DAPHNE
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Wiener Staatsoper
13.6.2004
Premiere

Dirigent: Semyon Bychkov

Regie: Nicolas Joel
Bühne, Kostüme, Licht: Pet Halmen

Peneios - Walter Fink
Gaea - Marjana Lipovsek
Daphne - Ricarda Merbeth
Leukippos - Michael Schade
Apollo - Johan Botha
Erster Schäfer - Markus Nieminen
Zweiter Schäfer - Benedikt Kobel
Dritter Schäfer
- Jens Musger
Vierter Schäfer
- Johannes Wiedecke
Erste Magd
- Genia Kühmeier
Zweite Magd - Aarona Bogdan


Apollo Daphnem amat

(Dominik Troger)

Dass es musikalisch eine feine Sache wird, das hatte man irgendwie erwartet. Dass die Szene auch mit Geschmack das Werk erzählt, hatte man kaum zu wünschen gehofft. Ein großer, bedeutender Premierenerfolg.

Das Strauss'sche Spätwerk hat es an sich, Feinschmeckern vorbehalten zu sein. Selbige leckten sich nach dem gestrigen Abend die von Strauss'schem Streicheröl erglänzenden Lippen und zogen, die Herzkammern von Bothas Prachtstimme und von Merbeths zarter, mädchenhafter Daphne erfüllt, bukolisch gesättigt von dannen. Ich auch.

Strauss nahm mit der „Daphne" Ovids „Metamorphoserei" und andere Quellen wieder auf – in Zeiten, wo man die Antike gerne als Fluchtpunkt vor zwingenden äußeren Umständen gesetzt hat, und das nicht nur in Deutschland. Mir persönlich ist diese Antiken-Rezeption der 30er, 40er und frühen 50er Jahre immer verstaubt vorgekommen – auch wenn gerade Richard Strauss diesen Staub aufleuchten lässt wie kleine, im Sonnenlicht funkelnde Goldpartikel. (Uraufgeführt wurde die "Daphne" 1938 in Dresden.) Aber es hat sicher poetische Qualitäten, wenn sich ein schönes Mädchen in einen Baum verwandelt. In Schulzeiten, vom Lateinlehrer prüfungsgierig diesbezüglich befragt, mag man allerdings schneller zum Opfer solch fragiler, sich einem entziehender Schönheit werden, als im gesetzten Alter, wo einen schon der Zorn überkommen mag, ob solcher Zurückweisung (und ob der eigenen Unzulänglichkeit?!). Der pubertäre Jüngling wird die Liebe immer anders empfinden, als der reife Mann.

Bei Strauss trifft sich natürlich beides, in Leukippos, Daphnes Jugendgespielen, und Apollo, dem beziehungsgeprüften, entflammten und zürnenden Gott. Ausbaden muss die Geschichte das Objekt solch männlicher Begehrlichkeiten: die Frau. Das mag sich auch das Regieteam (Nicolas Joel und Pet Halmen) gedacht haben, das im Vorfeld (auch mich) mit ein paar psychoanalytisch begründeten Aussagen verschreckt hat: „Daphne habe Probleme mit dem Sex" oder so ähnlich, was sich mir gleich auf das Gemüt schlug. Nun, mag sein, dass sie das hat. Als Lorbeerbäumchen sowieso. Doch hat die Inszenierung bewiesen, was auch die Strauss'sche Musik im Übermaß besitzt: Geschmack. Und so nehme ich solche Erklärungen gerne entgegen, wenn sie mir nicht bühnengemäß dermaßen aufs Auge gedrückt werden, dass ich nicht mehr weiß, was hier gespielt wird. Daphne verwandelt sich laut Joel/Halmen am Schluss zwar in eine ionische Säule, aber so viel Abstraktionsvermögen lasse ich in diesem Fall gerne gelten.

