TANCREDI
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Theater an der Wien
15.10.2009
Premiere

Musikalische Leitung: René Jacobs
Inszenierung: Stephen Lawless
Ausstattung: Gideon Davey
Bewegungsregie: Lynne Hockney
Licht: Patricia Collins

Orchestre des Champs-Élysées
Arnold Schoenberg Chor (Ltg. Erwin Ortner)

Argirio - Colin Lee
Amenaide - Aleksandra Kurzak
Tancredi - Vivica Genaux
Orbazzano - Konstantin Wolff
Isaura - Liora
Grodnikaite
Roggiero - Ruby Hughes


Mäßiges Interesse weckend ...
(Dominik Troger)

Mit dem 1813 uraufgeführten „Tancredi“ versucht sich das Theater an der Wien derzeit an einem Melodramma eroico des jungen Gioachino Rossini – ein Versuch, der sich in einem trägen, fast dreieinhalb Stunden dauernden Opernabend erschöpfte.

„Tancredi“ erzählt die Geschichte von zwei verfeindeten Familien im mittelalterlichen Syrakus, von einer verbotenen Liebe und von einer ziemlich grob gesponnene Intrige, die sich als dramaturgisch wenig zwingend erweist. Rossinis Musik enthält einige effektvolle Chöre und Arien, fesselt hin und wieder das Ohr durch eine überraschende und stimmungsvolle Instrumentation und steuert Momente der Liebesklage bei, die schon Bellini'sche Süße und Schwermut erahnen lassen.

In Summe tragen aber meiner Meinung nach weder Libretto noch Musik eine drei Stunden währende Opernaufführung – es sei denn, das Publikum wird durch die Virtuosität der Ausführenden gefesselt. Der eine oder andere Strich mag außerdem dazu beitragen, die Handlung auf das Wesentliche zu fokussieren. Und wenn man eine Partie wirklich nicht erstklassig besetzen kann, dann empfiehlt es sich, das Verzierungswerk oder Wiederholungen zu straffen oder auf die eine oder andere Arie gleich ganz zu verzichten.

Erschwerend kam in diesem Fall hinzu, dass René Jacobs, Musikalischer Leiter der Produktion, bei der Suche nach seinem „originalen“ Rossini die sprichwörtliche Spritzigkeit dieser Musik mit einem langatmigen „musikwissenschaftlichen Vortrag“ verwechselte. Außerdem stellte sich mir bald die Frage, warum gerade das Orchestre des Champs-Élysées verpflichtet worden war. Es überraschte mit unpräzisem Spiel und einem dumpfen, etwas schwammigen und unflexiblen Klangbild. Dabei hatte Jacobs im Programmheft noch angemerkt, dass die Meinung vorherrsche, Rossini auf Originalinstrumenten gespielt, würde den Orchesterklang „viel lebendiger machen“ – eher das Gegenteil war der Fall. Möglicherweise haben sich die historischen Vorstellungen von Jacobs (Rossini als Komponist in barocker Tradition?!) und die spieltechnischen Anforderungen nicht ideal ergänzt und die Musiker ein wenig „aus der Bahn“ geworfen. Nachdem es sich um die erste praktische Auseinandersetzung von Jacobs mit einer Rossini Oper gehandelt hat, findet sich möglicherweise noch Verbesserungspotential.

Die Besetzung blieb ebenfalls hinter den Erwartungen zurück. Tancredi selber, Vivica Genaux, wurde in der Pause als indisponiert angesagt. Schon im ersten Teil war ihr leiser, leicht nasal belegter Mezzo aufgefallen, und am Schongang änderte sich verständlicher Weise auch nach der Pause nichts. Es spricht für die Sängerin und ihre gute Technik, dass der Abend ohne „Unfall“ über die Bühne ging.

Dem, was man sich gesanglich hätte erwarten dürfen, kam Aleksandra Kurzak als Amenaide am nächsten. Die Verzierungen, denen René Jacobs Akribie offenbar alle Aufmerksamkeit geschenkt hatte (der dramatische Fluss insgesamt scheint ihn weniger interessiert zu haben), waren in ihrer „geläufigen“ Kehle gut aufgehoben. Zu Beginn erinnerte Kurzak im Rüschenkostüm ein wenig an „Barbiers Rosina“, später wird sie aber mit einer tragischen Dimension konfrontiert, die mehr erfordert, als ein erfrischendes Heruntersingen der Koloraturen. Auch besitzt ihr Timbre eine Nuance von kühler Härte, die es ein wenig schwer macht, in ihre „Seele“ zu schauen, um beispielsweise darin den filigranen Liebreiz einer Rossini’schen Mädchenfigur zu erkennen. Immerhin gelang es ihr noch am besten, diesen Schimmer von Virtuosität und Mitgefühl zu erzeugen, der einen als Zuhöhrer wie von selbst mitreißt.

Der Argirio des Tenors Colin Lees war Respekt zollend und gut erarbeitet, aber sein trockenes Timbre und sein etwas hölzerner Ausdruck verlockten mich nicht zu besonderer Anteilnahme. Der Orbazzano von Konstantin Wolff zeigte seinem Bühnencharakter nach bösartige Virilität, wird von Rossini aber nicht so wirklich „ins Feuer“ geschickt. Isaura (Liora Grodnikaite) und Roggiero (Ruby Hughes) ergänzten das Ensemble. Die Sopranistin Ruby Hughes scheint noch sehr jung zu sein, sie empfahl sich mit einer nett gesungenen Arie. Beide Sängerinnen fügten dem Gebotenen aber keine neue, aufmerksamkeitheischende Facette hinzu.

Die Regie von Stephen Lawless verlegte die Handlung ins faschistische Italien – und das war‘s im wesentlichen. Die Hochzeitsgesellschaft im ersten Akt wird durch eine Turnerriege aufgemotzt. Nun, da kam wenigstens Bewegung auf die Bühne. Die Kostüme erinnerten an die der italienischen Faschisten in der Zwischenkriegszeit, ein riesiges bronzefarbenes Pferd blickte monumental rechts vom Bühnenrand – nach der Pause lagen seine Trümmer überall verstreut. Der Einheitsraum öffnete sich hin und wieder und gab dann den Blick auf eine gemalte Meeres- und Himmelskulisse frei – ein hübscher Konstrast zum sterilen, schmutzigen Weiß der Stadt Syrakus. Mitten über die Bühne lief von hinten nach vorne eine Bodenspalte wie ein Erdbebenrelikt. Aus dem Spalt züngelten sogar einmal pyromanische Feuerchen. Die Personenregie war konventionell – nur die Turner zeigten behende ihre Muskel. Optik und Bühnengeschehen war nicht gerade überragend arrangiert und zwingend, in Summe hatte Lawless aber dafür gesorgt, dass der Abend nicht gänzlich versandete und dass der Grundkonflikt szenisch einigermaßen präsentiert wurde – als Dank dafür durfte er sich am Schluss einige Buhrufe abholen.

Das Publikum wirkte die ganze Vorstellung über wenig begeistert. Der Jubel am Schluss – im Theater an der Wien wird gern gejubelt – fiel im Vergleich zu anderen Abenden merkbar geringer und kürzer aus.