ELEKTRA
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Wiener Staatsoper Dirigent: Mikko Franck
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Klytämnestra - Anna
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Eines steht nach dieser dritten Aufführung der neuen Wiener „Elektra“ fest: Sie wird immer mehr zum Triumph für Nina Stemme. Die Inszenierung von Uwe Eric Laufenberg ist hingegen kein Triumph und nährt sich vor allem von oberflächlichen Effekten. Was für eine Frau ist Elektra? Die Anfangsszene mit den Mägden, die aus einem Ziehbrunnen Wasser schöpfen, liefert dem Publikum vor allem eine kurze Beschreibung der Titelfigur. Die Mägde sehen Elektra vorüberhuschen und beginnen über sie zu reden. Sie vergleichen Elektra mit einem Tier, und zwar mit einer wilden Katze, die jeden anfaucht, der ihr in die Nähe kommt. Elektra wird als „Dämon“ bezeichnet. Man erfährt, dass sie ein schmachvolles Leben führt: „Setzt man ihr nicht den Napf mit Essen zu den Hunden?“ In der neuen Staatsopern-Inszenierung hat Elektra nichts Wildes, Katzenhaftes an sich. Sie bewegt sich steif im modischen Hosenanzug wie eine „Business-Women“. Das zweireihige Jackett wirkt wie ein Panzer, der ihre Gefühle verschließt. Zudem ist es sehr unglaubwürdig, dass eine derart gekleidete Elektra in einem Kohlenkeller vegetiert. Elektras Aggressionen verraten sich kaum in Details. Sie wirken mehr forsch und männlich. Wird diese Elektra von einer Schwermut geplagt, die sie in Passivität niederhält, einer Schwermut, die sie in sich so verschlossen trägt wie dieser ominöse Koffer die reliquienhaft verehrten Erinnerungstücke an ihren Vater birgt? Eine Elektra mit gebügeltem Hosenanzug, das ist jedenfalls nicht die Geschichte, die Strauss und Hofmannsthal erzählen. Elektras Auftrittsmonolog leidet unter diesem „Konzept“ und wirkt fast schwerfällig. Aber es hat auch ein wenig mit der Stimmfarbe von Nina Stemmes Sopran zu tun, der mit seiner dunklen Abrundung eine grellere Färbung der Vokale verhindert – etwa gleich am Beginn: „Der Vater fort, hinabgescheucht in seine kalten Klüfte!“. Da ließe sich einiges an Grauen malen. Der Spannungsaufbau des Monologs scheint noch nicht perfekt (aber der Dirigent leistete mit dem Orchester auch keine entsprechende Untermalung) – die expressive Schilderung des Mordes und der darauf folgende sehnsuchtsvolle Wunsch nach dem Vater waren in den unterschiedlichen Emotionen zu wenig deutlich von einander abgesetzt. Das pathetische Finale funktionierte bereits überzeugend. Die Szene mit Klytämnestra entwickelte sich wieder langatmig. Aber der Beschluss mit Elektras „... und wer dann noch lebt, der jauchzt und kann sich seines Lebens freun.“ wurde von Stemme mit einem stromstoß-ähnlichen Energieanfall gesungen (und für einen Moment wurde sogar das stimmliche Risiko hörbar, das die Sängerin einzugehen bereit war). Ab dieser Stelle riss Stemme das „Ruder“ der Aufführung an sich – und ihr Sopran, der wegen seines satten Klanges immer schon eine gewisse „Schwerkraft“ suggeriert hat, diente in Folge als fest basierte Abschussrampe für nie grell färbende, die Zuhörer süchtig machende Spitzentöne, die in metaphorischem Sinne das Auditorium in Brand setzten. Stemmes Sopran scheint sich auch als Elektra eine mehr dem Wagnergesang verhaftete Linie zu bewahren, die – ganz allgemein