GUILLEAUME TELL

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Staatsoper
Wiederaufnahme

8. März 2024

Dirigent: Bertrand de Billy

Guillaume Tell - Roberto Frontali
Arnold - John Osborne
Mathilde - Lisette Oropesa

Melctal - Evgeny Solodovnikov
Walter Fürst - Stephano Park
Jemmy - Maria Nazarova
Gesler - Jean Teitgen
Rodolphe - Carlos Osuna
Ruodi - Iván Ayón Rivas
Leuthold - Nikita Ivasechko
Hedwig - Monika Bohinec


Gelungene Wiederaufnahme

(Dominik Troger)

„Tell-Schuss“ und „Rütli-Schwur“ – der treffsichere Armbrustschütze zeigt nach langer Abwesenheit an der Wiener Staatsoper wieder seine Kunst. Seit dem Jahr 2005 ist Gioachino Rossinis Veroperung des Schweizer Freiheitsmythos nicht mehr im Haus am Ring aufgeführt worden.

Nach „I vespri siciliani“ im Jänner hat die Staatsoper noch einmal ganz tief in ihren Fundus gegriffen und Rossinis „Guillaume Tell“ hervorgeholt. Die Produktion stammt aus dem Jahre 1998 und hat es in all den Jahren nur auf 28 Aufführungen gebracht. Damals hat Direktor Ioan Holender versucht, die große französische Opéra in Wien wieder salonfähig zu machen. Über zwanzig Jahre später ist wenig von diesen Bemühungen übrig geblieben – nicht einmal die geplante Wiederaufnahme von „La juive“ kam letzte Saison zu Stande.

Aber Rossinis „Tell“ hat jetzt auch nicht gerade das Renommee eine „spannende“ Oper zu sein. Die Staatsopernproduktion handelt den Schweizer Freiheitskampf in gut vier Stunden (inklusive zweier Pausen ab). Bei der Wiener Erstaufführung im Jahr 1830 sind die vier Akte sogar auf zwei Abende aufgeteilt worden. Und polemisch könnte man anmerken, dass das Publikum der Meinung sei, es habe mit großem „Aha“-Effekt nach dem rasanten Finale der Ouvertüre das bemerkenswerteste Stück des „Guillaume Tell“ ohnehin schon „inhaliert“.

Der Liebhaber wird solcher Ansicht natürlich vehement entgegentreten – und er tut gut daran, auch wenn die idyllischen Längen des ersten Aktes bereits von Rossinis Zeitgenossen bemängelt worden sind. Mit der aktuellen Wiederaufnahme ist der Staatsoper aber eine rundum überzeugende Aufführung gelungen, und die Inszenierung von David Pountney steht dieser Einschätzung nicht im Wege.

Pountneys teils ziemlich ironische Perspektive sucht erst gar keine „politischen“ Antworten: Im Finale ist die Idylle ganz im Sinne Rossinis wieder hergestellt und die alpine Luft von den unflätigen Ausdünstungen der Gesler-Mannen gereinigt. Zwar ist Pountneys Sicht der Dinge bei der Premiere vom Publikum recht kontrovers aufgenommen worden – über zwei Jahrzehnte später ist man hingegen für das solide Regiehandwerk des Briten dankbar: Immerhin erzählt er die Geschichte und verdreht die Handlung nicht ins Gegenteil. (Natürlich hätte man die Oper „politischer“ inszenieren können. Das wurde 2018 im Theater an der Wien versucht, aber mit sehr mäßiger Überzeugungskraft.)

Umbesetzungen im Vorfeld der Wiederaufnahme haben den erfreulichen Gesamteindruck nicht getrübt: Roberto Frontali war für Carlos Álvarez eingesprungen und konnte dem Tell genug Charakter abgewinnen, um ihn als aufrechten Verteidiger des Vaterlands und als liebenden Vater zu zeigen. Sein kerniger Bariton war zwar mehr zweckdienlicher Natur, aber gut auf die jeweilige Szene abgestimmt: kein marktschreierischer Anführer, sondern mehr überlegend, in der Szene mit Gessler im dritten Akt seine väterlichen Gefühle nicht verleugnend – wahrscheinlich die nachdrücklichsten Momente Tells im Laufe dieser Aufführung.

Den Heißsporn hat ohnehin Arnold zu mimen. Das Wiener Publikum konnte in dieser Partie wieder John Osborn begegnen, der bereits 2018 im Theater an der Wien in dieser schwierigen Tenorpartie überzeugt hat. Sein Ruf an die Staatsoper erfolgte nach der Absage von Juan Diego Floréz. Osborne war erst im Jänner als Arrigo in der „Sizilianischen Vesper“ auf der Staatsopernbühne gestanden, der Arnold liegt ihm viel besser. Das Theater an der Wien ist seinem schlanken, etwas trockenen, höhengeeichten Tenor allerdings akustisch besser entgegengekommen, als die Staatsoper, aber er manövrierte geschickt durch die Klippen der Partie, mehr viril als schmelzreich. Die feineren Seelenregungen des „Asile héréditaire“ im vierten Akt werden rasch gegen feurige Rachegelüste getauscht, bei diesen schien sich Osbornes Tenor doch etwas wohler zu fühlen.

Die von ihm begehrte Mathilde wurde von Lisette Oropesa verkörpert, in der Romanze des zweiten Akts noch mit einer auf mich leicht angestrengt wirkenden Stimme, ab dem dritten Akt dann mit einer leidenschaftlichen Darbietung – getragen von ihrem mitfühlenden Sopran, der wie eine kostbare, feingearbeitete Pretiose in rubinrotem Leuchten schillert und im dritten Akt auch das von Rossini geforderte Verzierungswerk mit der gebotenen Akkuratesse zu Gehör brachte. In der Auseinandersetzung mit Gesler um Jemmy legte die Sängerin ihre humanen Seele frei, aus der sich Mathildens Mut speist, dem Despoten die Stirn zu bieten – das beherzte Eingreifen Mathildens gegenüber dem grimmigen Gesler des Jean Teitgen war eine der mitreißendsten Szenen des Abends.

Jean Teitgen gab einen Gesler mit kräftigem, rauhem Bass, der den Bösewicht passend bedrohlich und mit menschenverachtendem Zynismus hervorkehrte. Er hatte im Rodolpho des Carlos Osuna einen willfährigen Handlanger. Und Maria Nazarova versprühte als Tells Sohn frische, unbekümmerte Jugendlichkeit. Ivan Ayón Rivas „segelte“ im ersten Akt als Ruodi in ein paar Metern Höhe in einem Boot über die Bühne, ein netter Verfremdungseffekt der Regie, der dem Sänger – so wie Rossinis Noten – einen „schwindelfreien“ Tenor abverlangt. Er entledigte sich der Aufgabe zufriedenstellend. Ebenso ohne Höhenangst agierten Evgeny Solodvnikov als Melcthal und Monika Bohinec als Hedwige, die auf meterhohen Figuren sitzend, über die Bühne geschoben werden. Sie alle waren Bestandteil einer insgesamt ansprechenden Ensembleleistung, Chor und Ballett eingeschlossen.

Das Staatsopernorchester unter Bertrand de Billy spielte differenziert und dynamisch gut eingestellt. Vor allem aber erfüllte de Billy die Ballettmusiken mit Esprit und bewies damit ihre Berechtigung, auch wenn sie rein musikalisch alle ein wenig nach demselben Leisten geschneidert sind. Der starke Schlussapplaus dauerte rund zehn Minuten lang.