CAPRICCIO
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Theater
an der Wien Dirigent: Bertrand
de Billy Inszenierung: Tatjana
Gürbaca |
Die
Gräfin - Maria Bengtsson Tänzerin
- Agnes Guk |
„Capriccio”-Premiere im Theater an der Wien: Die „Geister der gefallenen Krieger” spielen Oper – oder so ähnlich. Mit Richard Strauss hatte das nur mehr am Rande zu tun. Regisseurin Tatjana Gürbaca hat sich zu dem Strauss’schen Konversationseinakter, der nicht ohne Selbstironie über das Verhältnis von Wort und Musik in der Oper philosophiert, eine Rahmenhandlung einfallen lassen. Um erst keinen Missverständnissen Raum zu geben, wird hiermit selbige nach der Handlungszusammenfassung des Programmheftes zur Aufführung zitiert: „Auf dem Schlachtfeld der Geschichte. Bilder aus vergangenen Zeiten tauchen auf, Geister Verstorbener kehren zurück. Während die Gräfin die Toten betrauert, inspiziert ihr Bruder die Leichen. Erinnerungen überlagern sich.“ Glücklicher Weise feiern diese Leichen auf der Bühne des Theaters an der Wien rasch ihre Wiederauferstehung und entpuppen sich als Opernsänger und -innen. Aber ihr „untoter“ Charakter ist nicht zu übersehen. Flamand ziert beispielsweise ein dunkelrot verkrustetes Einschussloch an der Schläfe, das ihn zum Glück nicht am Singen hindert. Aber dieses Detail ist symptomatisch für diesen Abend: Die Ideologisierung der Bühne führt in dieser Inszenierung zu einer fast schon absurd anmutenden Verdrehung des Stücks, die in Form einer wenig geschmackvollen Maskerade dem Ancien Régime der Handlung (ein Schloss bei Paris um 1775) gleich die Revolution und den Zweiten Weltkrieg aufsetzt. Dabei hat Gürbaca – wie viele Vertreter des sogenannten „deutschen Regietheaters” – profundes Handwerk zu bieten, was an der Personenführung und an der stringenten konzeptionellen Umsetzung abzulesen war. Die Mitwirkenden bewegen sich auf einer relativ steil ansteigenden, weitgehend leeren Bühne (ausgestattet mit einem Cembalo und zwei Hammerklavieren und einem beschleiften Trauerkranz), die eine Art von „Schützengraben” von der Rampe trennt. Von dort führen einige große Stufen zu einer Fläche hinauf, die nach dem Hintergrunde zu abschließt. Die untoten Sängerinnen und Sänger hantieren viel mit Waffen, sie suchen ganz ohne Etikette intensiv Nähe und Zärtlichkeit, und sie werden durch die Inszenierung mehr darin behindert als bestärkt, sich in den gewitzt-lockeren und mit leichtem Sentiment unterlegten Strauss’schen Konversationston hineinzufinden. Verschärft wird diese Figurenaufstellung durch Kriegsgerät und Stahlhelme, durch Kriegsversehrte, blutige Mullbinden und seltsame Kostümierungen (die Seeräubermütze von La Roche war ja vielleicht noch ein witziges Aperçu auf seine Theaterdirektorenschaft). Verschärft wird diese Figurenaufstellung zudem während der Balletteinlage durch die moralische Desavouierung des Bühnenpersonals: Wenn die Männer eine kindliche Ballettelevinnen-Puppe gierig in Stücke reißen während sie doch vorgeblich so hochgeistige Gespräche führen. Und die Entlarvung des Souffleurs als Großindustriellen, der dem verdutzten Haushofmeister einen goldenen Modellpanzer aus seinem Zylinder zaubert, ist auch so ein Bühnencoup, der die Gürbanca-Inszenierung von „Capriccio” zu einer politisch korrekten „moralischen Anstalt” aufbläst – und das mit erhobenem Zeigefinger! „Capriccio” ist aber der falsche Zeuge für solche Bekenntnisse: Diese Oper lebt einen intellektuell kitzelnden Genuss zwischen Eros und