DIE WEIDEN
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Staatsoper Musikalische Leitung: Ingo Metzmacher Regie:
Andrea Moses
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Lea
- Rachel Frenkel |
Die
bösen Menschen vom Stromland Das dritte Bühnenwerk der „Opernmanufaktur“ Johannes Maria Staud und Durs Grünbein wurde Samstagabend an der Wiener Staatsoper uraufgeführt. Aber wer sich für mehr zeitgenössische Werke auf den Opernbühnen ausspricht, muss auch damit leben, dass sich nicht jede Neuschöpfung als Geniestreich entpuppt. Edgar Allen Poe galt der erste „Versuch“ von Staud/Grünbein. Auf die ziemlich „undramatische“ Veroperung seiner Erzählung „Berenice“ (2004) folgte mit „Die Antilope“ (2014) ein Werk, das die Vereinsamung des Menschen im globalen Wirtschaftsneoliberalismus aufgreift. Die dort u. a. verwendete Kunstsprache („Das Antilopisch“) kam dem mehr lyrisch orientierten Librettisten Durs Grünbein entgegen, die Handlung war einigermaßen fokussiert, und der Stoff passte gut zu Stauds „multistilistischer Kompositorik“. Mit den „Weiden“, einem Auftragswerk der Wiener Staatsoper, sollten aber offensichtlich noch größere „Brötchen“ gebacken werden: Scheiben zeitnahen politischen Theaters mit scharfem Aufstrich geschmiert, garniert mit den Salatblättchen einer Liebesgeschichte und dem Mayonnaise eines psychischen Selbstfindungsprozesses. Lea ist die eigentliche Hauptperson des Stücks. Sie macht mit ihrem Geliebten Peter eine Flussreise per Kanu in dessen Heimat – ein Land, das an einem großen Strom liegt. Lea und ihr Geliebter lernen auf dieser Reise ein weiteres Pärchen (Kitty und Edgar) kennen, man reist gemeinsam weiter, die Liebesgeschichte wird zum sexuell unterfütterten Beziehungsdrama. Am großen Strom lebt außerdem ein rustikales, fremdenfeindliches Volk, und der Strom birgt Erinnerungen an eine vergangene Epoche politischer Willkür und menschlicher Opfer. Lea ist Nachfahrin einer einst in Zeiten großer Wirren aus diesem Stromland vertriebenen Familie. Sie kommt in die Heimat ihrer Ahnen zurück, und stellt fest, dass sich seit damals nichts verändert hat – oder dass sich dieses „Damals“ im „Heute“ wiederholt. Es mangelt also nicht an Themen: Die individuelle Entwicklung der Hauptfigur wird durch die Konfrontation mit dem politisch „hinterwäldlerisch-konservativen“ Stromvolk bestimmt. Der werkimmanente Verweis auf eine missliche Vergangenheit dieses Volkes bezieht sich auf realhistorisches Geschehen unter dem Nationalsozialismus in Österreich. Grünbeins erzählerische Strommetapher mäandert zwischen diesen beiden Polen, möchte auf konkrete Missstände verweisen und sich doch eine poetische Distanz bewahren, landet dadurch aber im zu „Ungefähren" und verabsäumt es, den sprichwörtlichen „roten Faden“ abzurollen. Ein in der Handlung zu wenig begründetes Schwanken zwischen Realweltbezügen, surrealen und introspektiv-halluzinativen Elementen zieht sich durch die ganze Oper und macht es den Rezipienten schwer, sich in das Werk einzufühlen und sich in ihm zurechtzufinden. Lea, die schon im Prolog eingeführte Hauptfigur, wird zu oft an den Rand gedrängt, ihre „Seelenreise“ in die „Gegenwart der Vergangenheit“ ihrer Ahnen (und ihrer selbst) wird mehr skizziert als tiefgründig aufgedeckt. Erst im Finale erhebt sie sich „über“ das Stück und wird zu der Identifikationsfigur, die sie vom Beginn an hätte sein müssen. Dieses oratorienhafte Finale („Gesang der Weiden“) fällt ohnehin aus dem Rahmen eines Werkes, das im Prolog noch den flotten Brecht/Weil’schen Songcharakter („Legende von den Karpfenmenschen“) sucht. Immerhin: Wenn die Opfer politischer Gewaltverbrechen dem Strom „entsteigen“ und sich ihre Seelen oder Geister um Lea zum mahnenden, meist a cappella gehaltenen, „antikisierenden“ Schlusschor gruppieren, dann stellt sich sogar emotionale Betroffenheit ein. Das Libretto bedient außerdem viel zu einseitig alle möglichen Klischees: Von Mehlspeisen über Sportschützen bis hin zum im Auwald migrantenjagenden Oberförster und dem eine völkische Rhetorik pflegenden Komponisten Krachmeyer (Sprechrolle) ist alles böse und durchtränkt mit dem Odem von „Kellernazis“. Lea ist – so die Inhaltsangabe – übrigens Philosophin. Im Finale entschlüpft ihr der Satz: „Der Sinn der Politik ist Freiheit.“ So ein Spruch lässt sich natürlich gut auf ein Plakat malen, aber für eine ausgebildete Philosophin klingt er ziemlich unbedarft. Stauds Musik überzeugt, wo sie, wie in den Zwischenspielen (hier „Passagen“
genannt) symphonische Durchschlagskraft erzielt. Der gewaltige
Orchesterapparat (ein Teil des Schlagwerks wurde aus dem
Orchestergraben ausgelagert und wird elektronisch zugespielt) ist dann
an seinem Platz, zwischen Streicherglissandi und etwas „Scelsi“-Blech
breitet sich gleichsam die szenenverbindenden Wasser des breiten
Flusses aus, der in der Oper "Dorma" genannt wird und der ins "Graue
Meer" fließt. (Wer dabei an die „Donau“
denkt, wird nicht falsch liegen). Die untermalende Begleitung der
Singstimmen in den Dialogen ist filigraner, nicht immer dem
Sprechduktus angepasst - und vor allem entwickeln die Figuren auch
musikalisch wenig Eigenleben. Nur Kitty zeigt mit etwas „Koloratursoprangehabe“ eine - zumindest bei der Erstbegegnung - klar ins Ohr springende Koketterie. |