
Mägde - Monika Bohinec, Ilseyar Khayrullova, Ulrike Helzel, Lauren Michelle, Ildiko Raimondi
Dienerinnen - Secil Ilker
, Jung Won Han, Kaya Maria Last, Cornelia Sonnleitner, Zsuzsanna Szab
ó, Sabine Kogler


Mordkomplott im Kohlenkeller

(Dominik Troger)

Die Wiener Staatsoper spielt „Elektra“ und Nina Stemme ist wieder in der Titelpartie zu hören. Berichtet wird über die laut Programmzettel zwölfte Aufführung der Neuproduktion von 2015. Elektra haust also nach wie vor im per Paternoster-Aufzug erschlossenen „Kohlenkeller“.

Nina Stemme macht aus der Titelpartie nach wie vor keine Hysterikerin und das katzenhaft-geschmeidige Wesen dieser Figur ist ihr kein Anliegen. Sie entwickelt den Charakter auf Basis einer introvertierten Schwerfälligkeit, muss ihrer Racheseele, die am Beginn wie unter schweren Lasten depressiv niedergedrückt erscheint, erst einen Weg ins Freie bahnen. Am Schluss der Szene mit Klytämnestra wird dieser Weg mit einem ungeheuren Energieanfall aufgesprengt, der wie ein Vulkanausbruch die dunkelrote Glut ihres Soprans in das Auditorium schleudert. Das ist ein Befreiungsschlag, der nicht mit kühlem Stahl geführt wird, sondern der alle mykenischen Tore mit einem Schlag aufschmilzt und verglüht.

Stemmes Sopran zeigte keine Ermüdungserscheinungen, er befand sich stets auf der Höhe des Dramas und musste vor der tragödischen Größe dieses Stoffes nicht kapitulieren. Leider weiß die Inszenierung von Uwe Eric Laufenberg kaum etwas mit dieser tragödischen Größe anzufangen – und Stemme sang nicht nur die Partie fulminant, sondern sie „stemmte“ sie auch trotz dieser Inszenierung, die im Finale durch eine „visionäre“ Tanzeinlage von jungen Pärchen und der im Paternoster-Aufzug eingerichteten „Horror-Peep-Show“ absäuft wie eine gußeiserne Kanonkugel im Wasser.

Beachtenswert war die Chrysothemis der Regine Hangler: Ihr jugendlich-straffer Sopran frohlockte mit lyrischem Strauss-Timbre und verlieh der Partie eine angenehme Mädchenfrische bei der die oft stürmisch geäußerten Sehnsüchte und Wünsche dieser jungen Frau authentisch aufgehoben waren. In der Tiefe fehlte es der Stimme etwas an Durchsetzungsvermögen, die obere Mittellage leuchtete silbern und kräftig übers Orchester, bei manchen Spitzentönen bekam dieses „Silber“ aber schon einige herbeiforcierte „Haarsprünge“, die derzeit ein mitreißender Enthusiasmus aber noch wegwischt wie ein paar kleine, störende Krümelchen.

Waltraud Meier gab im Rahmen dieser Aufführungsserie als Klytämnestra ihr Wiener Rollendebüt. Ihre Stimme klang in der Tiefe ermattet, öfter mal vom Orchester verschluckt, konnte sich eigentlich nur in der Höhe so richtig „Gehör“ verschaffen – oder die Sängerin hat sie so stark zurückgenommen, weil sie meinte, die archaische Wucht der Geschehens auf ein subtiles bürgerliches Kammerspiel reduzieren zu müssen? Dass Klytämnestras Auftritt in diesem szenisch und akustisch indiskutablen Aufzug dem Bühnenwirken der Figur wenig förderlich ist, sei ebenfalls angemerkt. Der erste Teil der langen monologischen Szene verflachte im von Meier angeschlagenen „Konversationston“, ab dem Geständnis der schlechten Träume ging es etwas besser. Die Psychodynamik der Szene zwischen Mutter und Tochter blieb punktuell. Nina Stemme gab sich zwar lauernd, aber sie hat Klytämnestra nicht subtil auf die Psychofolter gespannt. Und Waltraud Meier hat einen die Monstrosität dieser Königin kaum spüren lassen – und die ganze sie peinigende Hohlheit ihrer von Myraden Mottenräupchen durchlöcherten Seele.

Alan Held feierte in dieser Aufführungsserie ein gelungenes Wiener Rollendebüt: Sein Orest war mehr „funktional“ ausgerichtet, eine kräftige Stimme, mit deutlich heldischem Anteil, kämpferisch und effizient, wobei für die rachedürstende Schwester auch ein paar weichere Töne abfielen. Das übrige Personal agierte im üblichen Rahmen. Aber die Inszenierung ist ja nicht einmal im Stande, Aegisth einen, dem Mythos würdigen „Mordsabgang“ zu verschaffen. Wolfgang Bankl erinnerte mich sogar als Pfleger des Orest an seinen Grafen Waldner, das ist doch ein Kunststück.

Das Orchester spielte um mindestens eine Klasse besser als in der Premierenserie. Michael Boder stand diesmal am Pult und gestaltete den Abend souverän, wusste die Momente der Spannung mit Momenten des strömenden Strauss’schen Melos zu versöhnen, griffig im Ablauf und etwas trocken im Klang. Die Flöten drängten sich einige Male allerdings zu stark in den Vordergrund – was vielleicht meinem Balkonplatz auf der rechten Seite geschuldet war. Feine dynamische Abstufungen oder das sinnliche Ausschwingen lassen von Elektras „Orest-Anbetung“ sowie fein modellierte, die Spannung zwischen den Szenen weiterragende Übergänge sorgten für eine plastische Darbietung aus einem Guss.

Fazit: Rund zehn Minuten langer Schlussapplaus und Nina Stemme wurde bei ihrem Solovorhang gleich nach Beschluss von stürmischen Bravorufen umbrandet.