DIE WEIDEN
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Staatsoper
8. Dezember 2018
Uraufführung

Musikalische Leitung: Ingo Metzmacher

Regie: Andrea Moses
Bühne: Jan Pappelbaum
Kostüme: Kathrin Plath
Lichtdesign: Bernd Purkrabek
Klangregie: Michael Acker, Sven Kestel
Video: Arian Andiel

 

Lea - Rachel Frenkel
Peter - Thomas Konieczny
Edgar - Thomas Ebenstein
Kitty - Andrea Carroll
Leas Mutter - Monika Bohinec
Leas Vater / Angler - Herbert Lippert
Peters Mutter - Donna Ellen
Peters Vater - Alexandru Moisiuc
Demagoge / Oberförster - Wolfgang Bankl
Fritzi - Katrina Galka

Frantzi - Jeni Houser
Krachmeyer - Udo Samel
Fernsehreporterin - Sylvie Rohrer
Flüchtling - Vitan Bozinovski
Wasserleiche - Selina Ströbele
Kameramann - Gregor Buchhaus


Die bösen Menschen vom Stromland
(Dominik Troger)

Das dritte Bühnenwerk der „Opernmanufaktur“ Johannes Maria Staud und Durs Grünbein wurde Samstagabend an der Wiener Staatsoper uraufgeführt. Aber wer sich für mehr zeitgenössische Werke auf den Opernbühnen ausspricht, muss auch damit leben, dass sich nicht jede Neuschöpfung als Geniestreich entpuppt.

Edgar Allen Poe galt der erste „Versuch“ von Staud/Grünbein. Auf die ziemlich „undramatische“ Veroperung seiner Erzählung „Berenice“ (2004) folgte mit „Die Antilope“ (2014) ein Werk, das die Vereinsamung des Menschen im globalen Wirtschaftsneoliberalismus aufgreift. Die dort u. a. verwendete Kunstsprache („Das Antilopisch“) kam dem mehr lyrisch orientierten Librettisten Durs Grünbein entgegen, die Handlung war einigermaßen fokussiert, und der Stoff passte gut zu Stauds „multistilistischer Kompositorik“. Mit den „Weiden“, einem Auftragswerk der Wiener Staatsoper, sollten aber offensichtlich noch größere „Brötchen“ gebacken werden: Scheiben zeitnahen politischen Theaters mit scharfem Aufstrich geschmiert, garniert mit den Salatblättchen einer Liebesgeschichte und dem Mayonnaise eines psychischen Selbstfindungsprozesses.

Lea ist die eigentliche Hauptperson des Stücks. Sie macht mit ihrem Geliebten Peter eine Flussreise per Kanu in dessen Heimat – ein Land, das an einem großen Strom liegt. Lea und ihr Geliebter lernen auf dieser Reise ein weiteres Pärchen (Kitty und Edgar) kennen, man reist gemeinsam weiter, die Liebesgeschichte wird zum sexuell unterfütterten Beziehungsdrama. Am großen Strom lebt außerdem ein rustikales, fremdenfeindliches Volk, und der Strom birgt Erinnerungen an eine vergangene Epoche politischer Willkür und menschlicher Opfer. Lea ist Nachfahrin einer einst in Zeiten großer Wirren aus diesem Stromland vertriebenen Familie. Sie kommt in die Heimat ihrer Ahnen zurück, und stellt fest, dass sich seit damals nichts verändert hat – oder dass sich dieses „Damals“ im „Heute“ wiederholt.

Es mangelt also nicht an Themen: Die individuelle Entwicklung der Hauptfigur wird durch die Konfrontation mit dem politisch „hinterwäldlerisch-konservativen“ Stromvolk bestimmt. Der werkimmanente Verweis auf eine missliche Vergangenheit dieses Volkes bezieht sich auf realhistorisches Geschehen unter dem Nationalsozialismus in Österreich. Grünbeins erzählerische Strommetapher mäandert zwischen diesen beiden Polen, möchte auf konkrete Missstände verweisen und sich doch eine poetische Distanz bewahren, landet dadurch aber im zu „Ungefähren" und verabsäumt es, den sprichwörtlichen „roten Faden“ abzurollen. Ein in der Handlung zu wenig begründetes Schwanken zwischen Realweltbezügen, surrealen und introspektiv-halluzinativen Elementen zieht sich durch die ganze Oper und macht es den Rezipienten schwer, sich in das Werk einzufühlen und sich in ihm zurechtzufinden.

Lea, die schon im Prolog eingeführte Hauptfigur, wird zu oft an den Rand gedrängt, ihre „Seelenreise“ in die „Gegenwart der Vergangenheit“ ihrer Ahnen (und ihrer selbst) wird mehr skizziert als tiefgründig aufgedeckt. Erst im Finale erhebt sie sich „über“ das Stück und wird zu der Identifikationsfigur, die sie vom Beginn an hätte sein müssen. Dieses oratorienhafte Finale („Gesang der Weiden“) fällt ohnehin aus dem Rahmen eines Werkes, das im Prolog noch den flotten Brecht/Weil’schen Songcharakter („Legende von den Karpfenmenschen“) sucht. Immerhin: Wenn die Opfer politischer Gewaltverbrechen dem Strom „entsteigen“ und sich ihre Seelen oder Geister um Lea zum mahnenden, meist a cappella gehaltenen, „antikisierenden“ Schlusschor gruppieren, dann stellt sich sogar emotionale Betroffenheit ein.

