ELEKTRA
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Wiener Staatsoper
20.3.2004

Dirigent: Donald Runnicles

Klytämnestra - Hanna Schwarz
Elektra - Deborah Polaski
Chrysothemis - Ricarda Merbeth
Aegisth - Kurt Schreibmayer
Orest - Falk Struckmann
Pfleger des Orest - Goran Simic
Vertraute - Zsuzsanna Szabo
Schleppenträgerin
- Nadia Krasteva
Junger Diener
- Arnold Bezuyen
Alter Diener
- Johannes Wiedecke
Aufseherin - Margareta Hintermaier
Mägde - Daniela Denschlag, Caitlin Hulcup, Antigone Papoulkas, Simina Ivan, Arona Bogdan

Elektra rächt sich wieder
(Dominik Troger)

Jenes gewisse „Elektra“-Feeling wollte sich an diesem Abend bei mir nur zeitweise einstellen und dafür lassen sich ein paar gute Gründe angeben. Diesem subjektiven Befund steht der heftige Schlussapplaus des Publikums entgegen.

Zuerst muss man noch ein paar Tatsachen festhalten: An Samstagabenden sind sogar „Elektra“-Aufführungen ausverkauft. Donald Runnicles ist inzwischen schon sehr beliebt in Wien, Deborah Polaski (Elektra) ist es sowieso, und auch Falk Struckmann (Orest) verfügt über eine nicht zu unterschätzende Fangemeinde. „Elektra“ stand schon länger nicht mehr am Spielplan. Letzte Saison hatte es überhaupt keine Aufführung gegeben. Publikum (und Orchester) waren des Werkes also schon ein wenig entwöhnt.

Eine fulminante „Elektra“-Aufführung erzeugt eine physische Wucht, die sich eindreiviertel Stunden durch eine blutige Familiengeschichte wühlt. Es ist ein Werk hohen Kraftaufwandes für die SängerInnen, und der totalen Ausgeliefertheit des Publikums – wenn die mythischen Mahlzähne einen vom Solarplexus ausgehend durchzukauen beginnen.

Der besondere Reiz liegt auch darin, dass die Strauss’sche Melodie in gewisser Weise als Anker für den psychoanalytischen Touch gelten darf, den Hofmannsthal dem Werk verpasst hat. Erst durch sie wird jene fleischige, blut- und lebensdurchpulste, beseelte Fülle erzeugt, die von den markanten Steigerungen und Ausbrüchen des Orchesters brutal durchstoßen wird. Dieser Gegensatz und dieses Aufeinanderbezogensein sind wichtig, es ist das Verhältnis vom lebenden Opfertier/-mensch zum Bronzebeil schwingenden Priester – der im Rahmen der Oper zum Glück von einem Dirigenten ersetzt wird. Es bedarf dieser üppigen Lebendigkeit im Ausdruck, einer menschlichen Begründung, die dann vom Mythos aufhackt wird, und dem Opfer ins Genick fährt. Ohne solches Fleisch kann ein derartiges Opfer nicht funktionieren.

Wenn sich nun Runnicles allein auf das Opferbeil verlässt, das auch Strauss oft genug schwingt, dann fehlt ihm doch das Fleisch dazu, dass er damit schneiden könnte. Da wird man als Zuhörer von den kurzen Zwischenspielen aufgeschreckt und wirklich in Bann geschlagen, um dann festzustellen, dass es sich um eine leere Geste handelt, die kein Ziel findet, auf das sie sich richtet. Das ist ein Fehler im dramatischen Kalkül, eine fehlende Feinabstimmung, zwischen den das Werk so wohlig-menschlich ausfütternden Melodiebögen und den orchestralen Donnerschlägen. Die knallig-klangliche Sprödigkeit, die gut zu einem schwärzlich-grünspanigen archaischen Bronzebeil passt, wird der Darstellung der Menschen, um die es letztlich auch geht, weniger gut anstehen. Strauss hat nun eine ganze Menge an Räucherwerk und aufschreienden Verzweiflungstränen dazwischengestreut, um die Annahme des Opfers durch das Publikum zu befördern. So wie vieles an triefender Metapher, von Hofmannsthal vorgetextet, den SängerInnen über die Lippen kommen muss. Da ist ein Antagonismus spürbar, aus dem sich die Spannung erzeugt, getrieben von einer mythischen, rhythmisierenden Begleitung. Wenn diese „Elektra“-Maschine nicht richtig anspringt, dann verblassen die im Kern doch arios angelegten Szenen, dann hängt sich die Aufführung nur an den wuchtigen, imposanten Zwischenspielen auf wie an einem metallenen Gitterrost. Und genau das ist an diesem Abend passiert.

So kam es denn, dass Elektras Auftrittsmonolog flach wirkte, dass Klytemnästras „mottenzerfressene Verzweiflung“ im Orchester (und leider auch auf der Bühne) nicht minder flach und ohne analytische Wirkungskraft an einem vorüber zog. Denn der Priester darf dem Opfer nicht nur drohen, sondern er muss es auch mit entsprechender Fürsorglichkeit reinigen und „vorbereiten“. Er muss es in seiner Würde instandsetzen, um es dann „würdevoll“ umbringen zu können. Dazu kommt natürlich, dass Deborah Polaski im Kern doch zu wenig hochdramatisch ist, um ihr Anliegen dermaßen auf den Punkt zu bringen, dass es im Sinne von mehreren „Triff noch einmal!“ in barbarischer Nervenzerfetztheit durch den Raum schnitte. Sie kann auch nicht mehr geben, als sie hat, auch wenn sie „alles“ gibt, und man ihr wirklich nicht nachsagen kann, dass sie es nicht verstünde, diese Partie eindrucksvoll und mit kluger Ressourceneinteilung zu gestalten.

Runnicles schien insgesamt dem melodiösen Ausschwingen zu wenig Raum zu lassen. Die Szene mit den fünf Mägden diente überhaupt zum allgemeinen Aufwärmen und der richtigen Tempofindung, leider auch noch Elektras Monolog. Aber ich denke, dass die Folgeaufführungen homogener sein werden.

Ricarda Merbeth hat mich sehr positiv überrascht, ich befürchtete, die Chrysothemis wäre für ihre Stimme noch grenzwertiger gelegen. Die Klytemnästra von Hanna Schwarz schöpfte das mögliche Ausdruckspotential zu wenig aus, außerdem zeigte ihre Stimme einiges an Korrosionsspuren. Falk Struckmann kann man als Orest kaum überhören, was ja in einer Elektra schon mal grundsätzlich sehr positiv zu bewerten ist, aber nicht schon notwendig ein gutes Licht auf seine Kantabilität wirft.

Der heftige Applaus hat mich schlussendlich doch überrascht, zumal es beim Orchester sicher noch einiges an Steigerungspotential gibt, bei den SängerInnen wohl kaum, die bewegten sich schon fast alle an der Grenze dessen, was ihre Stimmbänder noch goutierbar zu leisten vermögen.