ELEKTRA
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Wiener Staatsoper
11. September 2020


Wiederaufnahme am 8. September 2020

Musikalische Leitung: Franz Welser-Möst
Inszenierung: Harry Kupfer
Szenische Einstudierung: Angela Brandt
Bühnenbild: Hans Schavernoch
Kostüme: Reinhard Heinrich
Chorleitung: Martin Schebesta


Klytämnestra - Doris Soffel
Elektra - Ricarda Merbeth
Chrysothemis - Camilla Nylund
Aegisth - Jörg Schneider
Orest - Derek Welton
Der Pfleger des Orest - Marcus Pelz
Die Vertraute - Anna Nekhames
Die Schleppträgerin - Stephanie Maitland
Ein junger Diener - Michael Laurenz
Ein alter Diener - Dan Paul Dumitrescu
Die Aufseherin - Donna Ellen
Fünf Mägde: Monika Bohinec, Noa Beinart, Margaret Plummer, Regine Hangler, Vera-Lotte Boecker
Sechs Dienerinnen: María Isabell Segarra, Jung Won Han, Jozefina Monarcha, Dymfna Meijts, Karen Schubert, Zsuzsanna Szabo


„Agamemnons Auferstehung

(Dominik Troger)

Jetzt thront sie also wieder über Mykene: die riesenhafte Statue des Agamemnon. Ihr Haupt ist zu Boden gestürzt, aber sie hat dem Versuch, sie gänzlich niederzureißen, widerstanden. Elektra flüchtet sich in ihren Schatten. Aber die Statue vermag ihre Vatersehnsucht eben sowenig zu trösten wie ihren Rachedurst zu stillen.

Diese Statue und ihr gestürztes Haupt sind die einprägsamen szenischen Merkmale dieser aus dem Jahr 1989 stammenden Inszenierung, die der erst im Dezember letzten Jahres verstorbene Regisseur Harry Kupfer entworfen hat (Bühne: Hans Schavernoch, Kostüme: Reinhard Heinrich). Kupfer hat an der Wiener Staatsoper nur drei Produktionen geleitet, ein geplanter „Ring“ kam nicht zustande. Durch diese „Elektra“ wurde eine Inszenierung von Wieland Wagner aus dem Jahr 1965 abgelöst. Kupfers Inszenierung hat 1989 durchaus zum Widerspruch herausgefordert, doch ist sie im Wesentlichen rasch akzeptiert worden. Vor allem das unverkennbare Bühnenbild hat viel dazu beigetragen. Die neue Staatsoperndirektion hat die Produktion aus dem Fundus geholt, Angela Brandt hat sie neu einstudiert. Damit wurde ein künstlerisches Zeichen gesetzt, die beim Publikum wenig geliebte Neuproduktion aus dem Jahr 2015 ersetzt.

Aus heutiger Sicht – nach den Erfahrungen der Staatsopern-Neuproduktion aus dem Jahr 2015, für die Uwe Eric Laufenberg verantwortlich zeichnete – besticht an Kupfers Mykene die Gegenwart einer mythischen Zeit, durch diese riesenhafte Statue des Agamemnon unübersehbar symbolisiert. Die Figuren bewahren ihre „archetypische Größe“ und werden nicht in einen alltäglichen Rahmen gestellt und dadurch banalisiert. Laufenbergs Elektra hauste in einem Kohlenkeller, Klytemnästra saß im Rollstuhl, ein Paternoster geriet im Finale zum „Aufzug des Grauens“ wie in einem schlechten Horrorfilm. Diese Sichtweise hat eine modische Sensationsgier befriedigt und befand sie sich weder auf der gedanklichen noch auf der stilistischen Höhe des Librettos und der Musik.

Ricarda Merbeth, die neue Darstellerin der Elektra an der Wiener Staatsoper, hat laut dem Onlinearchiv des Hauses zwischen 2001 und 2015 in zwölf Vorstellungen die Chrysothemis gesungen, darunter als Einspringerin auch in der Premiere der obgenannten Laufenberg-Inszenierung. Merbeth war eine sehr gute Chrysothemis, passend zu ihrem hellen Sopran und gemessen an ihrer doch etwas schaumgebremsten Bühnenpräsenz. Inzwischen hat die Sängerin zur Elektra gewechselt – und müsste den Abend mit gesanglicher und schauspielerischen Kompromisslosigkeit tragen. Das gelingt dann aber nur phasenweise.