Das Libretto bedient außerdem viel zu einseitig alle möglichen Klischees: Von Mehlspeisen über Sportschützen bis hin zum im Auwald migrantenjagenden Oberförster und dem eine völkische Rhetorik pflegenden Komponisten Krachmeyer (Sprechrolle) ist alles böse und durchtränkt mit dem Odem von Kellernazis. Lea ist – so die Inhaltsangabe – übrigens Philosophin. Im Finale entschlüpft ihr der Satz: „Der Sinn der Politik ist Freiheit.“ So ein Spruch lässt sich natürlich gut auf ein Plakat malen, aber für eine ausgebildete Philosophin klingt er ziemlich unbedarft.

Stauds Musik überzeugt, wo sie, wie in den Zwischenspielen (hier Passagen genannt) symphonische Durchschlagskraft erzielt. Der gewaltige Orchesterapparat (ein Teil des Schlagwerks wurde aus dem Orchestergraben ausgelagert und wird elektronisch zugespielt) ist dann an seinem Platz, zwischen Streicherglissandi und etwas Scelsi-Blech breitet sich gleichsam die szenenverbindenden Wasser des breiten Flusses aus, der in der Oper "Dorma" genannt wird und der ins "Graue Meer" fließt. (Wer dabei an die Donau denkt, wird nicht falsch liegen). Die untermalende Begleitung der Singstimmen in den Dialogen ist filigraner, nicht immer dem Sprechduktus angepasst - und vor allem entwickeln die Figuren auch musikalisch wenig Eigenleben. Nur Kitty zeigt mit etwas „Koloratursoprangehabe eine - zumindest bei der Erstbegegnung - klar ins Ohr springende Koketterie.

Neben dem schon angesprochenen Ausflug zu Brecht/Weil hat Staud die Hochzeit im zweiten Bild mit popartigen Klängen hinterlegt (
Wir brennen darauf, dein Leben zu sprengen"), die ein wenig an rhythmische Messlieder der 1960er- und 70er-Jahre erinnern. Wagnerzitate, Meistersinger" und Tristan", sollen auf die dunkle deutsche Romantik" verweisen und haben die angesprochene Hochzeit gewürzt. Dieser Verweis auf einen weltanschaulich verwerflichen/ambivalenten Richard Wagner war Staud offenbar ein großes Bedürfnis. In Erinnerung blieb auch das Solofagott in Passage 4, von dem sich dann schon ein Bogen ins Finale und zu Lenas arioser Schlussanwandlung spannte. Solche verinnerlichende, musikalische Momente hätte es ruhig mehr geben können, um das Geschehen emotional zu vertiefen.

Die Inszenierung von Andrea Moses ist zwar in einigen Punkten ein bisschen
platt geraten und fügt den angesprochenen Klischees weitere hinzu, hat aber - etwa durch den Einsatz der Drehbühne - der Uraufführung wahrscheinlich mehr genützt, als geschadet. Wenn zur Naturkatastrophe im fünften Bild plötzlich Plakate mit Szenenanweisungen vom Schnürboden hängen (etwa Der Landesteg wird von den Wassern fortgerissen), dann weiß das Publikum wenigstens, was jetzt passiert, und warum Kitty und Edgar so in Panik geraten. Das über die Bühne schwebende rote Kanu war auch ein guter Blickfang. So ist es Moses gelungen, die Szenen einigermaßen zusammenzuhalten. Die zwischenspielartigen Passagen wurden von Videos untermalt, Fluss- und Aulandschaften, da konnte man nichts falsch machen.

Die Besetzung wurde von Rachel Frenkel (Lea) angeführt, die am Beginn wegen einer Verkühlung angesagt wurde, aber während der Vorstellung keine Probleme zu haben schien. Den Song im Prolog hätten Herbert Lippert und Monika Bohinec etwas
Brechtischer" präsentieren können. (Diese beiden Figuren, Leas Vater und Mutter, sowie den ganzen Prolog hätte man eigentlich streichen, den bereits angesprochenen, durchaus ins Ohr gehenden Song, woanders geschickt einbauen können.) Thomas Konieczny war ein kraftvoller Peter und Thomas Ebenstein führte seinen kräftigen Charaktertenor ins Feld, verführerisch die Kitty der Andrea Carroll. Die Schauspieler Udo Samel als Krachmeyer und die Fernsehreporterin von Sylvie Rohrer blieben blass bzw. letztere wirkte (regiebedingt?) eigenartig überdreht. Aber wie man das ganze hätte angehen müssen zeigte einmal mehr Wolfgang Bankl als Demagoge und Oberförster. Bankl macht aus solchen Typen einen Charakter und davon hätte man an diesem Abend wirklich mehr gebrauchen können. Ingo Metzmacher stand am Pult und sorgte für die offenhörlich gelungene musikalische Umsetzung.

Fazit: Nach drei Stunden (inklusive einer Pause) gab es viele Bravorufe, eine Handvoll Buhrufe für den Komponisten und Librettisten, und insgesamt elf Minuten langen Schlussapplaus. Er beschloss einen, nach meinem Eindruck, sich recht
zäh entwickelnden Uraufführungsabend. Vor acht Jahren ist die Uraufführung von Aribert Reimanns Medea an der Wiener Staatsoper doppelt solange bejubelt worden. Daraus mag jetzt jede/r selbst seine Schlüsse ziehen. Der Stehplatz war am Beginn gerammelt voll, leerte sich aber in der Pause beträchtlich. Die Weihnachtstouristensaison hat begonnen. Ansonsten hielt sich die Publikumsflucht in überschaubaren Grenzen.