PIERROT LUNAIRE / CABARET VOLTAIRE
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MuTH
Konzertsaal der Wiener Sängerknaben
13.12.2013
Premiere

Dirigent: Simeon Pironkoff

Regie: Peter Pawlik
Bühnenbild: Alexandra Burgstaller
Licht: Peter Thalhamer

Eine Produktion von PHACE in Koproduktion mit MuTH und mit Unterstützung der Stadt Wien (MA7)

Pierrot lunaire (Schönberg):

Sänger - Tim Severloh
Schauspieler - Béla Emanuel Bufe

Cabaret Voltaire (Zender):

Sänger - Tim Severloh
Schauspieler - Béla Emanuel Bufe



Dadaistisches Melodram
(Dominik Troger)

Im MuTH, Wiens neuester Musiktheaterbühne, wurde Arnold Schönbergs „Pierrot Lunaire“ mit Hans Zenders „Cabaret Voltaire“ zu einem einstündigen Abend zusammengespannt: als szenisches Experiment, das zumindest die grundsätzliche Kompatibilität der beiden Werke bewiesen hat.

Weder Schönbergs noch Zenders Opus sind Musiktheaterstücke im klassischen Sinne, auch wenn sie einer gewissen überspannten Theatralik nicht entbehren. Schönbergs „Melodram“ hat sich seit der Uraufführung 1912 als sehr flexibel erwiesen, bis zur vertanzten Version, ob Zenders an dadaistischer Poesie anschließendes „Cabaret Voltaire“ von 2001/02 bereits szenisch aufgeführt wurde, entzieht sich meiner Kenntnis.

Beide Stücke entwickeln sich stark aus der Sprache – und was Schönberg aus den Texten von Albert Giraud an lüstern-geheimnisvollen Farben zaubert und musikalisch ironisch kommentiert, wird von Zenders Rückgriff auf Hugo Balls Dadaistik in eine nicht minder lautmalerische, aber deutlich „provokanter“ gehandhabte Poesie übergeführt. Der Name des Zender-Stücks – „Cabaret Voltaire“ – schließt an das gleichnamige Lokal und Theater an, das Ball 1916 in Zürich gegründet hat.

Zenders Komposition gelingt es, den von einem achtköpfigen Kammerensemble begleiteten dadaistischen Silbenagglomerationen durchaus so etwas wie „Sinn“ abzugewinnen – ihnen den Duktus einer Fremdsprache zu geben, die zwar ohne semantische Bedeutung, dennoch emotionale Qualitäten und Stimmungen erahnen lässt. Zugleich ist der „Angriff“ auf das Establishment natürlich inkludiert: Zwischen Glissandi und ironisch boshaftem Saitengekratze brilliert diese „Sprache“, stößt sie die Zuhörer stakkatogedrängt vor sich her oder schmeißt sie sich ihnen gurrend an den Hals – und bleibt doch wie eine Fata Morgana nur Schimäre, ein wiegendes Wüstenschiff (Abschnitt 5: „Karawane – Karawane“) auf dem gleichsam die scharf gezeichnete Sängerin eines verraucht-verruchten Kellerlokals wie auf einem musikalischen Kamel dahinschwankt.

An diesem Abend wurden die beiden Werke laut Programm „erstmals in der Fassung für Countertenor und Ensemble“ gegeben. Doch ob ein Countertenor die Ausdruckskraft der beiden Stücke mehr befördert, oder ob er sie abschwächt, diese Frage muss vorerst offen bleiben. Beide solistischen Gesangspartien könnten durch das geschlechterverwirrende Klangbild eines Countertenors durchaus gewinnen, weil es einen weiteren doppelten Boden einzieht, der die Erwartungshaltung der Zuhörer untergräbt. Aber zugleich fehlt diesem Klang oft der Nachdruck, besitzt er eine Weichheit, die der hier intendierten Provokation das Wasser abgräbt. „Pierrot Lunaire“ scheint mir allerdings eine größeren Gestaltungsrahmen zuzulassen, als das Zenderstück, bei dem sich wohl nur durch einen ganz klaren, präzisen Ton und durch eine messerscharfe Artikulation jener Level an Virtuosität erreichen lässt, der die „dadaistischen Koloraturen“ silbengenau aus der Partitur „herausstanzt“.