Merbeths Elektra begeistert in der Erkennungsszene mit einer an ihre Chrysothemis erinnernde Hingabe und Sensibilität. Aber wütet in Elektra nicht auch ein abgrundtiefer, sie verzehrender Hass, der etwa gegenüber Klytämnestra zynisch seine Krallen schärft? Merbeths Sopran ist nicht „hochdramatischen“ Zuschnitts, der Sängerin gelingt in dieser Partie aber ein kluger Kompromiss, auch wenn sie die Grenze zum „Musikdrama“ nicht überschreitet.

Die Chrysothemis der Camilla Nylund lag in der Klangfarbe immer eine Spur zu nahe an dieser Elektra – und sie war von starker Präsenz, Elektra manchmal fast schon ein wenig überflügelnd: ein intensives, für Nylunds Sopran dann und wann ein wenig grenzwertig anmutendes Rollenporträt. Die dritte im Damenbunde war Doris Soffel, die im Rahmen ihrer langen Karriere kaum an der Wiener Staatsoper aufgetreten ist. Die Sängerin vermochte der Partie markante Würde zu verleihen, vergaß bei aller seelischen Gebrochenheit nie auf ihren herrschaftlichen Status und hinterließ gemessen an der Länge ihrer Karriere stimmlich noch einen überraschend integren Eindruck (laut Onlinearchiv ging ihr erster Staatsoperauftritt bereits im Jahr 1976 (!) über die Bühne, dann folgte 1987 die Dorabella, und dann nichts mehr bis zu dieser „Elektra“).

Der Orest von Derek Welton setzte sich gegenüber Elektra mit griffigem Bariton in Szene. Der Sänger hat in dieser Aufführungsserie sein Hausdebüt gefeiert. Jörg Schneider sang einen überzeugenden Ägisth, überzeugend auch Michael Laurenz als junger Diener und kurzfristiger Einspringer für Robert Bartneck (es war so kurzfristig, dass keine rosa Zettel ausgehängt wurden). Die Besetzung der Mädge hinterließ insgesamt einen besseren Eindruck als bei „Elektra“-Aufführungen in den letzten Jahren. In diesem Sinne soll vor allem die fünfte Magd von Vera-Lotte Boecker erwähnt werden. Regine Hangler – selbst schon Chrysomethis am Haus – sang die vierte Magd.

Das Orchester unter Franz Welser-Möst, der jetzt mit zwei „Elektra“-Vorstellungen nach einigen Jahren Absenz wieder an die Staatsoper zurückgekehrt ist, war der antreibende und dominierende Faktor an diesem Abend. Er konnte auf ein spielfreudiges Orchester bauen, das die gewaltige und gewalttätige Musik mit klarer, kompakter Struktur, klangfarbenfreudig und wenn geboten auch mit Innigkeit zu gestalten wusste. Der Applaus dauerte sieben oder acht Minuten lang. Es wurde auch Bravo gerufen – noch ist dem Publikum ob der stark steigenden COVID-19-Erkrankungszahlen die Begeisterung nicht im Halse stecken geblieben.

Das „Elektra“-Programmheft besitzt einen türkisen Umschlag, das Coverfoto lässt etwas mehr Nähe zum aufgeführten Werk erkennen, als das Cover des „Butterfly“-Programmheftes. Der Covertitel „ELEKTRA. Richard Strauss“ ist in Türkis gedruckt und wegen des unruhigen Hintergrunds schlecht zu lesen. Auch bei den kleinen Untertiteldisplays an den Sitzplätzen hat es mit der neuen Saison Änderungen gegeben. Die Displays zeigen jetzt auch an, welche Figur gerade am Wort ist. Die Schriftgröße dürfte deshalb etwas verringert worden sein. Die Stehplatzkassa hat an diesem Abend früher geöffnet, rund 100 Minuten vor Vorstellungsbeginn. Das ist sehr zu begrüßen, weil die Personalisierung der Karten doch ihre Zeit braucht und nur eine Kassa aufgesperrt wird.