GUILLAUME TELL

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Theater a.d. Wien
13. Oktober 2018
Premiere

Dirigent: Diego Matheuz

Inszenierung: Torsten Fischer

Ausstattung: Herbert Schäfer & Vasilis Triantafillopoulos
Licht: Torsten Fischer & Franz Tscheck
Choreografie: Karl Alfred Schreiner
Video: Jan Frankl

Wiener Symphoniker

Arnold Schönberg Chor

Guillaume Tell - Christoph Pohl
Melc
thal - Jérome Varnier
Arnold - John Osborn
Walter Fürst - Edwin Crossley-Mercer
Jemmy - Anita Rosati
Gesler - Ante Jerkunica
Rodolphe - Sam Furness
Ruodi - Anton Rositskiy
Leuthold - Lukas Jakobski
Mathilde - Jane Archibald
Hedwig - Marie-Claude Chappuis

 

Große Oper auf Schlankheitskur
(Dominik Troger)

„Guillaume Tell“ – Gioachino Rossinis Schiller Veroperung – ist nach 13 Jahren wieder einmal auf einer Wiener Opernbühne zu sehen. Das Theater an der Wien hat sich der letzten Oper des Meisters aus Pesaro angenommen: ein schwieriges Unterfangen.

Die Geschichte vom Schweizer Freiheitshelden erscheint im Gewand der Grande opéra als opulentes, von glasierten Maronistückchen umgarntes Kapaunenstück, einem Feinschmecker wie Rossini würdig, der Freiheitsidee, Oper und Ballett zu einem multimedialen Spektakel verschmolz, das Paris, der „Weltstadt“ des 19. Jahrhunderts, nur angemessen war. Aber bereits der Komponist selbst hat während der Uraufführungsproben wegen der Länge des Werkes Striche angebracht – und weitere sollten Folgen.

Der Aufwand der Grande opéra ist aus heutiger Sicht den Opernmachern nicht nur aus Kostengründen „suspekt“, das Verständnis für die Gesamtdramaturgie, die das Ballett natürlich einschließt, verloren gegangen. Die sklavische Fokussierung von Regisseuren auf eine „politisch relevante Aussage“ verstärkt diese Sichtweise. Das Interview mit Regisseur Torsten Fischer im Programmheft zur Aufführung ist ein gutes Beispiel dafür.

Dass Fischer mit dem Stoff grundsätzlich „Probleme“ hat, ist nachvollziehbar – die nationalistische Phrasologie der Bühnenschweizer kann einem schon zu denken geben – die Schlüsse, die Fischer für die Gegenwart daraus zieht, können ihr ideologisches Mäntelchen, in das sie schlüpfen, aber auch schwer verbergen. Überhaupt stellt sich wieder einmal die Frage, wie gesellschaftspolitisch relevant für die aktuelle Gegenwart eine Oper aus dem Jahre 1829 überhaupt noch sein kann, die selbst wieder einen historischen Stoff aus dem frühen 14. Jahrhundert bearbeitet? Diese Frage wird hier nicht zu klären sein, aber diese „Unvereinbarkeit“ mag dazu beigetragen haben, dass Fischers eingeschränkter Blick auf Rossini am Premierenabend den Eindruck erweckte, als habe hier jemand das politische Theater der 1970er- und -80er-Jahre aus der Mottenkiste geholt.

Ich will hier dem Regisseur aber nichts „ans Zeug flicken“, Fischer hat sich nicht mit „Mätzchen“ über die Problemstellungen hinweggeschummelt. Das Resultat war so redlich wie das Pathos der mit „Liberté“ bedruckten Flugblätter, die auf der Bühne geworfen werden. Wer würde sich dagegen aussprechen wollen, dass sich die Bühnenschweizer „Freiheit“ wünschen? Bedenklich wird es allerdings dort, wo der Warner vor Tells manipulatorischen Fähigkeiten (siehe besagtes Interview) selbst zum „Manipulator“ wird. Immerhin geht Fischer im Interview kurz darauf ein, dass man im Zuge der Produktion aus dem VATER Melcthal einen BRUDER gemacht habe – und dass aus dem alten Mann eine Art von „Geistlicher“ geworden sei. Fischer liefert aber keine Begründung für diese Änderung. Vielleicht war es die Absicht, die Figur näher an die Gegenwart zu rücken. Mit Schweizer Schäferidylle hatte Fischer ohnehin nichts „am Hut“, und natürlich auch nicht mit dem Ballett. Die Ballettmusik wurde fast ganz eliminiert – der Abend dauerte inklusive einer Pause trotzdem (zu) lange dreieinhalb Stunden.

Es wäre falsch zu behaupten, dass Fischer die Natur, die bei Rossini eine wichtige Rolle spielt (auch in der Musik) überhaupt nicht beachtet hat. Es gibt reichlich Bühnenschnee, der im Laufe der Ouvertüre gefegt und zu einem Schneehaufen „getürmt“ wird. Projektionen zeigen eine Abendstimmung oder den Mond. Ein Kreuz, das mit einer Eisschicht überzogen ist, tropft an der Rampe langsam vor sich hin (und dient im dritten Akt Geslers verehrungs(un)würdiger Dienstkappe als „Haken“). Die Bühne selbst wird von Metallelementen dominiert: ein großes Trittgitter senkt sich herab und begräbt den alten Melcthal am Ende des ersten Aktes fast unter sich. Ein Steg spannt sich als weitere Auftrittsmöglichkeit über die Bühne. Ein Militärjeep droht im dritten Akt vom Bühnenhintergrund.