Kunstgespräch, der weltfern, zeitlos, gleichsam sich selbst genügt. Nennen wir es einen kunstphilosophischen Diskurs – der das durchhaltefähige Publikum nach über zwei pausenlosen Stunden mit einem wunderschönen Strauss’schen Abgesang belohnt. Es mag moralisch verwerflich sein, dass es Menschen gibt und Komponisten, die sich solch „blasiertes Gehabe“ auch in schweren Krisenzeiten leisten können. (Die Uraufführung von „Capriccio” datiert in das Jahr 1942.) Doch ist es nicht auch fragwürdig, die Kritik an einem solchem Verhalten am Stück selbst anzubringen und es dadurch für die eigenen weltanschaulichen Zwecke zu entstellen? Das Finale gestaltete sich zum Glück ruhiger, wurde zu einem großen „Über-die-Bühne-Schreiten“: Komponist und Dichter marschierten langsam auf – und langsam ab. Und plötzlich stand die massakrierte Balletteuse wieder da, sie winkte der Gräfin zu, sie deutete ihr. Vielleicht ein wiederbelebter Hoffnungsmoment, an dem sich die Gräfin wie an dem sprichwörtlichen Strohhalm aus ihrer Tauer herausziehen kann? Es spricht für das Ensemble, dass einem gesanglich viel mehr Richard Strauss geboten wurde, als man angesichts dieser Inszenierung hätte erwarten dürfen. Maria Bengtson folgte als Gräfin den Fußstapfen ganz großer Rollenvorbilder, das Timbre vielleicht eine Spur nüchterner als selbige und nicht per se luxuriös, aber mit intakter Höhe und dem gewissen schwebenden Klang. Im Finale fehlten vielleicht noch die Reserven für die letzte Emphase, für das letzte schwelgerische Aufblühen, um den ganzen Genuss aus der verschwenderischen Sentimentalität dieser Partie herauszuholen. Ihr Bruder war beim wohlklingenden Bariton von Andrè Schuen sehr gut aufgehoben. Daniel Behle meisterte auch die Forte-Töne des Flamand und Daniel Schmutzhard sorgte für einen angemessenen Olivier. Wie immer stimmlich mit beeindruckender Durchschlagskraft und wortdeutlich agierte Lars Woldt, dessen La Roche mir für einen „Impresario“ allerdings zu wenig abgebrüht war. Die Clairon von Tanja Ariane Baumgartner war mir eine Spur zu unsinnlich für den vom Stück geforderten erotisierenden Schauspielerinnenberuf. Das italienische Sängerpaar, Elena Galitskaya und Jörg Schneider, sorgte für eine gelungene „Einlage”. (Schneider war am Beginn der Vorstellung wegen einer akuten Verkühlung angesagt worden.) Monsieur Taupe wurde leider gänzlich ein Opfer der Regie – und Erik Arman sang ihn auch etwas glatt und mit wenig Humor. Die acht Diener waren stimmlich gut aufeinander abgestimmt und Christoph Seidl lud mit seinem wohlgefälligen Bass zum Souper. Die musikalische Belebung der Konversation aus dem Orchestergraben erzielte zwar nicht ganz die erhoffte klangliche Luxuriosität, gelang aber über weite Strecken und die insgesamt gute Wortdeutlichkeit der Sänger stützt diese These. Das Finale mit passend fülligen Streichern – von Bertrand de Billy am Pult quasi zelebriert – gelang recht schön, steigerte sich zu einem gefühlvollen, ausatmenden und mit ironischem Augenzwinkern beschlossenen Abschiednehmen. Das Publikum folgte dem Abend diszipliniert. Die Ballettszene, in der die fragile Tänzerin gegen eine zu massakrierende Stoffpuppe ausgetauscht wurde, erregte zwar den Unmut eines Besuchers, aber sein „Buh“ blieb ohne weitere Reaktion. Dafür richtete sich beim Schlussvorhang ein unüberhörbares Missfallensvotum gegen das Regieteam. Die Bravorufer und Beifallspender hatten es zuerst nicht leicht, dagegen zu halten. Der Applaus dauerte rund sieben Minuten lang. |