DIE ANTILOPE
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Museumsquartier Halle E
14.11.2017

Musikalische Leitung: Walter Kobéra

Neuinszenierung: Dominique Mentha
Bühne: Ingrid Erb & Werner Hutterli
Kostüme: Ingrid Erb
Lichtdesign: Norbert Chmel
Klangregie & Live-Elektronik: Christina Bauer Choreinstudierung: Michael Grohotolsky

Wiener Kammerchor
amadeus ensemble-wien

Koproduktion von Theater Luzern, Lucerne festival, Oper Köln, Stiftung Haydn Bozen und Trient in Koperation mit Wien Modern.

Victor - Wolfgang Resch
Kollegin1 / Frau1 / Skulptur - Elisabeth Breuer
Kollegin2 / Frau2 / alte Frau - Maida Karisik
Sekretärin / junge Frau / Frau 3 / Passantin - Bibiana Nwobilo
Kollege 1 / junger Mann / Doktor 1 - Gernot Heinrich
Chef / Oberkellner / Doktor 3 / Wachmann - Ardalan Jabbari
Kollege 2 / Passant / Doktor 2 - Christian Kotsis
Mutter - Catrina Poor
Kind - Reoven Sushon
Kellner - Klaus Tauber, Ella Haid-Schmallenberg


Sprechen Sie Antilopisch?
(Dominik Troger)

„Die Antilope“ hat 2014 beim Luzern Festival das Licht der Welt erblickt, zog dann weiter nach Deutschland, um in Köln zu grasen, und beäst seit letzter Woche das Wiener Museumsquartier. Die Antilope heißt übrigens Victor, und ihre Taufpaten waren der Komponist Johannes Maria Staud und der Librettist Durs Grünbein.

Die Neue Oper Wien unter ihrem Intendanten Walter Kobéra hat „Die Antilope“ in Kooperation mit dem Festival Wien Modern in die ehemals kaiserlichen Hofstallungen gelockt. Dort kann sie zum Gaudium der Wiener als afrikanische Rarität bestaunt werden. „Dseren impala“, sagt dann die Antilope alias Victor zu den sie umstehenden Besuchern und diese, ganz zoologisch versiert, schließen daraus, dass der Librettist Durs Grünbein bei seinen neusprachlichen Wortschöpfungen auch an Aepyceros melampus LICHTENSTEIN, 1812, gedacht hat. Aber diese Besprechung soll lesbar bleiben und möchte sich nicht von der surrealistisch-dadaistischen Grundhaltung dieses „Die Antilope“ genannten Musiktheaterstücks vereinnahmen lassen. Die Premiere in der Halle E des Museumsquartiers fand am 11. November statt, hier wird von der zweiten Aufführung am 14. November berichtet.

Im Zentrum der Oper stehen die Kommunikationsprobleme von Victor, der „antilopisch“ spricht und den deshalb niemand versteht. Er springt bei einer überdrehten Firmenfeier aus dem 13. Stockwerk in die Tiefe, überlebt natürlich und erlebt eine Reihe von Abenteuern, ehe er wieder im 13. Stock bei der Firmenfeier auftaucht. Das Ergebnis ist eine rund 80 Minuten lange Szenenfolge in sechs, durch musikalisch Zwischenspiele oder Choreinlangen verbundenen Bildern: Firmenfeier – Bushaltestelle – Café & öffentlicher Platz – Stadtpark – Zoo – Firmenfeier bzw. Epilog. Victor wird dabei als Außenseiter gezeigt, mit dem niemand etwas anfangen kann. Nur eine moderne Skulptur, die im Stadtpark steht, und bei der Victor um Mitternacht vorüber kommt, antwortet ihm in seiner „antilopischen Sprache“ und singt ihn zart in den Schlaf. Auch ein Knabe, der in einem Café auf seine Mutter wartet, scheint an ihm Interesse zu zeigen. Im Epilog wird das Kind von seiner Mutter abgeholt: Das Kind heißt naturgemäß Victor.