Der Neoklassizismus des Bühnenbildes, die Villa eines vermögenden Herrn, der verklärend-melancholische Hauch des Fin de siècle schlägt sich weder mit dem Stoff noch mit der Musik. Das Inszenierungsteam hat dabei an die Münchner Villa Stuck gedacht, erfährt man im Programmheft. Daphne ruht zu Beginn im Vordergrund auf einem Sofa, angeschwiegen von ihrem Mann. Im Hintergrund ist eine große, noch von einem Vorhang verschlossene Bühne aufgebaut. Daphne beginnt zu träumen, der Vorhang öffnet sich, das Spiel beginnt. Das hat zwar nichts mit Richard Strauss zu tun, hat aber vor allem auch den Vorteil, dass sich die Regie den originalen Auftrieb von bukolischem Landvolk erspart (Schäfer am Fuße des Olymp!) – und dem Publikum vielleicht das Überschreiten jener Grenze, wo Klassizismus zum Kitsch verkommt. Antikisierende Ornamentik, eine gewisse pastellöse Farbgebung, auch die Kostüme, schaffen jedenfalls keine optischen Irritationen. Dem Bühnenbild könnte man höchsten Vorwerfen, dass es zu wenig naturnah ist. Die Muscheln, die anfangs mal vorüberziehen, sind in ihrer kühlen, abstrakten Symbolik kein Ersatz für das Grün der Bäume, das Daphne des öfteren besingt. Die Verlorenheit Daphnes – die auch in der Personenregie gut zum Ausdruck kommt – wird dadurch aber verstärkt – und so wie sich Strauss in die Antike zurücksehnte, die verloren ist, sehnt sich Daphne nach einer Natur, die es gar nicht mehr zu geben scheint. Die Verwandlung in die Säule mag das noch einmal schmerzhaft herausstreichen. Ich weiß nicht, ob die wenigen, an einer Hand abzuzählenden Buh-Rufer am Schluss, sich durch diese Naturferne haben irritieren lassen. Was dadurch allerdings sehr gut herauskommt, ist zugleich die ganze Künstlichkeit, die dieser Oper auch innewohnt. Diese Sehnsucht nach Natur und dem bukolischen Ideal einer auf Grund schmaler Überlieferung wiederbelebten Antike ist in starkem Maße auch eine philologische Rekonstruktion, ein Bildungsbürger-Traum. Ihn zu träumen, diesen Luxus, muss man sich erst einmal leisten können.

Und die Strauss'sche Musik ist natürlich unvergleichlich luxuriös. Sie schwingt wie sonnenbestrahltes Blattwerk, schüttelt silbernes und goldenes Laub über alles und jedes, flirrt in Lichtreflexen und huschenden Schattenflecken, allerdings ohne sich darin aufzulösen. Der Schmelz der Streicher, die Fragilität von zartergrünten Blattranken wächst, ja perlt, aus einem nicht allzu umfangreichen, aber biegsamen und festen Stamm, der wie ein ewiges, den Menschen zugedachtes Fatum, die arme Daphne durchbohrt. Er kommt in der Partie des Apollo am besten zum Ausdruck, die Strauss wahrhaft göttlich und herrschaftlich angelegt hat. „Aber wer vermag das zu singen?“, denkt man sich, und hört dabei Johan Botha zu, und kommt aus dem Staunen nicht heraus. Es mag ungerecht erscheinen, wenn man das göttliche Opfer, Daphne, erst an der zweiter Stelle nennt, aber was Botha in dieser Partie leistet, mühelos und immer raumfüllend, die siegreiche Lichtmacht Apolls besingend, mit sonneerstrahlender Höhe oder in langen Phrasen um Daphnes Liebe buhlend, entzieht sich ganz einfach normalen Maßstäben.

