FALSTAFF OSSIA LE TRE BURLE
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Theater an der Wien
12. Oktober 2016
Premiere

Musikalische Leitung: René Jacobs
Inszenierung: Torsten Fischer
Ausstattung: Herbert Schäfer und Vasilis Triantafilopoulos
Licht: Torsten Fischer und Ralf Sternberg
Choreographie: Pavel Strasil

Orchester Akademie für Alte Musik Berlin
Chor Arnold Schoenberg Chor (Ltg. Erwin Ortner)

Sir John Falstaff - Christoph Pohl
Mrs Alice Ford - Anett Fritsch
Mr Ford - Maxim Mironov
Mrs Slender - Alex Penda
Mr Slender - Arttu Kataja
Betty - Mirella Hagen
Bardolfo - Robert Gleadow


Viel Action mit Falstaff
(Dominik Troger)

Die szenische Aufführung einer Oper von Antonio Salieri im Theater an der Wien war eigentlich schon überfällig. Mit dem 1799 in Wien uraufgeführten „Falstaff ossia Le tre burle“ wurde eine gute Wahl getroffen und zugleich dem Shakespeare-Jahr mit einer weiteren Oper „gehuldigt“.

Salieris „Falstaff“-Oper folgt einem stark vereinfachten Handlungsgerüst von Shakespeares „Die lustigen Weiber von Windsor“. Das Personal des Stücks wurde reduziert, Fenton und Anne eliminiert. Im Zentrum stehen Falstaffs dreimalige Versuche, bei einem Rendezvous mit Mrs. Ford zum „Abschluss“ zu kommen. Ein starkes Gewicht legt die Salieri Oper außerdem auf die Eifersucht von Mr. Ford. Beide Herren werden geläutert: Falstaff wird sich „nie wieder“ (zumindest behauptet er das), um verheiratete Damen kümmern, und Mr. Ford lernt, dass man es mit der Eifersucht auch übertreiben kann. Kulturgeschichtlich betrachtet stehen die moralisch geläuterten Helden dieser Oper noch ganz in der Tradition der Aufklärung.

Das ist ein wichtiger Punkt: bei allem Spiel, das mit ihrer buffonesken Hinterfragung der Librettist und Salieri mit dem Genre der Opera seria getrieben haben – die Handlung strebt letztlich zur Festschreibung eines Tugendideals, dass sich von der feengeschwängerten Schlussszene nicht irritieren lässt. Während bei Mozart schon erste Anflüge einer neuen Zeit heraufdämmern, bleibt Salieris „Falstaff“ ein Kind des 18. Jahrhunderts. Beethoven hat sich ein paar Jahre später an seine „Eroica“ gesetzt, in Deutschland begann der romantische Aufbruch, aber in Salieris „Falstaff“ herrscht noch ein spätbarocker Geist, der mehr Metastasio, Gluck und der Barockoper zugetan ist, als den von Mozart und da Ponte bereits angebohrten seelischen Abgründen. In diesem Fall „rettet“ allerdings der Stoff sozusagen die Oper für die Gegenwart, wenn sich auch der Shakespeare’sche Fettwanst von dem Schabernack, der ihm gespielt wird, weit weniger beeindruckt zeigt: Während er bei Salieri zumindest vorgibt, seine Fehler zu erkennen, schließt sein Vorgänger schon weit kryptischer: „When night-dogs run, all sorts of deer are chased.“

Musikalisch ist die Anknüpfung an Mozarts „Figaro“ unüberhörbar (etwa in den Ensembles, die Salieri geschickt entwickelt, denen aber Mozarts Esprit abgeht), aber auch an „Don Giovanni“ (etwa das Verhältnis von Falstaff zu seinem Diener Bardolf, der seine Unzufriedenheit mit dem Herrn wie Leporello auf der Bühne ausbreitet). In den accompagnierten Rezitativen schwingt hingegen noch viel Barockoper mit. Auffallender Weise hat Salieri dem Schlussbild kaum Naturstimmungen abgewinnen können, seine Musik bleibt hier ohne „romantische“ Vorahnung und fern dem nächtlichen Zauber, den Mozart zum Beispiel im vierten Akt des „Figaro“ entwickelt. Der erste Akt, der die erste „Abfuhr“ des Falstaff samt „Vorgeschichte“ ausbreitet, wirkt schlüssiger, als die im zweiten Akt zusammengedrängten Versuche Zwei und Drei. Auch wenn die Travestie Falstaffs witzig gerät, Mr. Fords Eifersuchtsanfälle entwickeln sich schon etwas penetrant, und das Schema der fruchtlosen Verführungsbemühungen Falstaffs hat man nach dem ersten Akt durchschaut. Zwar sind über die ganze Oper musikalische Leckerbissen verstreut, zu denen auch schon die neckische, Kontratänzen nachempfundene Ouvertüre zählt, aber die Handlung dünnt nach der Pause etwas aus und Salieris Genie bleibt eine Spur zu konventionell „liebenswürdig“.

