ARIADNE AUF NAXOS
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Staatsoper
19. Dezember 2012
Premiere

Dirigent: Franz Welser-Möst

Regie: Sven-Eric Bechtolf
Bühne: Rolf Glittenberg
Kostüme: Marianne Glittenberg
Licht: Jürgen Hoffmann

Koproduktion mit den Salzburger Festspielen

Die Aufführung war dem Andenken an Lisa Della Casa gewidmet.

Der Haushofmeister - Peter Matic
Ein Musiklehrer - Jochen Schmeckenbecher
Der Komponist - Christine Schäfer
Der Tenor / Bacchus - Stephen Gould
Ein Offizier - Daniel Lökös
Ein Tanzmeister - Norbert Ernst
Perückenmacher - Wolfram Igor Derntl
Lakai - Marcus Pelz
Zerbinetta - Daniela Fally
Die Primadonna / Ariadne - Krassimira Stoyanova
Harlekin - Adam Plachetka
Scaramuccio - Carlos Osuna
Truffaldin - Andreas Hörl
Brighella - Pavel Kolgatin
Najade - Valentina Nafornita
Echo - Margarita Gritskova
Dryade - Olga Bezsmertna


Ariadne trägt keinen Federhut
(Dominik Troger)

Die Wiener Staatsoper hat sich eine neue „Ariadne auf Naxos“ verordnet und die diesjährige Produktion der Urfassung von den Salzburger Festspielen „übernommen“. Sie wurde mit einigermaßen brauchbarem Ergebnis für die viel repertoiretauglichere Zweitfassung „adaptiert“. Die Premiere ging erfolgreich über die Bühne.

Die Spannung vor dieser Premiere hielt sich in Grenzen. „Ariadne auf Naxos“ ist ein Werk für Liebhaber, Publikumsrenner spielen in einer anderen Kategorie. Außerdem war klar, was die Premierenbesucher erwarten würde: gediegenes Musizieren und in Sachen Inszenierung die übliche Bechtolf-Glittenberg’sche-„Meterware“, die offenbar immer mehr zum zweifelhaften künstlerischen Maßstab aktueller „Staatsopern“-Regie avanciert.

Die Sache hatte in diesem Fall nur einen größeren Haken – und der hakte beim „Vorspiel“ zur „Oper“: Sven-Eric Bechtolf ist das süddeutsch-österreichische Flair der Strauss-Hofmannssthalschen-Opernmanufaktur nach wie vor ziemlich fremd. Von einem Regisseur, der es geschafft hat, in seiner Staatsopern-„Arabella“ das nach wie vor florierende Wiener Ballwesen abzuschaffen und in eine – ich schreibe das mal so salopp – zwielichtige Hamburger Bar zu verlegen, kann nicht erwartet werden, dass er die Vorgänge im Haus des „reichsten Mannes von Wien“ mit den geforderten Zwischentönen schildert und mit einem passenden Lokalkolorit versieht.

Was ebenso auffiel: Dass Bechtolf wie schon die „Arabella“ so auch die „Ariadne“ mit einem 1920-er Jahre Flair umgab – zumindest einige Kostümen deuteten in diese Epoche: die schrecklichen Federhüte von Najade, Dryade und Echo etwa (Kostüme: Marianne Glittenberg), die clownesken Anzüge der Spaßmacher oder das exzentrische Leopardenkostüm von Bacchus, dessen schräge Wirkung durch einen Mantel allerdings abgemildert wurde. (Der Gedanke, Bechtolf/Glittenberg könnten dergleichen auch einmal einem neuen Staatsopern-„Rosenkavalier“ angedeihen lassen, weckt Befürchtungen – aber man soll ja nichts auf Gerüchte geben.)

