MOSES UND ARON
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Staatsoper
7.6.2006

Dirigent: Daniele Gatti

Inszenierung: Reto Nickler
Bühnenbild: Wolfgang Gussmann
Kostüme: Wolfgang Gussmann
, Susana Mendoza
Choreinstudierung: Norbert Balatsch, Janko Kastelic

Moses - Franz Grundheber
Aron - Thomas Moser
Junges Mädchen u.a.- Ildiko Raimondi
Junger Mann u.a. - Peter Jelosits
Der Ephraimit - Georg Tichy
Priester - Alexandru Moisiuc
Eine Kranke - Janina Baechle

Der nackte Jüngling - Johann Reinprecht
Ein anderer Mann - Morten Frank Larsen

u.v.a.
insgesamt rund 30 Solisten.


„Kult-Oper“
(Dominik Troger)

„Moses und Aron“, Schönbergs in Musik gefasstes religionsphilosophisches Fragment, hat nach vielen Jahren wieder die Staatsopernbühne erklommen. Die kollektive Kraftanstrengung des Staatsopernensembles führte zu einer über weite Strecken sehr dichten Aufführung.

Die Produktion stand vorerst unter keinem guten Stern. Regisseur Willy Decker musste krankheitsbedingt kurzfristig absagen, Reto Nickler übernahm und inszenierte in den bereits fertiggestellten, äußerst spartanischen und den Raum (zu) eingrenzenden Bühnenbildern von Wolfgang Gussmann. Nickler schaffte einen sehr einfachen Zugang zum Werk, kontrastierte den „unvorstellbaren“ Mosaischen Gedankengott mit dem präsenten Ich-Götzen unserer Konsumgesellschaft und hatte somit ein Konzept, das die Fäden zusammenhielt. Musikalisch siegte der Chor auf allen Linien, vom früheren Chor-Leiter Norbert Balatsch seit Monaten trainiert. Daniele Gatti und das Orchester sorgten für den nötigen Rückhalt, für viel Transparenz und konzentrierte, expressive Spannung, aus der immer wieder solistisch Instrumentenstimmen zu sinnlicher Virtuosität herauswuchsen.

Die beiden Hauptfiguren, Moses (Franz Grundheber) und Aron (Thomas Moser), lieferten sich ein spannendes Ringen um die bestmögliche Art der Gottes-Verkündigung. Dass mich Aron dabei mehr an einen etwas windigen, public relation-getriebenen Volkstribunen erinnerte, wird wohl Absicht gewesen sein. Moser ging die schwierige, hoch gelegene Partie nicht immer ganz leicht von der Kehle, er hatte sie aber gut im Griff. Franz Grundhebers Moses ist das Zweifeln schon bei seiner Berufung anzumerken, so als ob er ahnte, dass jede Vermittlung dieses reinen Gott-Gedankens scheitern muss. Sein Sprechgesang ist vom Glaubenserleben durchdrungen, das pathetische Charisma eines Religionsführers betont er nicht. Grundheber bleibt auch als Moses Mensch, bis zum bitteren Zusammenbruch am Schluss des zweiten Aktes.

Während Aron als Volks-Verführer keine Probleme macht, ist die Zeichnung des Moses sicher heikler: Ist nicht er die Bühnenfigur, durch die die eigentliche Persönlichkeit Gottes zum Publikum sprechen müsste? Nicht, dass man sich eine in groben Ledersandalen einherschreitende cineastische Moses-Ikone zum Maßstab nehmen soll, deren Augen zornig auf das abgefallene Volk herabfunkeln, aber es stellt sich die Frage nach einer Autorität, die Moses von jeder Hilfsbedürftigkeit frei hält. Ich hatte nachher den Eindruck, dass Moses in diesem Punkt zu weich, zu nachgiebig gerät. Gerade die Eröffnungsszene, die hier Moses allein unter seinem Volke zeigt und die eine Visualisierung seines doch sehr konkreten Gottes-Erlebnisses vermeidet (brennender Dornbusch) geht in dieser Absenz bildlicher Darstellung wohl zu weit und verhindert, dass man als Zuschauer die eigentlich Berufung dieses Menschen begreift – die ihn zugleich über alle Menschen stellt. Auch auf das ausdrucksstarke Bild, dass ein Mensch die von Gott diktierten Gesetze buchstäblich zertrümmert, wird am Schluss des zweiten Aktes verzichtet und die Tafeln bleiben ganz. Statt dessen scheint Moses zu zerbrechen, an der Fragwürdigkeit dieses Auftrags, erhalten von einem „einzigen, ewigen, allgegenwärtigen, unsichtbaren und unvorstellbaren Gott“.

Eingangs habe ich angedeutet, dass Nickler versucht, die egoistische Selbst-Anbetung eines verrohten, orgiastischen Konsumdenkens zu entlarven. Konsequenterweise wird im zweiten Akt ein aus den Buchstaben „I“ „C“ „H“ gebildeter Tempel umschwärmt (= das „Goldene Kalb“) – von Choristen, die ihre schwarzen Anzüge und Kleider gegen goldene getauscht haben. Aron überwacht die Festivität mit fast mephistophelischem Gleichmut. In Videos – eine Installation, bestehend aus 6x6 Bildschirmen – werden nebst Schlachtungsbildern und halbseidenen Horrorvideos immer wieder Ballbilder eingeschnitten. Schönberg hat dieser archaischen Ritualhandlung sehr viel Platz eingeräumt. Eine glaubwürdige Bühnenrealisierung, die die Spannung hält, ist schwierig. Reto Nickler hat eine pragmatische, nicht unschlüssige Lösung präsentiert. Aber es ist keine Lösung, die die Phantasie beflügelt und ihren belehrungshaften Charakter wird sich kaum jemand zu Herzen nehmen.

Ein kurzer Rückblick ist interessant, aber wahrscheinlich wenig hilfreich: Von der alten Götz Friedrich-Inszenierung (Premiere 1973, Wiederaufnahme 1982) habe ich insgesamt fünf Vorstellungen in den 80er-Jahren gesehen. Im Gedächtnisspeicher vorrätig sind nur Rudimente: Die nackten Opfer-Jungfrauen in fleischfarbenen Trikots würden heutzutage ziemlich verstaubt aussehen, aber Moses zuckender Schlangenstab war ganz griffig gelöst. Fasziniert hat mich das erratische Pathos von Franz Mazura, Wolfgang Neumann war ein stimmschlanker, volks-verführender Aron. Im antikisierenden Stil von Szene und Kostümen drängt sich ein Vergleich mit dem „Oedipe“ auf, der ebenfalls von Götz Friedrich in Szene gesetzt worden ist. Musikalisch würde ich die damaligen Aufführungen unter Christoph von Dohnáyi höher einschätzen, wenn ich nicht wüsste, dass die Erinnerung gerne trügt.

Die Staatsoper – auch der Stehplatz – waren gut besucht. Weniger Publikum als erwartet suchte in der Pause das Weite. Relativ kurzer, aber doch starker Applaus mit vielen Bravorufen.

(2. Aufführung. Premiere: 3.6.06)