JULIE & JEAN

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Semperdepot
19. September 2018
Premiere

Musikalische Leitung: Walter Kobéra
Inszenierung: Carlos Wagner
Bühne & Masken: Andrea Cozzi
Kostüme: Anna Kreinecker
Licht: Norbert Chmel

Wiener Kammerchor
Amadeus Ensemble Wien

Julie - Anna Maria Pammer
Jean - Adrian Eröd

Stumme Rollen
Traum-Julie - Pamina Milewka
Traum-Jean - Will Lopes


Akrobatischer Geschlechterkampf

(Dominik Troger)

Die Neue Oper Wien hat für ihren Saisonstart das Semperdepot gewählt: „Julie & Jean“ von Gerhard Schedl versprach ein intensives „Match“ zwischen Mann und Frau in 12 Runden.

„Julie & Jean“ basiert auf einer stark gekürzten Version von August Strindbergs Einakter „Fräulein Julie“: Julie und Jean lernen sich auf einem Fest kennen, Jean hat einen niedrigeren sozialen Status als Julie. Julie macht sich an ihn heran. Es kommt zu einem erotischen Verhältnis, in dem Jean nach und nach die Oberhand gewinnt. Am Schluss begeht Julie Selbstmord. Strindbergs naturalistisch ausgelebter Geschlechterhass wurde von Gerhard Schedl und seinem Librettisten Bernhard Glocksin aber noch um Traumsequenzen und Kirchengesänge erweitert. Das Ergebnis ist komplex, ordnet sich rein formal betrachtet in zwei Akte zu je sechs Szenen, wobei die römisch-katholischen Messchöre als Eck- und Mittelpfeiler eingeschlagen wurden. Sie bilden den „Überbau“, in dem sich der Konflikt zwischen Julie und Jean abspielt, in den ihre mythologisch angehauchten Träume, ihren Monologe und ihre „Kampfstellungen“ eingebettet sind.

Diese Konstruktion bringt es mit sich, dass von der sozialen, klassenkämpferischen Sprengkraft der Strindberg’schen Vorlage wenig übrig bleibt. Die archetypische und metaphysische „Überhöhung“ der Figuren steht in einem eigenartigen Gegensatz zu ihrer – im Vergleich zu Strindberg – ohnehin nur mehr skizzenhaft geschilderten Liebesbeziehung. Vielleicht wollten Schedl und Glocksin verschiedene „Bezugsebenen“ ansprechen, konkreter, unbewusster, gesellschaftlicher Natur, die auf die beiden Individuen einwirken, die ihre Handlungsmotive steuern und ritualisieren. Immerhin lässt sich anmerken, dass die strenge formale Konstruktion dieses mehrdeutigen Beziehunsgrahmens dem Stück eine immanente Plausibilität verleiht, auch wenn im Detail betrachtet die beiden Figuren und diese strenge Formalität nicht wirklich zueinander zu passen scheinen.

Jede Interpretation von „Julie & Jean“ wird sich aber auch mit dem Schicksal des Komponisten befassen müssen, der im Jahr 2000 Suizid begangen hat. Das dargestellte Scheitern von Lebensentwürfen nährt biographische Verortungen und lässt einen den Schluss erwägen, dass dieses rund neunzig Minuten lange Stück insgesamt eine schwere Lebenskrise thematisiert, in der Verlustängste und metaphysische Hoffnungsschemen zu einem, in den beiden Figuren verdichteten existentiellen und „normativen“ Ringkampf antreten. Julies Selbstmord, ihr finaler Aufschrei wird dann zur mit sakralen Klängen geweihten Klage der lebensgepeinigten Kreatur an sich.

