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Volksoper
2.11.2003
Halbkonzertante Aufführung

Dirigent: Elisabeth Attl

Die Frau - Heidi Brunner


Zwischen Kulturauftrag und Realität
(Dominik Troger)

Der neue Volksoperndirektor hat Dallapiccolas Einakter „Il Prigioniero“ dankenswerter Weise im Repertoire belassen – und er hat durch Hinzufügen von Schönbergs „Erwartung“ vor der Pause noch dankenswerterer Weise einen ganzen Opernabend daraus gemacht.

Freilich, die beiden Werke im Abonnement zu geben, dazu gehört schon ein gewisser missionarischer Eifer. Es war in der Pause nach der „Erwartung“: Bei der Garderobe ließen zwei ältere Besucherinnen ihrem Frust freien Lauf, während sie in ihre Mäntel schlüpften. Der Billeteur versuchte Verständnis zu wecken - eine der Damen antwortete entwaffend: „Wir wollen etwas Aufmunterndes, Lustiges, nicht so grau und grau.“

Ich glaube nicht, dass es noch viele Aufführungen dieser beide Werke an der Volksoper geben wird. Bis Mitte November hat man noch die Gelegenheit dazu, dann ist zumindest für diese Saison Schluss damit. Dabei hat sich – auch wegen Besetzungsänderungen – der „Gefangene“ zu einer musikalisch sehr ansprechenden Produktion gemausert, und die „Erwartung“, gleichsam eine Soloperformance von Heidi Brunner, ist nicht minder aufwühlend, erotisierend, emotional.

Heidi Brunner sang die „Erwartung“ sehr intensiv. Man hatte die Bühne mit einem Sessel versehen und einen dunkelblauen Hintergrund aufgezogen – eine sehr einfach Szene, „halbkonzertant“ wie das Programm vermerkte. Man hatte auch so einen schwarz gekleideten Herren auf die Bühne gestellt, mehr eine Art von „Raumfüller“, der wohl den verflossenen Liebhaber darstellen sollte, in der Art eines erinnerten „lebenden Bildes“ vielleicht, denn als im Wald vor sich hinmodernde Leiche. Über diese Szenerie und über die Bewegungschoreographie, die man Heidi Brunner hatte angedeihen lassen, kann man natürlich streiten. Es mag ein wenig nach Notlösung aussehen, setzt aber doch einige, den Ausdruck verstärkende Akzente. Störend war vor allem der Souffleur, der vom rechten vorderen Bühnenrand seine Stichworte auf die Bühne plärrte.

Brunner trug einen knöchellangen Umhangmantel, dem sie sich dann im zunehmenden erotisierenden Motivgestrüpp dieser etwas mondsüchtigen Story entledigte – und ihre bloßen Schultern wärmte dann der Schönberg'sche Eros. Brunner förderte so etwas wie eine andauernde, leidenschaftliche Über-Spannung zu Tage, die sich selbst aber nie aus den Augen verlor und eine gute Fährte durch diesen Wald legte. Das Orchester hielt mit Spannung dagegen, war emotional geführt, und weniger auf jene gläserne Klarheit bedacht, mit der man oft dazu neigt, Schönbergs Partituren zu sezieren. Dadurch verlor diese Musik viel von ihrer Künstlichkeit und gewann ein Art von triebhaftem Eigenleben, was mir persönlich die „Erwartung“ viel sympathischer macht.

Der „Gefangene“ stellte sich, wie schon erwähnt, musikalisch noch besser ein als im Frühjahr. Sebastian Holecek singt jetzt den „Prigioniero“, er singt ihn mit einer angenehmen, weicheren Stimme, die mehr die melodischen Linien herausstreicht, die dieses Werk – trotz aller Zwölftontechnik – durchziehen. Holecek bringt auch die Emotionalität, die in dieser Rolle steckt, besser zum Ausdruck als Morten Frank Larsen im Frühjahr, und er kann auch an den dramatischen Stellen richtig aufdrehen, ohne dass seine Stimme dabei zu stark forciert klänge. Das war eine ziemlich bravouröse Leistung.

Auch Elisabeth Attl betonte mit dem Orchester diese melodische Linie, sorgte aber auch für wuchtige Klangentladungen. (Ja, das Werk kam mir stellenweise wie eine jüngere Schwester von Puccinis „Turandot“ vor, und das war eine ganz überraschende und unerwartete Erkenntnis.) Auch Khatuna Mikaberidze als Mutter hinterließ einen sehr guten Eindruck, Kurt Schreibmayer gab wieder mit Erfolg den Kerkermeister.

Das Werk wird immer noch in dieser etwas eigenwilligen Bach’schen Ummantelung gespielt. Was man als einstimmenden Beginn noch irgendwie hinnehmen kann, erweist sich am Schluss für die unmittelbare Wirkung von Dallapicolas "Il Prigioniero" mehr störend als hilfreich.

Der Applaus war eher dünn, Bravorufe gab es von den hinteren Rängen für Brunner ebenso wie für Holecek. Obwohl der Abend wegen des frühen sonntäglichen Beginns schon um 20 Uhr zu Ende war, machte sich das Publikum viel zu rasch auf den Heimweg.