BERENICE
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Ronacher
23.5.2004
Österreichische Erstaufführung
Koproduktion der Wiener Festwochen mit Münchner Biennale, Staatstheater am Gärtnerplatz, München, und Berliner Festspiele

Musikalische Leitung: Stefan Asbury

Regie: Claus Guth
Bühne und Kostüme: Christian Schmidt

Klangforum Wien

Schauspieler / Egaeus 1 - Matthias Bundschuh
Bassbariton / Egaeus 2- Otto Katzameier
Sopran / Berenice - Dorothee Mields
Mezzosopran / Der Vamp - Anne-Carolyn Schlüter
Schauspieler / Edgar A. Poe - Klaus Haderer
Hoher Sopran / Hausmädchen - Eva Resch
Alt / Die tote Mutter - Regine Mahn
Tenor / Ein Diener - Markus Zapp

Schauspieler / Hausarzt - Winfried Hübner
Mezzosiopran - Monika Lichtenegger
Sopran - Christina Landshamer
Hoher Bariton - Manuel Warwitz
Bariton - Manfred Bittner
Bass - Marcus Schmidl


Pathologie oder Parodie?
(Dominik Troger)

Zahnlos – das ist „Berenice“ am Schluss. Egaeus hat seiner Cousine die Beißerchen aus dem Mund herausgebrochen. Dabei ist sie nur scheintot gewesen. Eine Novelle von Edgar Allan Poe diente als Ausgangspunkt für die Oper „Berenice“ – eine Novelle, deren Pathologie in der Poe’schen Prosa wahrscheinlich besser aufgehoben ist.

Uraufgeführt vor wenigen Tagen in München, jetzt bei den Wiener Festwochen: Das erste abendfüllende Musiktheaterwerk von Johannes Maria Staud (*1974) ging im Ronacher über die Bühne. Staud wird im Programmheft mit folgendem Statement zitiert: „Das Resultat soll nun keine Oper sein, auch kein Schauspiel, sondern irgendetwas dazwischen in der Vielfalt der Schattierungen und Bedeutungsräume...“ Genau diese Uneindeutigkeit scheint der wunde Punkt zu sein.

Eineinhalb Stunden wird auf den Schluss hingearbeitet, der das einzige wirklich dramatische Moment des Abends verspricht. Hält die Spannung solange an? Lässt sie sich über eineinhalb Stunden sukzessive steigern? Wie entwickelt sich die Pathologie der Figuren und der Musik? Wie wird der Zahnraub szenisch umgesetzt? Aber auf dem langen Weg zu diesem Schluss merkt man schnell: In dieser Oper wird viel zu viel erzählt und viel zu wenig gehandelt. Dauernd erklärt Egaeus seine Befindlichkeiten. Sogar im Finale. Es gibt keinen Zahnraub. Es gibt nur den stockenden Bericht des Egaeus. Poe als Vorlesegeschichte. Daran kann auch eine Videoeinspielung nichts ändern, die kurz ein paar gezogene Zähne zeigt, ein Gruselbild für Zahnarztphobisten.

Wäre es nicht besser gewesen, Berenice und Egaeus aufeinander loszulassen? Der beste Moment des Abends ist genau jener, wo das passiert. Eine Rückblende in die Zeit der späten Kindheit. Anscheinend verführt sie ihn. Da kommt plötzlich Koketterie auf, da wird gespielt und nicht nur herumgestanden. Die Aufteilung des Egaeus in zwei Personen (Schauspieler und Sänger) – die das „gespaltene Ich“ darstellen sollen – ist ein weiteres Verzögerungsmoment. Die statische Interaktion zwischen den beiden „Ichs“ geht auf Kosten der Dramatik. Und der Regie ist auch nichts eingefallen, um die Beziehungen zwischen den einzelnen Protagonisten zu pushen.

Edgar Allan Poe kommt selbst in Spiel, muss sich mit einem prostituierenden Vamp(ir) herumschlagen und gegen Ende Ader lassen und sterben. Er sitzt im Auto und belauert seine literarischen Schöpfungen. Poetisch strahlt das Abblendlicht von der Bühne. Diese zweite Handlungsebene soll offenbar das Geschehen brechen, ein wenig mit dem Horrorgenre ulken; eine Glosse des Zeitgeists. Und als Zuschauer weiß man bald nicht mehr, was jetzt wirklich gespielt wird: Pathologie oder Parodie? Geschichte einer abartigen geistigen Verwirrung oder Revueeinlage für einen Dentologiekongress?

Leider wechselt auch die Musik zwischen den Stilen – und der Wechsel zwischen Poe-Revue und eindrucksvollen, erratischen, schlagwerklastigen Klanggewittern erhellt einem keine musikalische Notwendigkeit. Dadurch wirkt die Tonsprache abgegriffen, sogar die Glissandi, die den Vamp(ir) charakterisieren, stehen in ihrer Unverbindlichkeit den glamourhaften Auftritten Berenices um nichts nach (die sich wie eine singende Filmdiva gibt). Ich denke, man hätte sich für eine Richtung entscheiden müssen – die Horrorstory oder den Jux. Staud hätte für beides die richtige Musik gefunden – verunglückt ist nur diese Vermischung, die kein Ziel zu haben scheint.

Wie bringt man eine Novelle auf die Opernbühne? Die Vorgänger von Staud und Librettisten Durs Grünbein haben ihre Vorlagen dramatisiert. Bei „Berenice“ sind die selbstreflexiven Passagen viel zu lange. Diese indirekte Perspektive bremst die Handlung aus. Durs Grünbein versteht sich auf Lyrik – aber die Stellung des lyrischen Ichs ist auf dem Theater eine extrem schwierige. Eigentlich hat es dort nichts verloren. Und wenn, dann schreien die komplexen, zwanghaften Gedankengänge des Egaeus nach einer anderen Visualisierung, da genügt es nicht, sich minutenlang mit der Videokamera selbst abzulichten.

Die Bühne war in zwei Ebenen geteilt. Unten die Einfahrt mit dem Auto (Kennzeichen „E.A.POE“), rechts der Hauseingang, oben die Wohnung. Die Wohnungsfenster mit Jalousien ausgerüstet, die aufgeklappt den Blick auf die Innenräume freigaben: Bibliothek rechts, Wohnzimmer, Kaminzimmer links. In geschlossenem Zustand dienten die Jalousien als Projektionsfläche für Videoeinspielungen: depressives, schattenrissiges Baumgezweige oder Berenice in der Wiese.

Der Applaus war wohlwollend, natürlich gab es Bravos für Staud und auch für das Orchester und für einige der Sänger/Schauspieler. Einzelne Buh-Rufe für die Regie glaube ich herausgehört zu haben.

Das dünne Programmheft enthielt weder Libretto noch einen Szenenüberblick (und man hat trotzdem 3,20 Euro dafür verlangt). Der (für mich grundsätzlich fragwürdige) Einsatz von Mikrophonen hat den gesungenen Text auch nicht verständlicher gemacht.