LES HORACES
Aktuelle Spielpläne
Forum
Opernführer
Chronik
Home
Salieri Portal

Theater an der Wien
18. Oktober 2016
Konzertante Aufführung

Musikalische Leitung: Christophe Rousset

Ensemble Les Talens Lyriques
Chor Les Chantres du Centre de musique baroque de Versailles
(Leitung: Olivier Schneebeli)

Camille - Judith van Wanroij
Curiace - Cyrille Dubois
Le jeune Horace -Julien Dran
L'oracle, Un Albain, Valère, Un Roman - Philippe-Nicolas Martin
Le gran-prètre, Le grand-sacrificateur - Andrew Foster-Williams
Un suivante de Camille - Eugénie Lefebvre


Siegreiche Römer
(Dominik Troger)

Antonio Salieri steht derzeit im Theater an der Wien hoch im Kurs. Als Ergänzung zur szenischen Produktion seines „Falstaffs“ wurde die Oper „Les Horaces“ in einer konzertanten Aufführung gegeben.

„Les Horaces“ ist keine „lustige“ Oper und der Gegensatz zum „Falstaff“ könnte kaum größer sein. Das Werk wurde 1786 in Paris uraufgeführt, wo Salieri bereits zwei Jahre zuvor mit „Les Danaides“ einen großen Erfolg gefeiert hatte. Aber „Les Horaces“ sollte kein Erfolg beschieden sein.

Das Libretto war von Nicolas-Francois Giullard nach Pierre Corneilles Tragödie „Horace“ gefertigt worden. Die Handlung der Oper spielt noch zur Zeit der Königsherrschaft im alten Rom. Die Römerin Camille ist mit dem Albaner Curiace verlobt. Aber die Städte Rom und Alba Longa liegen in Fehde miteinander. Schließlich beschließen die Städte, dass drei Männer aus jeder Stadt gegeneinander um den Sieg in diesem Streit kämpfen sollen. Just werden die Brüder Camillens von Rom sowie Curiace und seine beiden Brüder von Alba in den „Ring“ geschickt. Im Kampf bleibt nur der junge Horace am Leben, der die Ehre Roms wiederherstellt – und dabei notwendiger Weise auch seinen zukünftigen Schwager umbringt. Camille gefällt das gar nicht und verflucht Rom und ihren siegreichen Bruder. Bei Corneille bringt Horace konsequenter Weise auch noch die Schwester um, weil sie ihr persönliches Glück über das Schicksal Roms gestellt hat – und wird im fünften Akt dafür zur Rechenschaft gezogen.

Die Oper Salieris hat sich den fünften Akt erspart. Folgt man der Salieri-Biographie des Zeitgenossen Ignaz Franz Edler von Mosel dann lag einer der Gründe für die misslungene Uraufführung darin, dass das Publikum den Schwesternmord nicht akzeptiert hat. Daraufhin wurde für die zweite Aufführung rasch ein neuer Schluss gefunden und Camille beging Selbstmord. Die konzertante Aufführung im Theater an der Wien präsentierte eine weitere Version des Finales: Valère wirbt nach Camillens Fluch um Verständnis für die fassunglose Liebende – und ein sehr patriotischer Chor beschließt die Oper.

Leider geht aus dem Artikel im Programmheft nicht hervor, wie es sich mit diesen unterschiedlichen Fassungen wirklich verhält. Denn es gab offenbar nur drei Aufführungen und die Partitur wurde nie gedruckt. Aus einem Manuskript der Partitur und aus handschriftlichen Aufzeichnungen für einzelne Instrumente und Stimmen (so die Publikumszeitschrift des Theaters an der Wien „Stagione“ Sept./Okt. 2016) wurde sie für Christophe Rousset und Les Talens Lyriques rekonstruiert.

Während zwei der französischen Opern Salieris „Les Danaides“ und „Tartare“ sich großer Wertschätzung erfreuten, wurde „Les Horaces“ schon von den Zeitgenossen schnell vergessen. Der Grundcharakter der Oper wird bereits in der Ouvertüre deutlich ausgedrückt. Sie gibt sich unter eifriger, militärischen Signalen nachgebildeter Blechbläserbeteiligung staatstragend, und lässt sanfteren Passagen – also der unglücklichen Liebesgeschichte – wenig Raum. Das Schicksal von Camille wird jedenfalls ganz von der Politik bestimmt. Die Momente eines idyllischen Beisammenseins in dem Bruder, Schwester und Verlobter sich am Beginn des zweiten Aktes noch eines süßen Friedens versichern, sind rar. Bald wird das Liebespaar getrennt, der alte Horace verdammt je nach Faktenlage den Sohn als Feigling – oder lobt ihn als Retter Roms – und dem Volk bleibt es schlussendlich vorbehalten, die tapfere Tat des jungen Horace in einem feierlichen Chor zu rühmen.