Das Libretto basiert auf einem „poetischen Konstruktionsverfahren“, das bei dem – an dadaistische Nonsense-Verse erinnernden – „Antilopisch“ der Hauptfigur zum Beispiel Antilopennamen als Ausgangsbasis für eine „Kunstsprache“ verwendet. Grünbeins Poesie schlägt auch einige Male schwer über die Stränge: z.B. wird das moderne Kunstwerk im Park als „Sirene aus Stahl mitten im Aschenbecher der Stadt“ beschrieben. Im ersten Bild wird die heutige Businesssprache aufs Korn genommen (im Zusammenklang mit der Musik ergibt das eine revueartige Parodie auf gängige Marketingfloskeln). Ähnlich gestaltet ist auch die Ansprache des Chefs, der sie solange mit heldischem Pathos durchhält, bis er Nasenbluten bekommt.

In Anbetracht des Librettos erwies sich die Musik von Johannes Maria Staud als der maßgeblichere Beitrag (was bei einer Oper ohnehin nicht schaden kann). Seine Mischung aus komplexem Orchesterapparat und elektronischen Zuspielungen reichte von zugkräftigen Tanzmusikeinlagen bis zu klangmalerisch klirrenden Champagnerflaschen, von deftigem Bläsersound bis zum klavierbegleiteten Lied (Skulptur) und zum A-capella-Gesang – und nicht nur der Fall Victors aus dem 13. Stockwerk gab Anlass für den reichen Gebrauch von Glissandi. Staud behielt trotz der stilistischen Vielfalt die Zügel in der Hand, um durch die musikalische Abwechslung im Zusammenspiel mit Grünbeins Libretto für „intellektuelles Amüsement“ zu sorgen. Die emotionale Anteilnahme mit der Hauptfigur hielt sich (zumindest bei mir) aber in engen Grenzen.

Die Inszenierung von Dominique Mentha zielte wohl mehr auf den gesellschaftskritischen Aspekt. Victor wird bei der Firmenfeier von den Kollegen unter der langen Tafel hervorgeholt, wo er sich offenbar versteckt hat – im Finale wird die Mutter dort das im Café zurückgelassene Kind wiederfinden. Mentha arbeitete mit Verfremdungen wie die einheitlich dunkel gefärbten, maskenartigen Tierköpfe, die bei der Feier von den Angestellten getragen werden (für den Chef natürlich einen Löwen). Sie geben der Firmenfeier den Anstrich einer animalischen Ausschweifung. Die Einsamkeit Victors und seine Verlorenheit zeigte sich beispielsweise im Zoo, als er hinter Gitterstäben kauerte, bevor er mit einem Wachmann in Konflikt geriet, um danach von Kollegen entdeckt wieder auf eine Firmenfeier „abgeschleppt“ zu werden. Auf das singende Denkmal im Stadtpark hat Victor zuvor sogar ein Graffiti gemalt. Er hat in verfremdender Weise – von rechts nach links – das Wort „SINNLOS“ auf die Skulpturenflanke geschrieben!?

Als Antilopen-Victor stand Wolfgang Resch auf der Bühne. Man könnte ihn gleich von selbiger weg als Sprachlehrer für Antilopisch engagieren. Er brachte auch die Verletzlichkeit dieses Bühnencharakters sehr gut heraus, diese aus „Raum und Zeit“ in einen surrealen Traum gefallene Existenz. Hier hat zudem die Personenregie gut gearbeitet, Victor aus dem „gewöhnlichen Treiben“ der Bühnenfiguren herausgelöst und seinen „befremdenden Sprachgebrauch“ sozusagen szenisch visualisiert. Die übrigen Mitwirkenden teilten sich viele kleine „Nebenrollen“ auf, durch die Victor „taumelte“ wie von einem fremden Stern.

Das Orchester unter Walter Kobéra sorgte dafür, dass die kompositorische Energie spürbar wurde, die in Stauds Musik steckt, und spannte einen interessant bebildernden musikalischen Bogen. Das offensichtlich wenig enthusiasmierte Publikum spendete freundlichen Schlussapplaus.

Die letzte Vorstellung findet am 16. November statt.