Countertenor Tim Severloh hat sich der Aufgabe unterzogen, Schönberg und Zender gesanglich und darstellerisch zu „verknüpfen“. Das Resultat blieb etwas eindimensional. „Pierrot Lunaire“ in Alltags-Bürokleidung singen zu müssen, ist „unsexy“. Aber Serverloh hat für meinen Geschmack auch zu wenig stark aus einem textanalytischen Verständnis heraus „operiert“ – ein Punkt, der gerade dem Zender-Stück viel an markanter Schärfe nahm. Denn liegt der Clou nicht gerade darin, anhand einer offensichtlich sinnlosen Silbenansammlung, sinngebende Sprache vorzutäuschen? Das Phace Ensemble unter Simeon Pironkoff – rechts auf der Bühne postiert – hat diesen Eindruck kaum durch eine Zuspitzung der musikalischen Mittel ausgeglichen. Allerdings ist mir die Akustik im MuTH nicht vertraut. Ich saß weit hinten im zwar kleinen, aber mit wenigen Besuchern gefüllten Saal, und die Bühne schien akustisch weiter „weg“ zu sein, als optisch.

Peter Pawlik hat für die szenische Verschränkung gesorgt: zuerst Schönberg, daran unmittelbar anschließend Zender. Der Beginn zeigte besagten Angestellten auf dem Heimweg, er findet ein rotes Buch auf dem Boden, er hebt es auf und beginnt darin zu lesen. Natürlich handelt es sich um eine Ausgabe von Albert Giraud’scher Lyrik. Dass dieser Auftritt eines „normalen Angestellten“ wenig von der spezifischen Pierrotstimmung vermittelt, schwebte wie ein Damoklesschwert über den ersten zwei Dritteln von „Pierrot Lunaire“. Auch der schon leicht dadaistisch-surreal angelegte Wohnraum dieses Mannes erwies sich nicht gerade als „Stimmungskanone“: ein weißer Sessel, der hoch an eine schwarze Wand gehängt wird, eine kurze weiße Leiter, eine lange weiße Leiter, die der Sänger beklettert, um dann auf diesem Sessel sitzend zu „rezitieren“, ein hochgestelltes Bett, in dem er stehend ein Nickerchen hält, nachdem er sich zuvor noch in einem unmodischen blauen Pyjama präsentiert hat. Doch der Schlaf dieses „Gerechten“ ist zum Glück für das Publikum nicht traumlos: Am Beginn des dritten Teils kletterte ein Pierrot aus einer Kiste (Schauspieler: Béla Emanuel Bufe mit eloquenter Pantomime), der nun seinerseits das Gewand des Mannes anzog – und diesen in sein Pierrotkostüm steckte. Als Pierrot verkleidet sang dann der Mann vor einem Notenständer das Zender-Opus, während der bisherige Pierrot als Mann die Geschichte im Zeitraffer wieder von vorne begann: nach Hause kommen, sich mit der Leiter herumplagen, sich ins Bett legen.

Wenn dadurch eines vermittelt wurde, dann die Dekonstruktion von Wirklichkeit, die im Spannungsverhältnis von Zender zu Schönberg 90 Jahre später zum Ausdruck kommt – als ein irreversibler Prozess der Veränderung. Dem Schönberg-Stück hat dieser etwas lauwarme szenische „Dadaismus“ über weite Strecken nicht sehr behagt – und von der Fin-de-Siècle-Schwüle, die aus dem anarchischen Pierrot herausdampft, ist kaum etwas übrig geblieben. Auch Zenders musikalische Dada-Tirade wurde dadurch mehr ausgebremst als befördert: den Sänger wie in einem Konzert hinter einen Notenständer zu verbannen hat dieser Figur viel von ihrer Agilität genommen, die sich musikalisch doch so vehement äußert.

Noch eine Anmerkung zum MuTH, war es doch mein erster Besuch in diesem vor rund einem Jahr neu eröffneten Theater. Der Saal selbst scheint großzügig bemessen und ausgestattet mit bequemen „Kino“-Sitzen – die Foyers wirken optisch kühl. Ihre nicht sehr repräsentative Anordnung war wahrscheinlch der etwas verzwickten Lage des Grundstücks geschuldet, hat man mit diesem Bau doch ein heiß umkämpftes Stückchen Augarten „abgescherzelt“. Die Erreichbarkeit ist durch die nahe U2-Station ideal. Eigentlich hätte Wien jetzt eine neue moderne Spielstätte für zeitgenössisches Musiktheater.

PS: Die Personenbeschreibung von Peter Pawlik im Programmfolder müsste dringend überarbeitet werden. Weder hat die Neue Oper Wien Max Brands „Maschinist Hopkins“ uraufgeführt noch hat Pawlik dabei Regie geführt (die Uraufführung fand bereits 1929 statt!!). Richtig ist, dass Pawlik 1997 eine Produktion des Stücks für die Neue Oper Wien szenisch betreut hat. Aribert Reimanns „Gespenstersonate“ wurde nicht an der Kammeroper uraufgeführt. Pawlik hat aber an der Kammeroper die „Gespenstersonate“ inszeniert, und zwar 2010. Die Falschangaben finden sich auch auf der Homepage des Theaters an der Wien.

PPS: Und noch ein Tippfehler: Emmy Hennings hieß nicht Hemmy Hennings.