ELEKTRA
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Wiener Staatsoper Dirigent: Simone Young |
Klytämnestra - Agnes Baltsa |
Die Wiener Staatsoper hat derzeit keine Glückssträhne. Umbesetzung reiht sich an Umbesetzung, Ansage an Ansage. An diesem Abend wurde Deborah Polaski wegen Rückenschmerzen entschuldigt: Die Sängerin leide schon seit längerer Zeit darunter. Deborah Polaski begann den Abend mit entsprechender Vorsicht, der Auftrittsmonolog wirkte in Spiel- und Gesang sehr zurückhaltend – und als Zuschauer wollte man sich lieber nicht vorstellen, wie stark die Rückenschmerzen bei dieser oder jener Bewegung sein mochten. Zusammen mit ihrem schon etwas vernarbt klingenden Sopran erschien diese Elektra mehr als ältere, sich recht männlich gebende Frau, die nur noch der Wunsch und die Sehnsucht nach Rache und ein fast soldatisch zu nennendes Ehrgefühl aufrecht halten. Diese Sicht definierte auch das Verhältnis zu Klytemnästra neu – man hätte die Beziehung zwischen Elektra und Klytemnästra (gesungen von Agnes Baltsa) nicht mehr unbedingt als eine zwischen Tochter und Mutter eingeschätzt. Es war eher ein schwesterliches Verhältnis, zuerst auf Augenhöhe, das sich aber zu einem Machtspiel entwickelte, bei dem Klytemnästra zu guter Letzt verzweifelt vor Elektra zu Boden ging, ausgestreckt und demütig wie ein unterlegenes Raubtier, das der im Kampfe siegreichen Genossin die Kehle zum Biss anbietet. Polaski stieg dann auch wie eine hinterhältige Drohung über sie hinweg, ehe sich Klytmenästra unterstützt von ihren Dienerinnen aufrappelte. Das emotionale Prickeln dieser Szene wurde durch manche schon fast skurril anmutetende „Umlautung“ des Baltsa’schen Deutsch nicht getrübt. (Aber bei aller Bühnenpräsenz Baltsas, so ist ihre inzwischen gesanglich doch recht markante Art, ein wenig grenzwertig.) Doch dann gab es wieder Momente, wie das süffisante, erotisch kontaminierte Auflachen, wenn Elektra Klytemnästra ein „Weib“ als Opfer verspricht, die die „Freud’schen Vorahnungen“ des Hofmannsthalschen Textes blitzlichtartig erhellten. Dieser Wunsch nach Rache, von dem eine gealtert erscheinende, aber immer noch sehr dominant agierende Elektra innerlich aufgefressen wird, kontrastierte sehr gut mit der viel anschmiegsameren Körperlichkeit von Angela Denoke, die stimmlich bis auf wenige Spitzentöne recht leidenschaftlich eine Weiblichkeit ins Spiel brachte, die bei Elektra nur mehr ein paar Minuten lang die Sehnsucht nach einer besseren Zukunft weckt. Denoke zeichnete Chrysothemis mit verschattetem Gemüt, als pendeln zwischen Ekstase und Depression – aber auch hier kam sehr gut heraus, wie Elektra die Beziehung beherrscht: wie eine rachelüsterne Spinne, in deren Netz alle eingewoben sind. Ain Anger gab einen in seiner Rache konsequenten Orest, seine klangvolle Stimme verlieh der Figur in der Erkennungsszene eine sinnliche Spannung, die man sonst weniger wahrnimmt, und das übertünchte die Brutalität, mit der Orest ans Werk zu gehen hat. Auch als Bühnenerscheinung bot Anger den jugendlichen, kräftigen Racheengel auf den Elektra jahrelang gehofft hat. Norbert Ernst hat bei seinem Rollendebüt den Ägisth gesanglich gut über die Bühne gebracht – aber ob er in seiner wendigen, spieltenorhaften Bühnerscheinung wirklich für diese Rolle passt? Das gut disponierte Orchester unter Simone Young schwankte zwischen der verständlichen Rücksichtnahme auf Deborah Polaski und der geforderten „Dramatik“ – und das verhinderte, dass sich der Abend homogen und spannungsgeladen entwickeln konnte. Der ziemlich trockene Orchesterklang ließ zudem wenig Emotion aufkommen und unterdrückte das schwelgerische Moment. Folgt man den Publikumsreaktionen, dann war das Chrysothemis-Debüt für Angela Denoke ein schöner Erfolg – Polaski und Baltsa haben sich wohl schon stärkeren Zuspruchs erfreut. Und die Aufführung zusammenfassend könnte die Erkenntnis lauten: Es hat schon zwingendere „Elektra“-Vorstellungen an der Staatsoper gegeben. |