Ricarda Merbeth ist eine ausgezeichnete Daphne. So viel vorweg. Sie gibt der Partie eine berückende Zartheit, sie trägt das hellere Grün frischknospender Blätter – um bei diesem Vergleich zu bleiben. Man könnte sich mehr Dramatik wünschen, noch mehr Virtuosität, eine mehr tragendere, ausgreifendere Stimme, würde darüber aber jene jugendliche Betroffenheit verlieren, die Daphnes „Opferrolle" jeglichen Heroentums entkleidet – und sie dadurch so glaubhaft macht. Wie steht es nicht in der Regieanweisung zu Daphnes erstem Auftritt? „Daphne kommt von links. Sehr jung, fast kindlich."

Michael Schade, der zweite Tenor, den Strauss in dieser Oper ins Feld schickt, war weniger präsent, schien den richtigen stilistischen Zugang nicht wirklich gefunden zu haben. Ist seine Stimme doch zu lyrisch, zu wenig auffirnend unter der Liebe zu Daphne und zu wenig fordernd zugleich? Vielleicht hat hier auch die Regie den Jüngling ein bisschen zu ironisch genommen und nicht so stark an ihn geglaubt wie an Daphne und den selbstherrlichen Apoll. Aber Schade war eindeutig der weniger überzeugende Eckpunkt dieses Dreiecksverhältnisses. Die restliche Besetzung kommt nur phasenweise zum Singen, Walter Fink hatte als Peneios mit den Strausschen Anforderungen schon mehr zu kämpfen, Marjana Lipovsek war eine sehr bestimmte und wohlakzentuierte Gaea, fast mit zuviel Realismus in der Stimme.

Dirigent Seymon Bychkov folgte willig dem von Strauss ausgelegten Klangteppich, den eingewebten Gold- und Silberfäden, brachte ab dem Auftritt Apolls auch immer mehr Spannung hinein. Besonders die Streicherakzentuierung war auffallend, das fast solistische Herausheben mit exquisitem, aber nicht schmalzigem Klang. Er lies es nicht zu dick auftragen, wahrte letztlich doch eine hauchdünne, kühle Transparenz, sehr gut auf die Inszenierung abgestimmt. So blieb die klassizistische Distanz gewahrt und die Contenance ging nicht verloren. (Die aufflirrenden Klangketten der Violinen kamen nicht immer so sauber, kristallen durchwachsen wie man es sich vorstellt, da wird sicher noch etwas Feintuning ansetzen.)

Woran man sich allenfalls noch hätte stoßen können? Am dunkel gehaltenen Kostüm des Apoll? Der Lichtgott in „schwarz"? Aufgefallen ist es mir, gestört hat es mich nicht. Von guter Wirkung war jene große, überdimensionale, weiße Maske, die mehrmals erscheint, die auch die Dionysosfeier im Hintergrund begleitet. Die kurze Balletteinlage war ebenfalls ohne Peinlichkeiten choreographiert. Am Schluss, den bin ich noch schuldig, taucht der Mann vom Beginn wieder auf (es ist Apoll). Der Vorhang ist geschlossen. Die Szenerie ist die des Beginns - nur seine Frau ist fort. So schließt sich der von der Regie hinzugefügte und dezent umgesetzte Inszenierungsrahmen.

Die erste Überraschung war schon der ausverkaufte Stehplatz. Die zweite Überraschung, dass es kaum ein Flüstern gab während der Vorstellung, kaum ein Kommen und Gehen, wodurch sich in letzter Zeit vor allem touristische Aktivitäten in der Staatsoper auszeichneten. Sollte hier gar die „Daphne“, zum letzten Mal 1972 auf dem Spielplan, ihren Durchbruch geschafft haben? Die Folgevorstellungen im Repertoire, schon nächsten September, werden zeigen, ob da etwas dran ist. Ich glaube es nicht. Das Premieren-Publikum reagierte jedenfalls frenetisch. Bei Botha sowieso. Wenige Buhs trübten den Beifall für das Regieteam, das sich insgesamt sehr breiter Zustimmung erfreuen konnte. Fazit: Ein voller Erfolg.