Aber als „Klebstoff“ dient – wie in jeder „guten Oper“ – ohnehin die Musik. Schedl setzt auf brutale Orchesterausbrüche, auf sensible, solistische und kammermusikalische Teile (bei den Traumsequenzen) und strenger Kirchenmusik. Eine reichhaltige Bläserbesetzung (ganz wichtig das Saxophon), Harfe, Orgel, fünf Streicher, Schlagwerk mischen die Klangfarben für eine reich gefüllte Ausdruckspalette. Schedl knüpft an der Streichersinnlichkeit eines Alban Berg an, an der Sopransinnlichkeit einer Salome und einer Lulu, begleitet den Ringkampf mit pathetisch aufgetürmten Bläserattacken und erotischen Harfentupfern. Der visionären Kraft dieser Musik ist das Sujet, auf das sie sich bezieht (einschließlich Libretto), eigentlich nicht gewachsen.

Die Uraufführung der Oper liegt 15 Jahre zurück. Sie ging im August 2003 als Koproduktion mit dem Salzburger Landestheater im Rahmen des Wiener Klangbogen Festivals ebenfalls im Semperdepot über die Bühne. Damals wurde der Kampfaspekt deutlicher herausgestrichen: die Oper spielte in einer extra in den Prospektsaal eingepassten Arena, die Zuschauer saßen reihum und auf Tuchfühlung mit den Protagonisten. Die Neue Oper Wien hat einen konventionelleren Ansatz gewählt: Das Publikum mit dem Eingang im Rücken, sah vor sich die Bühne und rechts das etwas erhöht positionierte Orchester. Die vierstöckige Galerie hatte man auf Höhe des ersten Stocks abgedeckt, nur durch ein Öffnung hingen weiße Stoffbahnen, die im Rahmen der Inszenierung eine wichtige Rolle spielen sollten.

Carlos Wagner hat in seiner Inszenierung die konkrete Beziehungshandlung von den Traumsequenzen deutlich abgegrenzt.  Die Begegnungen von Julie und Jean sind alltäglicher Natur, Jean scheint sich zum Beispiel im Schlafrock vor dem Fernseher mit einer Dose Bier in der Hand seiner Liebe zu Julie ganz sicher zu sein. In den Traumsequenzen wird dieser Beziehungsalltag aber phantasievoll aufgebrochen.Die Darstellung des überraschend reichen Traumerlebens dieses ungleichen Paares wurde von einer „Traum-Julie“ beziehungsweise einem „Traum-Jean“ bewerkstelligt. Pamina Milewka und Will Lopes als Doppelgänger der Protagonisten zeigten akrobatische Verführungskünste, nackte Körper, turnten auf den beiden bereits genannten Stoffbahnen, kletterten durch die Öffnung in der Abdeckung in den „Himmel“ hinauf oder rutschten von dort erdwärts. Sie vollzogen einen stilisierten Geschlechtsakt – und der Chor, mit Masken und seltsamen Kostümen angetan, assistierte dabei. Diese sehenswerten akrobatischen „Turnübungen“ verliehen der Aufführung einen starken visuellen und emotionalen Reiz und fesselten die Aufmerksamkeit des Publikums, haben aber für keine szenische Geschlossenheit gesorgt und die Radikalität der existentiellen Versuchsanordnung wohl auch zu Gunsten einer leichteren Rezipierbarkeit aufgeweicht.

Die beiden „Kampfteilnehmer“ waren darstellerisch souverän, von ihren sängerischen Voraussetzungen aber nicht ganz ebenbürtig: Adrian Eröd sang den Jean mit einem Bariton, der sogar in der mäßigen Akustik des Semperdepots noch kräftig klang, wortdeutlich, und ausdrucksmäßig wie immer mit einem starken Gefühl für die Literarizität von Texten ausgestattet. Anna Maria Pammer tat sich schwerer, Schedls forderndem kompositorischem Impetus gerecht zu werden. Das Orchester lag wie immer bei der Neuen Oper Wien in den bewährten Händen von Walter Kobéra.

Langer, starker Schlussapplaus beschloss den Abend. Weitere Vorstellungen am 22., 23. und 25. September.