Überhaupt das Militär: Wären alle diese Soldaten „echte“ Soldaten gewesen, das Theater an der Wien dürfte sich das bestbewachteste Opernhaus der Welt nennen. Egal ob Uniformträger in blauem Stoff oder die Mannschaft in Tarnanzügen: Es war schwierig, diesen Aufmarsch der Gesler’schen Privatarmee noch ernst zu nehmen. Videoeinspielungen zeigten Kampfflugzeuge, „verdoppelten“ quasi den Chor beim Rütlischwur – und lösten das Apfelschussproblem überraschend elegant.

Gut szenisch umgesetzt zeigte sich der Übergang ins Finale, bei dem von Arnolds bekannter Arie ausgehend die Drehbühne als Drehmoment diente, um die Bühnenschweizer Mannen in den Kampf zu „beschleunigen“. Mir unverständlich und unpassend zum Handlungsablauf war der Ringkampf zwischen Gesler und Tell. Schlussendlich hat Tell Gesler den Armbrustbolzen mit der Hand in den Leib gerammt. Über die Sinnhaftigkeit der Armbrust in einem Umfeld von Hochpräzisionsgewehren müsste eigentlich auch noch diskutiert werden; und über die Schaukeln am Beginn, wenn die Hochzeiter zusammenkommen (Schaukeln sind die neuen Koffer des „Regisseurtheaters“).

Ein wichtiges Element der Inszenierung war die starke choreographische Durchdringung der Massenszenen, zum Beispiel die „Gymnastik“ der Bühnenschweizer beim Rütlischwur samt nackten Oberkörpern –- Elemente der Stilisierung und kollektiven Gleichschaltung (die sich durch das Ballett genauso gut hätten darstellen lassen).

Musikalisch klang es aus dem Orchestergraben (Dirigent: Diego Matheuz) ein bisschen äquivalent zur Bühne: etwas „spartanisch“, bedingt stimmungsvoll und zu wenig differenziert. Die Ouvertüre tönte schwammig und fand zu keiner federnden Eleganz. Die idyllischen Momente drängten zum Schleppen, die dramatischen Szenen hatten deutlich mehr Energie, die Schlusssteigerung (sozusagen der oben angesprochene Drehbühnenmoment) zeigte eine starke Wirkung.

Für die Höhepunkte des Abends sorgte der Arnold von John Osborn – das wurde vom Publikum auch beim Schlussapplaus entsprechend gewürdigt. Die Mittellage seines Tenors klang zwar etwas trocken, aber in der Höhe gewann die Stimme ein viriles, kräftiges „Squillo“ – und dergleichen bekommt man heutzutage viel zu selten „serviert“. Osborns Tenor agierte insgesamt differenziert und ausdrucksstark. Im Zwiegespräch mit Mathilde suchte er auch den süßen Ton der Liebe, und so manövrierte er überzeugend zwischen martialischen Spitzentönen und einem feiner gewobenen Kontext emotionaler Gefühlsäußerung.

Als Mathilde ist Jane Archibald nach Wien zurückgekehrt. Ihr ehemals leichter Koloratursopran ist deutlich gereift, und das Timbre hat einen leicht herb klingende Färbung angenommen. Das verlieh ihrer Stimme Individualität und der Mathilde Persönlichkeit, ließ aber vielleicht die Leichtigkeit und „Finesse“ vermissen, die man dieser Art von „französischem Sopran“ auch gerne zuschreiben würde. Aber diese mangelnde „Brillanz“ war in diesem Bühnenumfeld kein Fehler, der sich einem aufgedrängt hätte.

Der Sänger des Tell hat es schwer: Er steht selten so wirklich ganz selbst im Mittelpunkt und muss doch mit seiner Autorität den ganzen Abend lang bezeugen, dass die Oper zu Recht nach ihm benannt ist. Christoph Pohl war ein nüchterner Tell, mehr Funktionsträger der Revolution. Seine Stimme, mehr schlank als üppig, passte gut zum „ideologie-pragmatischen Rahmen“ der Inszenierung, der eben nicht auf Opulenz ausgelegt war. Mit dem Gesler von Ante Jerkunica bewegte er sich auf Augenhöhe, wobei es Jerkunica mit schlankem, etwas harschem Bass leichter hatte, den Unsympathler zu spielen und stimmlich das Haus zu füllen.

Für den dunklen Bass von Jérome Varnier (Melcthal) war der Abend handlungsbedingt nach dem ersten Akt leider schon wieder zu Ende. Anita Rosati lieh Tells Sohn eine noch etwas zarte Sopranstimme, und Anton Rositskiy, als Ruodi, der in dieser Produktion einen Betrunkenen zu mimen hat und der gewehrhantierend die Anfangsidylle sofort leicht in Frage stellt, ließ sich von den tenoralen Tücken seines „Eingangsliedchens“ nicht beunruhigen. Auch die restliche Besetzung und natürlich der Arnold Schönberg Chor haben sich der Aufgabe gut angepasst und im Wesentlichen als stimmiges Kollektiv gewirkt.

Der Schlussapplaus im Theater an der Wien wechselte zwischen stark und freundlich – Buhrufe gab es keine. Der in der Vergangenheit an Premierenabenden oft gehörte (übermäßige) Jubel stellte sich nicht ein.