gesprochen – die artifiziellere Gefühlswelt der Strauss-Heroinen nicht wirklich ausdifferenziert: Das war nach meiner Einschätzung bei ihrer Marschallin, ganz besonders bei ihrer Ariadne spürbar. Elektra ist naturgemäß aus einem anderen, viel dramatischeren Holz geschnitzt, und hier kann Stemme – sozusagen als „altgriechische Brünnhilde“ – reüssieren. Stemmes Elektra kennt – um ein wenig „homerisch“ zu werden – noch nicht das listige Raffinement der „Odyssee“, sondern lebt den einfacher gestrickten Heldenmythos der „Ilias“, den sie mit dem warm leuchtenden, menschlichen Pathos ihrer Stimme so unvergleichlich durchdringt. Die Chrysothemis von Ricarda Merbeth harmonierte mit Stemme, ihr Sopran zeigte sich heller, etwas lyrisch-verletzlicher, aber kaum weniger kompakt und durchsetzungsfähig im Kampf mit den Emotionen und Orchestermassen. Mit dem weißen Kostüm und der weißen Handtasche zeigte sich Chrysothemis als angepasste Tochter, die im Affekt auch mal ihr Täschchen in die Ecke schleudert. Die Regie zwingt sie zu einigen überflüssigen Laufmetern zwischen Auftritt rechts (vom Zuschauerraum aus gesehen) und Kohlenkeller links. Im Finale klammert sie sich an das Beil, das Stemme nach der Szene mit Orest in Kopfhöhe in die Nasszellenfliesen geschmettert hat. Diese Aktion mit dem Beil hat etwas für sich: Die robuste Wucht, mit der Stemme selbiges handhabt, hätte auch dazu gereicht, Klytämnestra den Schädel zu spalten. Chrysothemis bleibt mit diesem Beil und ihren Orestrufen alleine zurück. Ein angemessenes Finale, wäre zuvor nicht dieses Ballett aufgetreten, und hätte die Aufführung – im wahrsten Sinne des Wortes – „vertanzt“. Über den Mangel der Klytämnestra-Szene habe ich mich schon in der Premierenbesprechung geäußert, er betrifft sowohl die Regie mit dem nervenden Herumgetue der Wärterinnen als auch die sehr „blass“ bleibende Interpretin der Rolle. Ich halte auch den Rollstuhl für keine gute Lösung. In ihm sitzt Klytämnestra zu „sicher“ – viel besser ist die im Libretto vorgesehene Lösung mit einem Stab, dessen abstützender Gebrauch den Körper in eine expressive Spannung aufrechtzuhaltender Balance versetzt. Falk Struckmann machte wieder guten Effekt als baritonaler „Haudegen“, und Ildiko Raimondis Fünfte Magd wurde in vielen Premierenbesprechungen zerzaust – und selbige muss wohl unter „Fehlbesetzung“ verbucht werden. Benedikt Kobel sprang an diesem Abend für Thomas Ebenstein als junger Diener ein. Dem Orchester unter Mikko Franck geriet die Wiedergabe erneut viel zu spannungslos. Nina Stemme wurde beim Schlussvorhang natürlich bejubelt – und es ist der Sängerin zu wünschen, dass sie die Partie in Zukunft mit einem Regisseur einstudieren kann, der nicht konzeptgetrieben den Charakter der Rolle verdreht. Denn eine Anmerkung sei noch erlaubt: Die Interpretationstiefe ist nicht so beliebig wie Regisseure, Dramaturgen, Operndirektoren immer wieder vorgeben! Und vor diesem Hintergrund macht es wenig Sinn, das Kernrepertoire Jahr für Jahr durch den Fleischwolf angeblich neuer „Sichtweisen“ zu drehen. Es wäre viel mehr längst an der Zeit, ein neues Repertoire für das 21. Jahrhundert aufzubauen. Insofern sind die Bestrebungen der Wiener Staatsoper, in den nächsten Jahren zumindest ein zeitgenössisches Werk pro Saison neu in den Spielplan aufzunehmen, sehr zu begrüßen. |