Außerdem ist die Ähnlichkeit des Bühnensettings (Bühne: Rolf Glittenberg) mit der „Ariadne auf Naxos“ unter der Regie von Josef Ernst Köpplinger bemerkenswert, die 2009 an der Volksoper gezeigt wurde. Es gibt einen großen Saal, es gibt im Hintergrund eine Art Garten, und in der Oper dienen ein (Volksoper ) beziehungsweise drei (Staatsoper) Klavier(e) als wichtigstes Bühnenelement. Mit drei Klavieren kann man natürlich mehr „anstellen“ als nur mit einem: insofern kann die neue Staatsopern-Produktion sogar als „Fortschritt“ bezeichnet werden. Außerdem hat man die Klaviere an der Staatsoper „demontiert“ – und die dadurch entstehenden Schrägen dienen Zerbinetta beispielsweise als Rutsche. Praktischer Weise können die Sänger auch unten durchkriechen, die Klaviere als Abfalleimer benützen und anderes mehr. Der Komponist befindet sich während der Oper auf der Bühne und „begleitet“ die eine oder andere Arie – ein Klavier ist also noch in „intakt“. Dergleichen macht netten Effekt – wie überhaupt die „Oper“ an diesem Abend viel besser zur Geltung kam als das „Vorspiel". (In dem sich auch die lampenerhellten Schminktische, die eine Zeitlang die Bühne bevölkerten, als reinste Stimmungskiller erwiesen).

Insofern überraschte es nicht, dass sogar Peter Matic als Haufhofmeister nicht mehr zu dem „sublimen“ Tonfall fand, in dem sich ständedurchdringend ein aristokratisches hofmannsthal'sches (Kunst-)Österreichisch mit subtiler Boshaftigkeit vermischt. Aber in den 1920er-Jahren, so könnte man argumentieren, waren ohnehin schon alle nur mehr korrumpiert, und die Vorbilder für die altertümelnde hofmannsthal'sche Lebenswelt auf der Müllkippe der Geschichte gelandet. Insofern war es nur logisch, dass sich dieser Haushofmeister recht plump am herrschaftlichen Kaviar bediente. Matic war trotzdem eine tragende Säule dieses Vorspiels, das außer Norbert Ernsts köstlichem Tanzmeister nicht mehr viel an „Attraktionen“ zu bieten hatte.

Der Musiklehrer von Jochen Schmeckenbecher litt unter der Idee Bechtolfs, aus dem Musiklehrer einen „Künstler“ machen zu wollen, wodurch er sich viel zu wenig von seinem „Schüler“ abhob. Der im Libretto angesprochene Altersunterschied, der auf Lebenserfahrung und einen gesunden (wenn auch etwas schrulligen) Realismus abzielt, ging dadurch verloren. Bechtolf hat diese Figur viel zu „ernst“ genommen. Außerdem klang Schmeckenbechers Stimme für die Rolle nach meinem Geschmack stimmlich zu juvenil: das sang sich schön, aber es mangelte an Charakter.

Als Komponist vermittelte Christine Schäfers Sopran kaum die burschikos-drängende Emphase, magerte bei guter Höhe in der Mittellage für Strauss zu stark ab. Der jugendliche Überschwang des in seiner Welterfahrung noch ein wenig pubertär wirkenden Komponisten erklang deshalb viel zu abgeklärt. Ein Mezzo hat es hier leichter.

Das Orchester unter der Stabführung von Franz Welser-Möst ging vor der Pause zwar detailfreudig ans Werk, aber nicht sehr humorvoll. Auch hier fehlte der „leichte Zungenschlag“, das Gespür für die Durchmischung von Romantik und Ironie. Kein Wunder also, wenn der Pausenapplaus freundlich, aber doch eher verhalten erklang und gar nicht premierenjubelnd.

Nach der Pause verbesserte sich der Gesamteindruck deutlich. Das Orchester „berauschte“ sich an eindringlich gespielter „Kammermusik“ ebenso wie an der finalen Apotheose, und die Inszenierung fügte sich schließlich doch noch zu einem runden Ganzen. Dass ein paar Luster die Rolle der ewigen Sterne einnahmen, war zwar nicht wirklich poetisch, aber irgendwie scheint dieser „reichste Mann von Wien“ auch ein Sparmeister gewesen zu sein, was die Ausstattung seiner Privatbühne betrifft. Der Komponist und Zerbinetta umarmen sich am Schluss, da hat sich neben Ariadne und Bacchus noch ein Paar gefunden.