Das oftmalige „Wechselbad der Gefühle“ lässt zwar keine Langeweile aufkommen, aber die „dramaturgische Notwendigkeit“ des fünfaktigen Corneille Stücks ist bei der Komprimierung auf drei Opernakte ein wenig verloren gegangen. Die Oper stellt mit der Figur der Camille eine starke Frauenfigur ins Zentrum. Salieri knüpft hier bei Gluck an (z.B. „Alceste“) – und nach Salieri werden Spontini und Cherubini (z.B. „Médée“) ähnliche Rollen kreieren. Aber trotz prominent platzierter Arien fehlt dieser Camille das letzte Quäntchen Überzeugungskraft. Ihr letzter Auftritt, in dem sie aus Schmerz über den erschlagenen Geliebten an den Wahnsinn streifend Rom und ihren Bruder verflucht, ist im Rahmen der Handlung ein Tabubruch ohnegleichen – und klingt doch viel weniger furios als Elettras Wahnsinn im Idomeneo. Nicht, dass hier wieder Salieri gegen Mozart ausgespielt werden soll, aber wo Mozart Grenzen sprengt, bleibt Salieri bei aller Expressivität doch eine Spur zu konventionell.

Das Engagement von Christophe Rousset und Les Talens Lyriques war wie immer groß, und das Stück wurde präzis und differenziert auf den Punkt gebracht. Die Temporegie und der Einsatz dynamischer Abstufungen schien schlüssig und den jeweiligen Erfordernissen angepasst. Für meinen Geschmack sind die Les Talens Lyriques derzeit über Marc Minkowskis Les Musiciens du Louvre zu stellen.

Aus der Besetzung stach Jean-Sébastien Bou als Le vieil Horace heraus, ein leicht rauchiger Bariton mit heldischem Aplomb. Mitreißend gestaltete er im dritten Akt die Arie, in der der Alte in Unkenntnis des wahren Sachverhalts seinen Sohn Horace verflucht – autoritär anmaßend im Verdammen und im Lob. Die Stimme hat Power. Sie besitzt kein fülliges Timbre, dafür eine schlanke, gut projizierte Höhe und genug Geschmeidigkeit für lyrische Passagen.

Judith van Wanroij war eine mehr keusche als feurige Camille, ihr Sopran punktete in den lyrischen Passagen und in der ausgewogenen Gesamtwirkung. Für das Pathos und vor allem für das „Fluch-Finale“ hätte die Stimme etwas stärkere Farben bereithalten können. Ihr Sopran klang in der Mittellage eine Spur dunkler als in der Höhe, wo er zwar ein leichtes Strahlen entwickelte, sich aber eine Spur härter und begrenzter gab, als ich es mir gewünscht hätte. Zwei Tenöre traten als junger Horace (Julien Dran) und Curiace (Cyrille Dubois) an. Beide Stimmen hatten eine leichte Ähnlichkeit, eher hell timbrierte lyrische Tenöre, wobei Dubois in der Höhe punktuell etwas Mühe hatte. Der Curiace ist die lohnendere Partie, der junge Horace macht seinen wichtigsten Job abseits der Bühne, wenn er sich den mörderischen Kampf mit den Albaneser Burschen liefert.

Dazu gesellten sich der das Finale des ersten Aktes mit Autorität und schlankem Bass bestreitende Oberpriester von Andrew Foster-Williams sowie in kleineren und kleinsten Partien der Bariton Philippe-Nicolas Martin und Eugénie Lefebvre – die den insgesamt sehr ansprechenden Gesamteindruck ergänzten. Der Chor Les Chantres du Centre de musique baroque de Versailles sorgte mit Dramatik und sechs Haute Contres anstelle der tieferen Frauenstimmen für ein stilsicher agierendes römisches Volk.

Der Besuch im Theater an der Wien war schlecht, das Haus schätzungsweise nur zu einem Drittel gefüllt. Der starken Applaus wurde mit einer Zugabe belohnt, ein Chorstück unter priesterlicher Beteiligung wiederholt.