ELEKTRA
Aktuelle Spielpläne
Forum
Opernführer
Chronik
Home
Strauss-Portal

Wiener Staatsoper
29. März 2015

Premiere

Dirigent: Mikko Franck

Regie: Uwe Eric Laufenberg
Bühne: Rolf Glittenberg
Kostüme: Marianne Glittenberg
Licht: Andreas Grüter

Klytämnestra - Anna Larsson
Elektra - Nina Stemme
Chrysothemis - Ricarda Merbeth
Aegisth - Norbert Ernst
Orest - Falk Struckmann
Pfleger des Orest - Wolfgang Bankl
Vertraute - Simina Ivan
Schleppenträgerin
- Aura Twarowska
Junger Diener
- Thomas Ebenstein
Alter Diener
- Marcus Pelz
Aufseherin - Donna Ellen
Mägde - Monika Bohinec, Ilseyar Khayrullova, Ulrike Helzel, Caroline Wenborn, Ildiko Raimondi
Dienerinnen -
Younghee Ko, Secil Ilker, Kaya Maria Last,Jozefina Monarcha, Karen Schuber, Zsuzsanna Szabó


Aufzug des Grauens

(Dominik Troger)

Die Wiener Staatsoper hat eine neue „Elektra“. Nina Stemme gab in der Titelpartie ihr Rollendebüt. Uwe Eric Laufenberg hat die Aufgabe übernommen, die alte Inszenierung von Harry Kupfer aus dem Jahre 1989 abzulösen. Beim Schlussvorhang trug das Publikum Stemme auf Enthusiasmuswogen – und das Regieteam wurde abgestraft.

Bei Kupfer war die mythologische Grundlage der Geschichte noch erkennbar und die riesige torsohafte Statue des Vaters, in deren Schatten Elektra vegetierte und ihren Schmerz und ihre Hoffnung nährte, machte überdeutlich klar, dass Elektra ein traumatisches Ereignis quält: der Mord an ihrem Vater durch ihre Mutter und diesen Ägisth, an den sich Klytämnestra vergeben hat. Der übermächtige Schatten des Vaters war derart Elektra eine beständige Mahnung zur Rache – und dem Publikum wurde es leicht gemacht, durch diese klare und sinnvolle Gestaltung des Spielraums der düsteren Geschichte zu folgen.

Bei Laufenberg ist von solch klaren Strukturen und mythologischer Verortung wenig zu spüren. Elektra lebt in einem Kohlenkeller, an den links Duschen anschließen, rechts ein Paternoster, der nach seiner Machart auf ein Haus der besseren Gesellschaft schließen lässt. Dieses Ambiente scheint mehr zufällig gewählt, als dramaturgisch sinnvoll. Elektra tritt in einem Hosenanzug auf, mit zweireihigem Jackett (der bei einer Herrenschneiderei gemacht wurde, wie man aus dem Programmheft erfährt). Sie ist sehr gut gekleidet, hat offenbar einen Hang zum Luxus. Statt an einer bedrohlich-düsteren Statue nährt diese von modebewusstem Nonkonformismus angekränkelte Elektra ihren Schmerz an einem Koffer, aus dem sie Erinnerungsstücke hervorkramt: eine Dienstpistole und ein Generalskapperl, das Beil. Allein dieses Beispiele beweisen: Die stilistische Fallhöhe zwischen Kupfer und Laufenberg ist enorm. Bei Kupfer ahnte man noch den Mythos in seiner fürchterlichen und unausweichlichen (!) Bedrohlichkeit so wie er auch den Sprach-Expressionismus von Hugo von Hofmannsthal und die Musik von Richard Strauss durchglüht. Bei Laufenberg begegnet das Publikum einer der Kinowelt entnommenen und in Richtung Horrorsujet gewendeten „Seifenoper“, noch dazu mit dem Koffer als dem banalsten Requisit des gegenwärtigten Regisseur-Theaters ausstaffiert.

Nun, das ist noch nachvollziebar. Die banale Grausamkeit des Homo sapiens ist allgegenwärtig, und die Zeiten, in denen sich eine generationenumspannende Familiengeschichte an göttlichem Willen rieb, lange vorbei. Wenn die Bühnenoptik aber keinen Anlass mehr dazu bietet, an das zu glauben, was Musik und Libretto vorgeben, dann muss die Regie zumindest in der psychologischen Aufbereitung ihr Allerbestes leisten. Nur so ließe sich noch plausibel machen, warum die Figuren exaltierte Metaphern dreschen und warum Strauss soviel orgienhaften Aufwand mit seiner Musik betreibt.

Der ganze Aufwand des finalen Gemetzels, den Laufenberg macht, in dem hingeschlachtete Menschenpuppen, Pferde und Hunde die Paternoster-Kabinen füllen, um in ihnen „Ringelspiel“ zu fahren, hilft aber dem mangelnden Sprachvermögen dieser Produktion nicht auf die Sprünge. Ist doch die Sprach- und Musikwelt dieser Oper voller Hinterhältigkeit, Sarkasmus, Verzweiflung und verschütteter Liebe. Das dämonische Psychogramm, das Hofmannsthal und Strauss entwickeln, verlangt in der Wiedergabe eine tiefes Gefühl für Nuancen, für Pausen, für Betonungen, für eine auf pointierter Kommunikation aufbauende Dramaturgie. In einem banalisierenden Bühnenambiente – wie es diese Produktion vorstellt – hängt von diesem expressiv gelebten „Sprachvermögen“ die ganze Glaubwürdigkeit der Oper ab. Und daran ist Laufenberg gescheitert.