Krassimira Stoyanova gab ihr Rollendebüt als Ariadne am Haus. Nach etwas flackrigem Beginn fand ihr Sopran rasch in die Rolle hinein, sparte nicht an den geforderten Höhen und Tiefen und blieb den „edlen“, „unnahbaren“, „todessehnsüchtigen“ Charakter der Figur für meinen Geschmack doch ein wenig schuldig. Warum? Daran hatte die Regie keinen unwesentlichen Anteil, die das Vorspiel in der „Oper“ weiterlaufen ließ, und die Sängerin der Ariadne nicht von ihrer Rolle trennte. In der alten Produktion verließ Ariadne bei Zerbinettas Arie bald die Bühne, gestört in ihrer Todes- und Einsamkeitssehnsucht, gewissermaßen angewidert von der Lebensfreude Zerbinettas, der sie sich nicht mehr aussetzen mochte. Jetzt muss Ariadne auf „zickig“ machen, sich beim Komponisten beschweren, dass Zerbinetta eine sooo lange Arie singen darf etc. Dergleichen belebt natürlich die Personenführung, ist aber im Ergebnis doch eher zweischneidig, weil es die Integrität von „Ariadne“ als Opernfigur verletzt.

Stephen Gould war ein kraftstrotzender Bacchus, schauspielerisch unauffällig, bei dem das edle, „bärenfellige“, honiggelbe Timbre seines Tenors für die geforderte Kunstsinnigkeit sorgte (sonst hätte man ihn womöglich noch mit einem Theseus verwechselt) – und auch die tückischen Spitzentöne verpackte Gould gekonnt in seine immer angenehm und unangestrengt klingende heldentenorale Aura. Sein Auftritt erfolgte weit in der Bühnentiefe – und zukünftige Sänger der Partie könnten über diese „Startposition“ wenig glücklich sein. Denn die Bühne ist für dieses „Kammerstück“ eigentlich viel zu Tief gebaut und außerdem ziemlich leer. Die Akustik in den ersten zwanzig Minuten war ausgesprochen „hallig“, später besserte sich dieser Eindruck.

Daniela Fallys Zerbinetta glitt (fast immer) mit soubrettenhafter Leichtgängigkeit durch die schwierigen Koloraturen der „großmächtigen Prinzessin“, deren finale Noten ihr der Komponist auf Blättern noch händisch „nachreichte“ – eine hübscher Einfall. Allein wie es Fally geschafft hat, sich in diesem pummeligen roten „Haubenquasten“-Kostüm mit Grazie zu bewegen, verdiente Sonderapplaus.

Das Quartett der Spaßmacher – in einer Szene sogar mit Mini-Scooter flott unterwegs – hat summarisch betrachtet an ganz gewöhnlichen Repertoireabenden schon stimmiger geklungen. Die Unterschiede waren auffallend – und der Harlekin von Adam Plachteka beispielsweise schon recht raubeinig. Die Nymphen steuerten ihren Part ohne besondere Auffälligkeiten bei – ihre abstrusen Kopfbedeckungen zogen ohnehin die ganze Aufmerksamkeit auf sich.

Der Schlussapplaus war stark und dauerte über zehn Minuten lang. Es gab seitens des Publikums keinen Widerspruch. Aber ob die Wiener Staatsoper gerade eine neue „Ariadne“ gebraucht hat, diese Frage wird man stellen müssen. Sie zu beantworten, würde hier aber zu weit führen. Immerhin dürfen sich die Staatsopernbesucher schon auf die nächste Premiere freuen: „La Cenerentola“. Regie: Sven-Eric Bechtolf; Bühne und Kostüme: Rolf und Marianne Glittenberg.