Für die Produktion im Theater an der Wien spielte das kaum eine Rolle, weil das Produktionsteam um Torsten Fischer durch szenisches „Dauerfeuer“ der Musik ohnehin das Wasser abgegraben hat. In dem Fischer die Figur des Bardolf zu einer Art Mephisto stilisierte, der überall seine Finger im Spiel hat, und die begehrten Damen gleichsam mit einem Hofstaat von Weiblichkeit umgab, war auf der Bühne immer viel los – und die Sänger waren mehr Schauspieler, die auch zu singen haben. Nicht nur die engagierten Stimmen, sondern auch die Produktion zeigte kaum eine genussvolle Italianitá. Das „Schmähführen“ des buffonesken Salieri-Falstaff, der sich auch heute in Wien noch Wohlfühlen wurde, wurde mit „deutschem Humor“ und darstellerischer Akribie verwechselt. Sichtbares Zeichen dafür war jene Szene im zweiten Akt, in der sich Falstaff vor dem vermeintlichen Liebesabenteuer mit Mrs. Ford seines umgeschnallten Bauches entledigte und den Rest des Abends in Unterwäsche zu absolvieren hatte. Das Buffoattribut dieser Figur wurde über Bord geworfen, Falstaff wurde aus dem Stück herausgeholt und vermenschlicht, der lotterlebende Kerl humanisiert und dem Mitgefühl des Publikums anheimgestellt. Als Schlussgag wurde dieser arme „gehörnte“ Mensch dann sogar wie in einer Zaubershow nach Magierart zersägt – und es blieb offen, ob die beiden Körperhälften, von denen jetzt scheinbar jede allein in einem flachen, schwarzen Kasten ruhte, wieder zueinanderfinden würden.

Fischer hat die Handlung in ein neuzeitliches Windsor verlegt, eine alte Königin mit gelben Kostüm und Hut wackelte über die Bühne. Die Royals drohten wie aus Klatschblättern belebt ins Publikum. Es fehlte nicht an Witz, aber es fehlte an jener Doppeldeutigkeit, die nicht erst „zersägt“ werden muss, um sie zur Kenntnis zu bringen. Hier hätten auch die Sänger mehr sängerischen Freiraum gebraucht und weniger Aktionismus. Um nicht missverstanden zu werden: Die Produktion war sehr gut gearbeitet. Die ganze Konzentration war zu spüren, zu denen ein Stagionesystem fähig ist – in solcher Ausschließlichkeit liegt auch ein Mehrwert.

Das Finale des ersten Aktes, als kleine Plastikkugeln in ein Bassin regneten, war vom Effekt großartig – und im zweiten Akt mussten viele Mitwirkende in diesen Kugeln ein „Bad“ nehmen. Bei der Eifersucht des Herrn Ford hat die Regie allerdings schwer übertrieben. Und seltsam, dass Falstaff und sein Diener wie das Filmduo Oliver Hardy und Stan Laurel aufmarschierten, dann aber dieses Motiv, abgesehen von Falstaffs Kostümierung, nicht mehr weitergeführt wurde. Denn – und das ist verblüffend – in der Fischer’schen Exegese fand ich bei Falstaff keine Selbstironie. Musste er ihn deshalb am Schluss zersägen lassen, um der Figur noch eine Spur an Hintergründigkeit abgewinnen zu können?

René Jacobs hat mit dem Orchester Akademie für Alte Musik Berlin eine sehr affektbezogene, barocke Lesart dem Publikum nahe gebracht, mit einem kantigen Sound, der mir schon für den reifen Mozart wenig angenehm gewesen wäre. Salieris Musik hätte sich eine etwas weichere, sinnlichere „Ausführung“ durchaus verdient – und dadurch vielleicht sogar gewonnen. An Energie fehlte es nicht – und alles schien dermaßen szenisch und musikalisch „getrimmt“, als wollte man jeden Anflug von Langeweile schon im Keim ersticken.

Die Besetzung spielte großartig, gesanglich herrschten aber eher nüchternere Stimmen vor: schon der Falstaff von Christoph Pohl prunkte nicht mit einem reichhaltigen Bariton, der sich in feingliedrigeren Gefühlsäußerungen hätte ergehen können. Im Rahmen des Regiekonzeptes hat Pohl aber alles geboten, was zu bieten war – und noch dazu blendend gespielt. Maxim Mironow war der lyrischen Tenorpartie des Mr. Ford ein höhensicherer, aber wenig schmelzreicher Anwalt – ganz der unsinnigen Expressivität verschrieben, zu der ihn die Regie gezwungen hat.

Anett Fritsch hat Mrs. Ford mit viel Einsatz und Humor gesungen und gespielt. Als bewährte „Figaro“-Gräfin war sie hier am richtigen Ort, aber auch diese Figur wurde von der Inszenierung zu allerhand darstellerischer Übertriebenheit genötigt. In Alex Penda als Mrs. Slender fand sie eine versierte Vertraute, deren Sopran in der Tiefe schon so rauchig klang, als hätte sie üppig dem Gin zugesprochen (der auf einem Servierwagerl zur freien Entnahme bereitstand). Robert Gleadow wurde als Bardolf von der Regie sehr stark im Anspruch genommen – zeitweise quasi als „Bühnenarbeiter“. Mit seinem angenehm timbrierten Bariton hätte er Falstaff die Show stehlen können. Arttu Kataja gab stimmlich einen etwas trockenen Mr. Slender und Mirella Hagen war eine optisch und gesanglich hübsche Betty.

Rund acht Minuten Schlussapplaus, kein Missfallen: Das Premierenpublikum hat sich an diesem „Falstaff“ delektiert.