Aber das erklärt noch nicht den wüsten Buhsturm, den das Regieteam über sich ergehen lassen musste. Schon gleich nach dem Verklingen des Orchesters gab es erste Missfallenstöne – und dergleichen hervorzurufen, dazu Bedarf es eines konkreten Anlasses, der von Teilen des Publikums als bewusste Provokation oder offensichtliches Unvermögen aufgefasst wird. Worin äußerte sich nun diese Provokation oder szenische „Dummheit“? Es waren nicht jene nackten Frauen, die von den Mägden im Duschbereich ganz am Beginn „gesäubert“ wurden. Dieses mir nach wie vor rätselhafte und „blinde“ Regie-Motiv wirkte kaum ein paar Minuten lang nach. Nein, Laufenberg wollte optisch offenbar die Utopie eines stinknormalen Lebens zur Kenntnis bringen, die Elektra und Chrysothemis nach den Mordtaten mit jubelnder Hoffnung herbeisehnen. Adrette Ballettpaare huschten nach dem blutigen Morden plötzlich auf die Bühne und begannen unter Elektras Anordnung beschwingt und albern herumzuhopsen. Bald verschwand Elektra, bald sonderten sich die Ballettmännchen ab und begannen sich unmotiviert zu balgen – und völlig entzaubert und demontiert soffen die Schlusseruptionen der Musik hoffnungslos im Nachhall dieser untauglichen Tanzeinlage ab wie ein Fels im Wasser. Nach diesem Finale war nichts mehr zu retten.

Mag dieser Missgriff der Premiere den Todesstoß versetzt haben, das schon erwähnte fehlende Sprachvermögen auf der Bühne und im Orchestergraben war die größte Enttäuschung des Abends. Eine Klytämnestra mag, so wie es Laufenberg inszeniert hat, im Rollstuhl sitzen und von lästig-betulichen Wärterinnen begleitet sein, ihre Bühnenwirkung hängt letztlich am Text. Die ganze Szene zwischen Klytämnestra und Elektra ist ein Psychokrieg unterlegt mit unbewussten, ungestillt triebhaften Erregungen Feud’scher Provenienz. Klytämnestra mag – wie hier – als abgetakelte Gattin eines faschistoiden Diktators durchgehen, aber man muss in jedem Wort spüren, welche Empfindungen und Ängste sie quälen.

Anne Larsson gab sich, bei gutem gesanglichen Input, in diesem Punkt für meinen Geschmack zu farblos und monoton – und leider hat sich auch Nina Stemme die sprachliche Subversivität der Elektra noch nicht dermaßen verinnerlicht. So begeisternd ihre Spitzentöne in das Auditorium segelten – es war mehr die holzschnittartige Stabreimpsychologie der leidenden Götterdämmerungs-Brünnhilde, was Stemme an diesem Abend im Ausdruck bot, und weniger die Raffinesse der Hofmannsthal’schen Zwischentöne. Elektras Auftrittsmonolog wirkte noch etwas distanziert, die Tiefen kamen etwas volumenschwach. Das Gespräch mit Klytämnestra blieb farblos – wobei die Umarmungen, die Elektra Klytämnestra angedeihen lässt, durchaus zu den besseren Einfällen der Regie zählten und die auffallend starre Personenführung der Elektra lockerten. Erst danach schien sich Stemme befreiter zu fühlen und mit ganzer Persönlichkeit und Stimme in die Rolle hineinzufinden.

Es war Ricarda Merbeth als Chrysothemis – eingesprungen für die erkrankte Anne Schwanewilms – die mit ihrem Auftritt für den ersten Spannungsschub des Abends sorgte. Merbeth kam ihre lange Rollenerfahrung zu Gute – und die Partie liegt jetzt voll in ihrer stimmlichen Reichweite. Aber Chrysothemis ist ein etwas einfacher Charakter und zu angepasst, um stark die Phantasie des Publikums zu erregen. Auf diese Partie lässt sich keine packende Aufführung der „Elektra“ bauen. Orest, eine Art Söldnerführer, lag bei Falk Struckmann in einer schon etwas abgearbeitet klingenden, aber nach wie vor bewährt raubeinigen Kehle. Norbert Ernst war ein ansprechender Aegisth. Enttäuschend bis solide die Mägde; passend markant Thomas Ebenstein als Diener.

Das Orchester unter Mikko Franck pflegte eher langsame Tempi und es gab einige interessante Details zu hören, zum Beispiel wenn die barbarische Elektramusik plötzlich zärtlich-sentimentale Anwandlungen zeitigte (etwa in der Szene mit Klytämnestra). Aber die düstere, spannungsgeladene Bedrohung, die sich schon am Beginn in dem mächtigen Orchesterschlag manifestiert, wurde kaum spürbar. Im Gegenteil, die Spannung brach immer wieder ein, die sprichwörtliche „soghafte Wirkung“ stellte sich – zumindest für mich – nicht ein. Franck hat die Produktion von Franz Welser-Möst übernommen, der bekanntlich mit Saisonbeginn die Staatsoper verlassen hat.

Das Publikum reagierte differenziert: Buhrufe (sehr viele) für das Regieteam, aber auch der Dirigent und Larsson stießen nicht bei allen Anwesenden auf Gegenliebe. Stemme wurde gefeiert, sehr starker Applaus auch für Merbeth. Die Applausdauer von rund 20 Minuten geht stark auf das Konto von Nina Stemme, die mehrmals alleine auf die Bühne kam – und bei ihrem ersten Solovorhang (gleich nach Ende der Vorstellung) mit Orkanstärke bejubelt wurde.

Fazit: Misslungene, zum Teil schwer nachvollziehbare Inszenierung, teils begeisternde Einzelleistungen.